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Zu wenige Hauskatzen

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Über Claus Peymann, den Direktor des Wiener Burgtheaters, findet keine Sachdiskussion, sondern ein Glaubensstreit statt.

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Über Claus Peymann, den Direktor des Wiener Burgtheaters, findet keine Sachdiskussion, sondern ein Glaubensstreit statt.

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In den siebziger Jahren diskutierten einmal im österreichischen Fernsehen der damalige Burgtheaterdirektor Gerhard Klingen-berg und der Publizist Peter Michael Lingens, ob die „erste Sprechbühne deutscher Zunge" nicht zu verschwenderisch geführt werde. „Will man Hauskatzen oder Tiger?" fragte Klingenberg, betonend, daß ein Theater mit Biß und internationalem Ansehen seinen Preis habe. Ihm genügten „Hauskatzen", konterte Lingens trocken.

Die mit der Veröffentlichung des Rechnungshof-Rohberichtes über das Burg losgetretene Debatte ist also nicht neu. Daß Claus Peymann besonders im Kreuzfeuer steht, hat mehrere Gründe. Seine starken Sprüche (zuletzt qualifizierte er die Kultursprecherinnen von ÖVP und FPÖ als „mehr so kulturelle Weiblein, die in periodischen Abständen losschreien") und sein Umkrempeln des alten Burg-Ensembles (bis sogar von ihm geholte Stars - wie Gerd Voss — ihm wieder davonliefen) trugen dazu wohl noch mehr bei als die nun im Rechnungshof-Bericht genannten Fakten: weniger Premieren als in der Ära Achim Benning, weniger Einnahmen, weniger Besucher, weniger Festabonnements. Der Vorwurf, Peymann und andere Burg-Größen hätten zu hohe Gagen bezogen, sei hier einmal ausgeklammert.

Peymanns Verteidigung: Die Einnahmen wurden weniger, weil er das Theater durch Billigkarten für jedermann erschwinglich machen wollte. Daß die Besucherzahlen dennoch sinken, liegt nach Peymann an der Zunahme der Schließtage, da die Bühnenbilder (offenbar wichtiger als Zuschauer) immer komplizierter werden. Weniger Premieren stören Peymann nicht, denn es gebe „solche Hits im Programm, daß wir gar nicht so viele Neuinszenierungen brauchen". Aber trotz dieser „Hits" fehlen Einnahmen und Besucher, auch der Anteil der Jugend - von Peymann stets umworben - hat seit Jahren nicht mehr zugenommen.

Peymanns Hinweis, die Auslastung der Theater in Deutschland sei noch schlechter, stimmt. Dort sperren auch schon renommierte Bühnen (wie das Berliner Schillertheater) zu, eine Folge davon, daß etliche Theatermacher, jahrelang von unbedarften Kulturpolitikern gemästet, längst jeden Bezug zu den Rosten einer Inszenierung und zu den Wünschen des Publikums verloren haben.

Im Vergleich mit anderen Wiener Bühnen (Volkstheater, Josefstadt) steht Peymanns Burgtheater zahlenmäßig weniger gut da. Die Mehrheit der Wiener Theaterbesucher will eben in erster Linie Publikumslieblinge, gepflegte Unterhaltung und gediegene Klassikeraufführungen erleben. Mit Regieexperimenten und Avantgarde darf ein zu sparsamem Wirtschaften gezwungenes Haus seinem Publikum nicht allzu-

oft kommen. Daß das Rurgtheater hier etwas mehr finanziellen Spielraum hat, ist im Prinzip gut, läßt seine Chefs aber leicht den Boden unter den Füßen verlieren.

Es ist typisch Peymann, wenn er geringschätzig von „absurden Zahlenspielen von Beamten" redet, wiewohl es stimmt, daß man manche Bereiche mit Zählen und Messen nicht erfassen kann, etwa die Religi-. on der die Kunst. Was hier zählt, ist Glaubenssache. Wer meint, er habe notfalls allein das wahre Kunstverständnis oder die religiöse Wahrheit zu verteidigen, den können unangenehme Zahlen kaum erschüttern. Schließlich ließ schon William Shakespeare seinen Hamlet bezüglich Theaterkunst von „Unwissenden" und „Einsichtsvollen" sprechen und betonen: „Der Tadel von einem solchen muß in Eurer Schätzung ein ganzes Schauspielhaus voll von andern überwiegen."

Daß sich alle Peymann-Beurteiler zu den „Einsichtsvollen" zählen, versteht sich, und trotzdem gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Am besten kommt der Regisseur Peymann weg, an dessen großen Fähigkeiten wenige zweifeln. Als Theater- und vor allem Ensembleleiter ist er zu Recht weit mehr umstritten. Wenn man auch der Ära Peymann einige Stern-stunden der Kunst nicht absprechen kann, für eine Fortsetzung dieses von Minister Rudolf Schölten mitverantworteten Engagements ist der Preis viel zu hoch. Man sollte den Vertrag mit Burgtheaterdirektor Claus Peymann pünktlich auslaufen lassen.

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