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Zufriedene Kommunisten

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Zuden bevorstehenden Kar-Lltagen strömen jugendliche Ungarn in die Benediktinerabtei Pannonhalma. „Bis zum Ostersonntag ist alles voll mit jungen Menschen", freut sich Erzabt An-dras Czennay. Sie meditieren gemeinsam, singen, halten Bibellesungen.

Rund 400 können untergebracht werden, nur ein Bruchteil derer, die sich melden. Nichts ist organisiert, alles verläuft spontan.

Für Czennay ist das „ein Zeichen der Hoffnung" - für Ungarn und seine Kirche.

Zeichen der Hoffnung unter denkbar ungünstigen Bedingungen. Denn selbstverständlich ist und bleibt Ungarns Volksrepublik ein atheistischer Staat, dessen Schulen und staatliche Informationseinrichtungen eines zum Ziel haben: religiöse Weltanschauung zu widerlegen.

Trotzdem konstatierte der ungarische Primas, Kardinal Laszlo Lekai, bei seinem jüngsten Wien-Besuch Anfang April, daß in der Religionspolitik Budapests ein deutlicher Wandel eingetreten sei: „Die Zeit des Versuches einer radikalen Abschaffung der Kirche ist vorbei." Nach dem Grundsatz, „wer nicht gegen uns ist, ist für uns", werde die Arbeit der religiösen Bürger in Ungarn, wenn sie gut verrichtet werde, als „Arbeit am Sozialismus" gewertet und geschätzt.

Kurzum: Die Kirche wie die kommunistischen Machthaber sind nicht unzufrieden.

„Wenn ich ein Kommunist wäre, wäre ich auch sehr zufrieden mit der Kirche", weist ein Mitglied der Bischofskonferenz gegenüber der FURCHE auf die Einseitigkeit der beiderseitigen Beziehungen hin. Ja, es gebe sie, die friedliche Koexistenz, „sie ist sogar sehr friedlich".

Nein, nicht um Konflikte gehe es, sondern um das innerkirchliche Leben, das nicht vom Wohloder Übelwollen des Staates abhänge: „Wir hatten und hätten mehr Möglichkeiten, für mehr Leben in der Kirche zu sorgen", ist der FURCHE-Gesprächspartner selbstkritisch überzeugt, doch es mangle an Schwung und Kreativität.

Woher soll der Schwung kommen? 1970 waren noch 3158 katholische Priester in der Seelsorge tätig, zu Beginn der achtziger Jahre nur noch knapp 2600. Ende dieses Jahrzehnts werden es gar nur mehr zwischen 1500 und 1600 sein. Dazu kommt noch: Im Vorjahr waren schon über 60 Prozent aller Priester über 60 Jahre alt.

Zurzeit reduziert sich die Zahl der Seelsorger um etwa 80 jährlich. Und Jahr für Jahr geht die Zahl der Priesterkandidaten zurück: Von 190 im Jahr 1982 sank die Zahl der Seminaristen im Vorjahr auf 130 — darunter befanden sich aber bereits 33 der griechisch-katholischen Diözese Hajdudorog. In Vier-Augen-Gesprächen wird auch über die immer augenscheinlicher werdende „negative Auslese" Klage geführt, der die Seminaristen unterliegen.

Ungleich weniger Nachwuchssorgen haben die Männerorden, wo man auch um die bedrückende Notlage der kirchlichen Seelsorge weiß: „Wenn wir mehr gute Priester hätten, könnten wir viel mehr machen..."

Können nicht Laien die Lücke schließen? Können? Sie müssen, soll nicht „die äußere Organisation der Kirche einstürzen", wie ein namhafter katholischer Intellektueller die Herausforderung umschreibt.

Unter Federführung von Professor Tamas Nyiri, der Theologe wird — erst- und einmalig in der Volksrepublik Ungarn — in die Ungarische Akademie der Wissenschaften aufgenommen, wurde 1978 an der Theologischen Akademie, der ehemaligen theologischen Fakultät in Budapest, ein theologischer Fernkurs eingerichtet, der sich kräftigen Zuspruchs erfreut: Nach 150 Hörern beim Start zählt man heute über 600, rund die Hälfte davon sind Frauen. Uber 50 Prozent der Fernstudenten sind noch dazu unter dreißig Jahre alt.

Der Einsatz von Laienkatecheten im - nun auch außerhalb von Kirchen in Pfarrhäusern erlaubten — Religionsunterricht ist neuerdings möglich, nachdem der Staat zuvor „die staatsbürgerliche Haltung" jedes einzelnen Kandidaten überprüft hat.

Sonst aber werden die sich anbietenden Möglichkeiten nur in geringerem Ausmaß genützt: „Uber den ständigen Diakonat spricht .man in Ungarn noch nicht", beklagt ein aufgeschlossener Priester in Kecskemet den Mangel an Weitblick in der institutionalisierten Kirche, die sich auch schwer tut, Männer und Frauen als gleichberechtigte Partner in der Kirche zu akzeptieren. Da und dort spricht man sogar von einem „Antifeminismus", dem ein Teil der Priesterschaft anhängt.

Sehr konservative Einstellungen sind es auch, die regimekritische Intellektuelle außerhalb der Kirche der offiziellen Kirche vorhalten, vor allem in Hinblick auf die Basisgemeinden in Ungarn: Solche kirchlichen Kleingruppen würden eher unterdrückt denn unterstützt. Beispiel: Der Fall des Piaristenpaters György Bulänyi.

Klar: Wehrdienstverweigerung ist in Ungarn undenkbar. Für die Kommunisten. Und wer mit ihnen auskommen will, muß nachgeben.

Daher ist „der unruhige Geist" Bulänyi eine Quelle des Ungehorsams gegenüber Staat wie Kirche — wobei natürlich, hört man, manche Parteikreise den innerkirchlichen Konflikt gar nicht ungern sehen: als Druckmittel.

Trotzdem: So falsch es ist, den Piaristenpater mit der Existenz kirchlicher Kleingruppen gleichzusetzen, so falsch ist auch die abwartende bis ablehnende Haltung großer Teile des ungarischen Klerus ihnen gegenüber.

Man sieht vordergründig nur besorgt die Gefahr und nicht die Hoffnung, die sich damit verbindet: Die Hoffnung, daß sich zunehmend intellektuell orientierte Laien der jüngeren Generation ihrer Mitverantwortung in Kirche und Gesellschaft bewußt werden.

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