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Zündeln der Nationalisten

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Der Drang der Rumänen, einen Nationalstaat zu schaf- fen, führt ins Chaos. Sieben- bürgener Magyaren pochen auf ihre Minderheitenrechte und werden dafür geprügelt und erschlagen.

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Der Drang der Rumänen, einen Nationalstaat zu schaf- fen, führt ins Chaos. Sieben- bürgener Magyaren pochen auf ihre Minderheitenrechte und werden dafür geprügelt und erschlagen.

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Es herrscht wieder Ruhe in Tirgu Mures. So erzählen die Leute - fünf Kilometer vor der 150.000 Einwoh- ner zählenden Stadt. Man muß es einfach hinnehmen, daß das früher mehrheitlich deutsch besiedelte Neumarkt noch Tage nach den schweren nationalen Unruhen zwi- schen rumänischen Fanatikern und Angehörigen der ungarischen Minderheit für Ausländer gesperrt bleibt.

Betont sachlich berichten Solda- ten, Bäuerinnen, Arbeiter von den neuesten Exzessen. Rumänische Bauern aus Modak hätten das Nachbardorf Saromberke angegrif- fen und den dortigen Magyaren zugerufen: „Haut ab, ihr ungari- schen Schweine. Ceausescu war ein Ungarnfreund, wir nicht." Dann seien ein paar Ställe in Brand gera- ten, bevor die Polizei einrücken konnte. Der rumänische Komman- dant meint, das sei nicht schlimm. Er wisse von einem Massaker hin- ter den Bergen, da hätten Ungarn drei rumänischen Kindern die Köpfe abgehackt.

Horrorgeschichten machen die Runde wie zu Ceausescus Zeiten. „Wir wissen nicht, wo die Wahrheit liegt", sagten damals rumänische Freunde, „lauter Lügen, Verdre- hungen und Mythen." Sollte sich daran nichts geändert Haben? Rein gar nichts, beteuern Intellektuelle in der ehemaligen D issidentenhoch- burg Cluj (Klausenburg). Wie sonst könnten sich nur drei Monate nach dem Sturz Ceäusescus in diesem Völkerschmelztiegel Siebenbürgen Rumänen und Ungarn so feindlich gegenüberstehen wie in Zeiten des Terrorregimes?

Marius Tabacu und Eva Gyimesi geben sich geschlagen. Zusammen mit Doina Cornea, der ehemaligen „Star"-Dissidentin, die zurzeit in der provisorischen Regierung auf eine etwas zweifelhafte Art in der Rolle einer Landesmutter auftritt, verfaßten sie im Sommer 1988 je- nen legendären Appell gegen die wahnwitzigen Pläne Ceäusescus, Tausende Dörfer dem Erdboden gleichzumachen und durch „agro- industrielle Zen- tren" zu ersetzen.. Jetzt sind sie ent- täuscht von ihrer Mitstreiterin. „Doina versteht einfach nicht, daß Minderheiten mehr noch als in- dividuelle Rechte nationale Grup- penrechte brau- chen", meint die Hochschullehre- rin Eva Gyimesi. „Doina sagt es offen, daß eine un- garischsprachige Universität Ru- mänien nichts bringt."

Aber der Drang der Rumänen, ei- nen Nationalstaat zu errichten, brin- ge nur Chaos an- gesichts der Tat- sache, daß von 22 Millionen Ein- wohnern etwa sechs bis acht Mil- lionen Angehörige nationaler Min- derheiten seien, sagt Gyimesi. Inof- fiziell leben in Rumänien zwei Mil- lionen Ungarn, zwei bis drei Millio- nen Roma und Hunderttausende Deutsche, Ukrainer, Weißrussen, Serben und kleinere Volksgruppen wie Jude und Polen.

Allen diesen Menschen hat ein rumänisch-nationaler „Kultur- Bund mit dem bezeichnenden Na- men „Rumänische Heimatflamme" (Vatra Romaneasca) den Kampf angesagt. Jedermann weiß, daß er Drahtzieher hinter den Unruhen in Tirgu Mures mit sechs Toten und etwa 300 Verletzten war. Dennoch bringt sie sich täglich ins Gespräch, füllt mit ihren Stellungnahmen die Spalten der Tagespressse und wirbt erfolgreich um Mitglieder. Drei Mil- lionen nationalgesonnener Rumä- nen aller politischen Schattierun- gen sollen ihr bereits angehören.

Ihre Wortführer um den Hoch- schullehrer Zeno Opris artikulie- ren auch nach den tragischen Er- eignissen der Vorwoche auf öffent- lichen Versammlungen mit meist mehr als 10.000 Zuhörern, was sie am Verhalten der Minderheiten stört: Anstatt sich als Teil der „rumänischen Nation" zu beken- nen, pochten vor allem Juden und Ungarn - so Opris - auf ihre „Be- sonderheiten".

Mit den Deutschsprachigen komme man besser aus, ist von dieser Seite zu hören. Kein Wun- der, die 130.000 Siebenbürgener Sachsen und Banater Schwaben fallen politisch ja auch nicht mehr ins Gewicht. Die Wende kam zu spät, fast alle haben ihren Ausrei- seantrag in die Bundesrepublik schon eingereicht.

Marius Tabacu, Altdissident und Redakteur einer neuen freien Ta- geszeitung, gehört zu den wenigen, die offen bekennen: „Ich schäme mich angesichts der Pogrqmstim- mung in Tirgu Mures, Rumäne zu sein." Er versteht es, daß die Ma- gyaren Siebenbürgens die Wieder- errichtung eines eigenen Schulsy- stems vom Kindergarten bis zur Universität fordern, desgleichen zweisprachige Beschriftungen und Ortstafeln. Er steht fassungslos vor der „bewußten Falschinformation, die selbst die staatliche Presse- agentur Rompress schürt".

Einer, der glaubt, dies sei der letzte Aufschrei fanantischer Na- tionalisten gewesen, ist Geza Szöcs. Der populäre und vielleicht auch bedeutendste Lyriker in ungari- scher Sprache in Siebenbürgen kam dieser Tage aus seinem Exilland Schweiz zurück. Der versteckte Nationalismus der Rumänen, der unter der Diktatur nie ausgelebt werden konnte, mußte sich erst einmal Bahn brechen, jetzt könne man ihn überwinden. Spricht da ein weiser Kopf oder ein -weltfrem- der Emigrant?

Die „Rumänische Heimatflam- me" agitiert weiterhin offen min- derheitenfeindlich. Weder die neue „links-sozialistische" Regierung noch die neuentstandenen Parteien wollen dem etwas entgegensetzen. Bisher distanzierte sich nur die „Radikale Partei" von der Heimat- flamme - zum eigenen Nachteil bei den am 10. Mai anberaumten ersten freien Wahlen.

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