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Zuerst das Fressen, dann die Demokratie

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Nach 16 Monaten der Unruhen und des Chaos findet Südkorea unter der eisernen Faust des neuen Präsidenten Chun Doo Hwan allmählich wieder zur Ruhe zurück.

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Nach 16 Monaten der Unruhen und des Chaos findet Südkorea unter der eisernen Faust des neuen Präsidenten Chun Doo Hwan allmählich wieder zur Ruhe zurück.

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Allerdings: Viele, vor allem von jungen Leuten vorgetragene Wünsche nach einer Demokratisierung bleiben weiterhin unerfüllt: Chuns Devise: Zuerst kommt das Fressen, dann erst die Demokratie!

Die neue Regierung Südkoreas, die durch Wahlen im Februar und März des Jahres mit Präsident Chun Doo Hwan an der Spitze bestätigt wurde, ist ein Resultat monatelanger Unruhen.

Den Schüssen vom 26. Oktober 1979, die den paranoiden Diktator Park Chung Hee niederstreckten, folgten Studentenproteste, Arbeiterunruhen, Fraktionskämpfe innerhalb der Armee, tind dann, gewissermaßen als Draufgabe, der Aufstand in Kwangju, der die Abdankung der Militärs verlangte, die in der Zwischenzeit die Macht total an sich gerissen hatten.

Die Erbschaft, die-Park Chung Hee seinem Land hinterlassen hatte, waren die Früchte 18jährigen diktatorischen Regierens, Jahre, die Südkorea zum einen noch nie dagewesenen, wirtschaftlichen Erfolg brachten; zum anderen aber konnte die sozialpolitische Struktur im Land nicht mitwachsen.

Dieser Widerspruch zwischen dem wirtschaftlichen Wohlstand der Südkoreaner und der konfuzianistisch beeinflußten Diktatur hatte schon zu Lebzeiten Parks zu Unruhen geführt, die jedoch von ihm - wenn möglich - mit Gewalt niedergeschlagen wurden. Umgeben von meist unfähigen und machtgierigen Politikern, liebte er es, im Blauen Haus, dem Präsidentenpalast in Seoul, Berichte der Geheimpolizei zu lesen.

Doch die neue Verfassung, die unter Chun Doo Hwan und seinen Leuten ausgearbeitet wurde und die die autoritäre Yushin-Verfassung Parks ersetzen soll, ist weit von den Hoffnungen entfernt, die die meisten Koreaner, vor allem aber die Jugend und die Intellektuellen, gehegt hatten.

Obwohl diese Verfassung natürlich Redefreiheit und andere Freiheiten garantiert, so beinhaltet sie aber keinerlei institutioneile Veränderungen in Richtung mehr Demokratie. DieOpposition wurde an einer Kritik der Verfassung gehindert, zumal die potentiellen Feinde Chuns allesamt interniert sind.

Die Dauer einer Präsidentschaft wurde von sechs auf sieben Jahre verlängert, doch können Südkoreaner auch heute noch keinen Präsidenten direkt wählen, und das nach 30 Jahren der Experimente mit republikanischen Regierungsformen.

Wie Park wurde auch Chun von einem Wahlkollegium gewählt, deren Mitglieder vom Volk ausgesucht worden waren. Eine Spezialklausel erlaubte es Chun, noch vor seiner Wahl zum Präsidenten 800 Politiker aus der Park-Ära auszuschalten, zumeist Kritiker Parks.

Dazu kam, daß Chun mehr oder weniger der einzige ernstzunehmende Kandidat bei den Wahlen war, die Oppositionsführer spielten durch die Bank nur nominell eine Rolle.

Wären so bekannte und beliebte Figuren wie Kim Dae Jung oder der unter Hausarrest stehende ehemalige Führer der Neuen Demokratischen Partei, Kim Young Sam, berechtigt gewesen, sich als Kandidaten für das Wahlkollegium zu stellen, so wäre der Kampf sicherlich lebendiger gewesen.

Mehr als ein Jahr nach dem Kwangju-Aufstand sitzt Chun Doo Hwan also fest im Sattel - und im Blauen Haus von Seoul. Einen Monat nach diesem Aufstand war der Verfasser dieses Artikels in Südkorea, und damals gab man Chun maximal ein Monat, ehe er ebenfalls eines gewaltsamen Todes sterben würde. Wie also war der Aufstieg zur Macht möglich?

So paradox es klingt; Chun profitierte politisch vor allem vom stetigen Niedergang der Wirtschaft innerhalb der sechzehn unruhigen Monate nach

Parks Tod. Denn bedingt durch das Machtvakuum und die darauffolgenden Machtkämpfe, Aufstände und Streiks erlahmte die Investitionstätigkeit, vor allem die des Auslands.

