6947388-1983_50_01.jpg
Digital In Arbeit

Zukunft im Visier

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bewahrung der Menschheit vor barbarischer Selbstausrottung steht heute im Zentrum dessen, was Menschen für Menschen tun müssen: mit aller Kraft und Phantasie, ohne daß Zaudern oder Erschöpfung erlaubt wären.

Es geht um eine außerordentliche Kraftanstrengung in einer außerordentlichen Situation. Noch nie in der Geschichte hat es eine vergleichbare gegeben.

Daß die christlichen Kirchen an diesem Engagement beispielhaft beteiligt sind, gehört zu den großen Hoffnungszeichen unserer Zeit. Daß Papst und Bischöfe Wortführer dieses Uberlebensdialogs geworden sind, wird die Menschheit, so sie überlebt, nie vergessen dürfen.

Niemand sollte Anstoß an der unvermeidlichen Tatsache nehmen, daß die Bischofskonferenzen einzelner Länder bei der Beurteilung konkreter politischer Verhaltensweisen — wie die einfachen Gläubigen auch - zu unterschiedlichen Schlüssen kommen.

Im schicksalhaften Ringen um das Überdauern des Menschengeschlechtes gibt es kein katholisches Patentrezept. Auch der Heilige Geist arbeitet nich per Protektion. Aber er drängt uns alle. Wer mitdenkt, mitredet, mithandelt, treibt das rettende Gespräch voran. Wer schläft, wer träumt, wer wegschaut, sündigt schwer.

„Jede Sünde hat eine persönliche und eine soziale Dimension“, sagte Johannes Paul II. am 11. September bei der Eucharistiefeier im Wiener Donaupark.

Es ist wahr: Wer die persönliche Sünde leugnet, macht sich mitschuldig an der sozialen Sünde, die als Egoismus, Korruption, Steuerfrevel, Privilegienhabgier und in hundert anderen Gestalten > den Organismus unserer Gesellschaft auffrißt.

Diese „soziale Sünde“, Quelle von Unrecht und damit Friedlosigkeit zwischen Ost und West, Nord und Süd, muß auch als solche massiv bekämpft werden. Als Bundesgenossen auf dem Weg zu einer humaneren und damit gottnäheren Gesellschaft sind heute auch jene unverzichtbar, die ohne konfessionell-dogmatische Motivierung um Gerechtigkeit und Frieden, um Menschlichkeit und Toleranz ringen.

Das wird kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen, der die Welt in ihrem Elend wahrnimmt. Um so erstaunlicher ist es, wenn die vatikanische Glaubenskongregation dieser Tage nichts anderes zu tun hatte, als „auf Anfrage“ festzustellen, daß die Mitgliedschaft von Katholiken bei einer Freimaurerloge weiterhin schwere Sünde und Kommunionspendung an Freimaurer auch künftig verboten sei.

Will da jemand Schnee von gestern, längst nachdem dieser geschmolzen ist, noch einmal zum Gefrieren bringen? Zum Schmelzen dieses Schnees hat der Wiener Erzbischof, Kardinal Franz König, in jahrelangen geduldigen Gesprächen mit maßgeblichen Repräsentanten der Großloge von Österreich einen wichtigen und notwendigen Beitrag geleistet.

Nicht zuletzt diesen Gesprächen ist es zu danken, daß das am 27. November 1983 in Kraft getretene neue Kirchenrecht die automatische Exkommunikation aller Freimaurer nicht mehr enthält. Was soll nun die „Erklärung“ aus Rom, daß sich „eigentlich“ nichts geändert habe?

Zyniker haben eine simple Deutung parat: Die Bischofskonferenz der Bundesrepublik Deutschland hat (in Unkenntnis der Details der König-Verhand-lungen) 1980 die Freimaurerei noch einmal verdammt. Um sich nicht im nachhinein blamiert fühlen zu müssen, hätten Deutschlands Bischöfe nun in Rom eine „Anfrage“ zum Kodex gestellt und von ihrem einstigen Mitbruder Ratzinger, der jetzt die Glaubenskongregation leitet, die interpretierende „Deklaration“ als Antwort erhalten.

Gesunder Sinn schlichter Kirchenmitglieder sträubt sich gegen solch hanebüchene Erklärung: So um Himmels willen wird doch vatikanische Politik nicht geartet sein!

Man möchte also eher an eine Panne oder an den Übereifer einiger Bürokratentheologen denken, der ja wohl auch bei der Formulierung der einen oder anderen Passage des jüngsten Dokuments der vatikanischen Kongregation für das katholische Bildungswesen zum Thema Sexualerziehung am Werke war.

Dieses Dokument verdient zwar keinesfalls die Pauschalverurteilung, die es dank vieler Pauschalwiedergaben erfahren hat. Es enthält viele bedenkenswerte Aussagen in durchaus differenzierender Betrachtungsweise, und dem Grundtenor — Humanisierung des Geschlechtstriebes durch Bekämpfung des Egoismus — ist voll beizupflichten.

Wenn aber in ein und demselben Atemzug die „Freiheiten des Rauschgiftes und des Geschlechtlichen“ verurteilt und die „objektiv schwere Verirrung“ der Masturbation (Vorbeugung: Sport!) qualifiziert werden, gerät Gutgemeintes wieder einmal zur Peinlichkeit.

Nicht Freimaurer und Selbstbe- friediger sind tödliche Gefahren für die Zukunft von Kirche und Menschengeschlecht. Zukunft aber und nicht Kasuistik-Folianten vergangener Tage gilt es ins Visier zu fassen, wenn Kirche ernstgenommen werden will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung