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Zuerst das Uberleben

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Jede Diözese hat ein anderes Schwerpunktthemazur Vorbereitung des Österreichischen Katholikentags 1983 gewählt. Wien nahm sich des Themas Frieden an. Professor Schneider arbeitet darüber intensiv seit mehreren Jahren.

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Jede Diözese hat ein anderes Schwerpunktthemazur Vorbereitung des Österreichischen Katholikentags 1983 gewählt. Wien nahm sich des Themas Frieden an. Professor Schneider arbeitet darüber intensiv seit mehreren Jahren.

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Als man kürzlich bei der kirchlichen Studientagung zum Thema „Friede Christi - Friede der Welt" nicht nur theologisch oder pädagogisch, sondern auch im Blick auf die aktuelle Weltlage über Möglichkeiten der Friedensförderung diskutierte, gab es über manche konkrete Vorschläge verschiedene Meinungen — etwa über die Haltung gegenüber den NATO-Plänen zur eventuellen Aufstellung weiterer Atomraketen in Europa oder über die Zweckdienlichkeit von Aktionen zugunsten einer kernwaffenfreien Zone quer durch ganz Europa.

Ein Stichwort wurde in dieser Diskussion mit Zustimmung verwendet: das der „Sicherheitspartnerschaft".

Der Begriff wurde vor allem von der „Palme-Kommission"propagiert. In dieser „Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit" hatten sich unter Vorsitz des (jetzt wieder amtierenden) schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme 16 Persönlichkeiten aus Ost und West, Nord und Süd - von Georgij Ar-batow (UdSSR) bis Cyrus Vance (USA) - Gedanken darüber gemacht, wie ein Weg aus der Spirale des Wettrüstens aufgezeigt werden könnte, der nicht utopisch wäre.

Der Grundgedanke ist einfach: Im Nuklearzeitalter gibt es, namentlich für Atommächte und Staaten, in denen Atomwaffen lagern, keinen Grund und kein politisches Ziel, um dessentwillen sich der Entschluß zum Krieg noch rechtfertigen ließe, weil nach einem Nuklearkrieg alle solchen Gründe und Ziele gegenstandslos wären. Ein Atomkrieg ist kein Krieg mehr (Kardinal König), keine Durchführung militärischer Operationen zu irgendwelchen politischen Zwecken, sondern die wechselseitige" Vernichtung der Beteiligten. Ein „begrenzter Atomkrieg" ist eine Idee, deren Realisierbarkeit die Fachleute für extrem unwahrscheinlich halten.

Damit ändern sich die Bedingungen für die Sicherheit der Staaten. Nach wie vor gibt es keine überstaatliche, mit hinreichender Macht versehene Friedenssicherungsinstanz, nach wie vor trägt daher jeder Staat die Verantwortung für die nationale Sicherheit, für das Leben der Bürger und Gedeihen der Gesellschaft, selbst. Kein Staat kann als Träger dieser Verantwortung abdanken.

Aber man kann dieser Verantwortung nicht mehr auf die bisherige Weise gerecht werden, nämlich indem man sich mehr Macht verschafft, als der mutmaßliche Gegner besitzt; dieser Gegner kann ja selbst Vernichtungsschläge austeilen. „Abschreckung" schließt daher „Selbstabschrek-kung" ein: Gewaltdrohung bedroht einen selbst, weil sie spiegelbildliche Gegendrohungen auslöst. Dieser Zirkel entwickelt eine eigene Dynamik, im Sinn einer „Spirale" des Wettlaufs um immer stärkere Droh-, und Gewaltpotentiale. Laut Palme-Bericht gibt es nur einen Ausweg: einzusehen, daß die Sicherheit des Uberlebens nur „mit dem Gegner" gewährleistet werden, kann, daß nur „Common Securi-ty", „gemeinsame Sicherheit", realisierbar ist, aber nicht mehr die Sicherheit des einen durch die Unsicherheit des anderen.

Das ist, so formuliert, noch kein Rezept für eine neue Sicherheitspolitik, aber immerhin die Angabe der Richtung, in der entsprechende Überlegungen vorangetrieben werden müssen. Unterschiedliche, ja unvereinbare Ideologien und Interessen sollen nicht geleugnet werden, und Mißtrauen läßt sich nicht einfach als gegenstandslos erklären. Aber es gilt zu begreifen, daß es — trotz allen Konfliktgründen und Rivalitäten, Anlässen zu Gegnerschaft und Argwohn — doch auch zumindest dieses eine Anliegen gibt, das die Mächte gemeinsam haben und das ihr Handeln sozusagen anein-anderkettet: das Uberleben. Es' bildet die Voraussetzung für jedes andere gesellschaftliche oder politische Ziel. Es muß daher in den politischen Kalkulationen und Planungen den fundamentalen Platz bekommen.

Auch wenn man sich — aus welchen Gründen immer, vermöge der Ideologie oder auf Grund besonderer Interessen — gegen eine solche Einsicht wehren möchte und diese Verdrängung rationalisiert, indem man sich etwa einreden will, es müßte möglich sein, auch in einem atomaren Weltkrieg der Vernichtung zu entgehen, so sprechen doch die Fakten eine andere Sprache. Gegen Flugkörper mit nuklearen Sprengköpfen gibt es keine wirksamen Abwehrwaffen.

Freilich, ganz so neu ist das alles nicht. Die ersten Überlegungen über „Arms Control", jene Bestrebungen zu „kooperativer Rüstungskontrolle", die zu den entsprechenden Verträgen geführt haben (Teststopp, SALT usw.), gingen von ähnlichen Grundgedanken aus. Auch dabei ging es um eine „Zusammenarbeit", die die weltpolitischen Gegensätze nicht außer Kraft setzen, aber die menschheitsgefährdenden Formen ihrer Austragung ausschließen oder doch eindämmen sollte.

Nur waren diese Bemühungen sozusagen immer wieder in einem Zwielicht: Man wußte nicht, wie „antagonistische" (auf die Uber-

vorteilung der anderen Seite abzielende) und „kooperative" (auf Gemeinsamkeit ausgehende) Motivation sich zueinander verhielten: Ob nicht doch hinter allem Verhandlungs- und Vereinbarungsstreben die Absicht stand, so bald wie möglich das Kräftefeld zu eigenen Gunsten zu verändern, die Sicherheitspartnerschaft wieder aus den Angeln zu heben.

Die seitherigen Entwicklungen

— etwa die fachlichen und politischen Debatten darüber, ob und wie ein Atomkrieg vielleicht doch „führbar" und „gewinnbar" wäre

— haben jedoch deutlich gemacht, daß eine entsprechende „Doppelstrategie der Unehrlichkeit" in die Sackgasse (oder in eine Katastrophe) führen muß.

Immerhin wäre die Ersetzung der Uberlegenheits- und Abschreckungslogik durch die Zusammenarbeit im gemeinsamen Uberlebensinteresse ein Schritt weg von der Unvernunft jener Drohpolitik, die auf einen selbst zurückschlägt, und ein Schritt hin zur Vernunft des menschheitlichen Gemeinwohls.

Der Verfasser ist ordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitglied des Präsidiums der Katholischen Aktion Österreichs

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