Hatte Korea noch 1979 als ein wirtschaftlich stabiles Land gegolten, so veränderte sich die Situation schlagartig nach der Ermordung Parks. Viele ausländische Einkäufer gingen lieber nach Japan oder Taiwan und nahmen dort ihre Bestellungen vor..

Die Folge war ein rapides Sinken der Exportquote Südkoreas; verbunden mit der ansteigenden Inflation konnte der Lebensstandard der Südkoreaner nur in Mitleidenschaft gezogen werden.

Chun rechnete offensichtlich richtig, indem er annahm, daß dem Großteil seiner Landsleute wirtschaftliche Ruhe und Wohlstand, wieder steigende Exportquoten und ein stabiler Staatshaushalt wichtiger waren als demokratische Freiheiten - zumindest für den Anfang. Und genau das versprach er auch.

Unter anderem säuberte er letztes Jahr den Beamtenapparat und die Regierung von inkompetenten und korrupten Beamten und Politikern, wobei er selbst vor ehemaligen Ministern nicht halt machte.

9000 wurden zwangspensioniert, und diese Aktion wurde vom Volk durchgehend positiv aufgenommen. Selbst die Verurteilung des prominenten Oppositionsführers Kim Dae Jung, der zunächst gehängt werden sollte, jedoch zu lebenslanger Haft „begnadigt“ wurde, begründeten die Machthaber teilweise mit einer Korruptionsaffäre.

Die Früchte der „Politik der Stärke“ reifen bereits: die wirtschaftliche Sta

gnation des Landes scheint überwunden, langsam gehen die Quoten bergauf, und Chun kann ruhigen Gewissens sehaupten, daß er zumindest in dieser Hinsicht seinem Land gedient habe. „Zuerst das Fressen, dann die Demokratie“, ist seine Parole.

Außenpolitisch scheint die noch vor ;inem halben Jahr herrschende Skepsis, die man Chun Doo Hwan und šešiem Kabinett entgegengebracht hat. Fast völlig verflogen zu sein. Vor allem die Wahl Reagans und der Umstand, daß Chun das erste ausländische Staatsoberhaupt war, das vom neuen imerikanischen Präsidenten empfanden wurde, trugen zur Imagepflege bei.

Diese Einladung nach Washington väre jedoch schwerlich zustande gekommen, hätte Chun nicht vorher Kim Dae Jung begnadigt. Amerika ist nach vie vor der wichtigste außenpolitische Partner Südkoreas, nicht nur wirtschaftlich. sondern vor allem militärisch: Die USA haben noch immer über 25.000 Mann in Südkorea stationiert - :ine Streitmacht, mit der gewaltsame Wiedervereinigung durch den aggressiven Norden verhindert werden soll.

Japan hatte sich von Chun einige politische Faustschläge in Form von nationalistischen Ansprachen gefallen lassen müssen. Doch scheint die abgekühlte Beziehung der beiden Länder wiederum auf den Weg der Kooperation im Sinne gegenseitigen, wirtschaftlichen Interesses zurückgefunden zu haben.

Auch hier spielte die Begnadigung Kims eine große Rolle, da viele der in Japan lebenden und wirtschaftlich einflußreichen Koreaner mit dem Norden Koreas sympatisieren.

Chun versprach auch, die Dialoge mit Nordkorea wieder aufzunehmen,

doch bleibt abzuwarten, ob ihm mehr Erfolg beschieden sein wird als seinem Vorgänger. Denn in Pyoengyang ist man derzeit ebenfalls mit inneren Angelegenheiten beschäftigt: Kim Jong II, der Sohn des alternden Diktators Kim II Sung, wird langsam auf die Erbfolge in dem abgeschlossenen Staat vorbereitet.

Vielleicht treffen sich Chun und Kim der II. eines Tages, beide Nachfolger starker, langjähriger und automatischer Führerfiguren auf der koreanischen Halbinsel. Doch scheint dieses Problem der Wiedervereinigung im Augenblick sowohl nördlich als auch

südlich des 38. Breitegrades keine Priorität zu haben.

Gelingt es Chun seine Versprechen einzuhalten, und neben einer wiederum florierenden Wirtschaft auch die Basis für eine wahre Demokratie zu errichten, und somit die Träume der jungen Koreaner zu erfüllen, so wird er ein populärer Mann bleiben. Verfällt er jedoch in den paranoiden Stil seines Vorgängers, so wird er wahrscheinlich auch das Schicksal Parks teilen müssen.

Chuns offizieller Wunsch ist sicherlich allen Koreanern aus der Seele gesprochen: „Freiheit von Krieg, Armut und politischer Unterdrückung.“

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