6933848-1983_02_07.jpg
Digital In Arbeit

Zu wenig Mittel, zu viele Reformpläne

19451960198020002020

Hohe französische Offiziere sind dieser Tage von der traditionellen Diskretion der Armee abgewichen und mit scharfen und warnenden Stellungnahmen an die breite Öffentlichkeit getreten.

19451960198020002020

Hohe französische Offiziere sind dieser Tage von der traditionellen Diskretion der Armee abgewichen und mit scharfen und warnenden Stellungnahmen an die breite Öffentlichkeit getreten.

Werbung
Werbung
Werbung

Ausgelöst wurden sie durch die bereits 1982 erfolgte Kürzung des Rüstungsetats und die Absicht der Regierung, über den theoretisch erreichten Anteil des Verteidigungshaushaltes von 3,9 Prozent am Bruttosozialprodukt bis 1988 nicht hinauszugehen, obwohl nach sehr gründlichen Ermittlungen seine schrittweise Aufstok- kung auf 4,5 Prozent unentbehr-

lieh ist, um Frankreich zu gestatten, sein Atompotential zu modernisieren und eine glaubwürdige konventionelle Streitkraft aufrechtzuerhalten.

Trotz der bis Ende 1981 regelmäßig erfolgten Erhöhung der Militärkredite mußte eine Verzögerung der Verwirklichung des laufenden Rüstungsprogramms um zwei Jahre in Kauf genommen werden. Die nunmehr offiziell beschlossene Stabilisierung des Aufwandes auf einem objektiv gesehen zu niedrigen Stand droht nach Ansicht der verantwortlichen Offiziere die militärischen Strukturen zu erschüttern und die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte ab 1990 ernstlich in Frage zu stellen.

Der Verzicht auf einen atom- angetriebenen Flugzeugträger hat bereits als sicher zu gelten. Es ist auch nicht von der Vorbereitung eines neuen Atomunterseebbotes für die neunziger Jahre die Rede, obwohl die ersten beiden in Dienst gestellten Einheiten in zehn bis zwölf Jahren verschrottet werden müssen.

Die französische Regierung beschloß zwar gerade, auch ohne die zunächst vereinbart gewesene deutsche Beteiligung einen neuen Panzer zu bauen. Aus finanziellen Gründen dürfte sie jedoch kaum in der Lage sein, die ersten Einheiten vor 1995 dem Heer zur Verfügung zu stellen. Die Luftwaffe befürchtet schließlich die Verringe

rung der Zahl ihrer Kampfflugzeuge um rund ein Drittel.

Der schon lange drohende finanzielle Engpaß ist der Armee nicht unbekannt. Die Verstimmung der hohen Offiziere erklärt sich vor allem dadurch, daß sowohl der Regierungschef wie der Verteidigungsminister behaupten, die angestrebten Ziele mit den bereitgestellten Mitteln erreichen zu können, indem sie die vorgenommene Kürzung bestreiten oder als belanglos hinstellen, ohne klar erkennen zu lassen, wie sie die Quadratur des Kreises zu lösen gedenken.

Verwirrung und Unruhe entsteht auch durch die Ankündigung von Reformen, nachdem erst vor kurzem eine nicht einfache Umstrukturierung und Straffung der Streitkräfte beendet wurde.

Die Offiziere haben den Eindruck, daß die Regierung absicht

lich einige Punkte im dunkeln läßt. Dies gilt insbesondere für die Neuregelung der Wehrdienstpflicht.

Das Wahlprogramm Mitter- rands versprach die Verkürzung der allgemeinen Wehrdienstpflicht von zwölf auf sechs Monate. Der Verteidigungsminister hat für 1983 bereits Mittel für die Einstellung von 10.000 freiwillig länger dienenden Soldaten (18 bis 36 Monate) vorgesehen. Die Möglichkeit des Übergangs zum Berufsheer, teilweise gestützt auf Freiwillige mit einer Dienstzeit von durchschnittlich drei Jahren — sie kosten weniger als Berufssoldaten —, gehört schon seit einiger Zeit zu den Hypothesen des Generalstabs.

In diesem Falle müßte der Mannschaftsbestand des Heeres nach den vorliegenden Studien um die Hälfte auf 150.000—180.000

Soldaten verringert werden. Für die gleichzeitige Aufrechterhaltung einer sechsmonatigen Wehrdienstpflicht würden jedoch die Mittel fehlen.

Die jetzigen Vorstellungen der Regierung erscheinen daher der Armeeführung als unrealistisch. Sie besitzen vorwiegend einen politischen Hintergrund. Denn der Verzicht auf die allgemeine Dienstpflicht widerspricht der sozialistisch-republikanischen Tradition.

Die vom Verteidigungsminister vertretene These, wonach ein Rückgang des Mannschaftsbestandes durch eine größere Beweglichkeit und eine modernere Ausstattung der Einheiten ausgeglichen werden kann, findet nur dann die Billigung der verantwortlichen Offiziere, wenn alle verfügbaren Mittel für die Ausrüstung und die Ausbildung der

Truppen Verwendung finden und

man zu einer finanziell logischen Konzeption gelangt, was bei Beibehaltung einer sechsmonatigen allgemeinen Wehrpflicht nicht möglich ist.

Inzwischen verdienen immerhin einige positive Aspekte herausgestellt zu werden. Eine jüngste Rundfrage ließ eine äußerst positive Haltung der Bevölkerung gegenüber der Armee erkennen. Seit einigen Jahren hat sich das Klima sogar wesentlich verbessert.

Nur 15 Prozent der Befragten bezeichneten sich als ausgesprochen oder ziemlich antimilitaristisch gegenüber 22 Prozent im Vorjahr. Uber zwei Drittel der Franzosen haben eine gute Meinung von der Armee und billigen die Atompolitik. Überraschend wünscht über die Hälfte den Übergang zum Berufsheer.

Andererseits ist die vom Verteidigungsminister erwogene Reorganisation des Heeres schon deshalb bemerkenswert, weil dadurch die französischen Streitkräfte in verstärktem Maß in den Dienst der europäischen Sicherheit gestellt werden. Die angestrebte größere Beweglichkeit soll den Einheiten gestatten, sich in kurzen Fristen in vorgeschobene Positionen zu begeben. Eingesetzt werden sollen auch Hubschraubergeschwader zur Panzerbekämpfung. Sie könnten sehr schnell an der Ostgrenze der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden.

Praktisch verzichtet hiermit Frankreich auf die von ihm bisher innerhalb der NATO übernommene Rolle der ersten Reserve und zeigt sich zur Beteiligung an der Vorneverteidigung bereit. Die voraussichtlich ab 1991 verfügbare Atomkanone Hades mit einer Reichweite von 350 km ist ebenfalls ein konkreter Beitrag zur gemeinsamen europäischen Verteidigung. Für die strategische Konzeption des nationalen Sanktuariums würde sie nicht benötigt.

Positiv zu werten ist darüber hinaus nicht zuletzt die inzwischen erfolgte Ingangsetzung des Mechanismus für eine engere deutsch-französische .Kooperation im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich. Es ist bezeichnend für die europäische Orientierung Frankreichs, daß seine offiziellen Stellen von diesen Gesprächen verhältnismäßig schnell konkrete Ergebnisse erhoffen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung