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Zuletzt - eine Zigarette...

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„1945 war der Bua ganze zwölf Jahr' alt!“ hätte wahrscheinlich Leopold Figl gesagt, wenn er gelesen hätte, was Ernst Trost über „Figl von Österreich“ geschrieben hat. Wir kennen Trost schon lange. Seine beiden österreichischen Bücher „Das blieb vom Doppeladler“ (1966) und „Die Donau“ (1968) machten ihn als einen hervorragenden Kenner jüngster österreichischer Geschichte bereits weithin bekannt. Man fragt sich bei der Lektüre seines jüngsten Werkes über den ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik unwillkürlich, wieso es möglich ist, daß jemand, der in den fünfziger Jahren noch die Mittelschule besuchte, ein so profundes Wissen über diese Zeit besitzt und dieses in so hervorragender Weise wiederzugeben vermag. Jahreszahlen und große geschichtliche Daten lernt man gewiß sehr bald, aber es gibt bisher kein zweites Buch, das Inhalt und Geist dieser Zeit so treffend darstellt, wie es in dem Werk über Figl geschieht. Hier wird nicht nur getreulich die Geschichte eines schwergeprüften Landes erzählt, sondern Hintergründe una zusammenhänge aufgedeckt, die dem Leser von heute ein großartiges und wahrheitsgetreues Gemälde einer Zeit entwerfen, die die Österreicher in Erinnerung behalten sollten.

*

Figl war in gewisser Beziehung ein Phänomen; alles andere als das, was man heute gemeinhin einen In-telektuellen bezeichnet, wußte er mit intuitiver Selbstverständlichkeit stets das Richtige. Was Figl tat und sagte, erschien vielen seiner Zeitgenossen oft als sonderbar, manchmal als kaum noch vertretbar und war doch immer wieder das einzig Richtige. Rückblickend läßt sich dieses Phänomen allerdings erklären. In einer Zeit, da Österreich nichts zu melden hatte, da es nur zwei Dinge gab, die wirklich wichtig waren, nämlich nicht zu verhungern bzw. nicht zu erfrieren und möglichst gut mit den Besatzungsmächten auszukommen, zählten politische Programme und logische Folgerichtigkeit nur wenig. Figl war weder ein Programmatiker noch legte er den geringsten Wert darauf, mit der Sonde scharfsinniger Logik beurteilt zu werden. Natürlich war er ein weltanschaulich tief fundierter Charakter. Sein Christentum war für ihn niemals Reklame für irgendetwas, sondern eine Selbstverständlichkeit, die durch nichts erschüttert werden konnte. Aber wenn die Kochtöpfe der Wiener und Niederösterreicher leer waren, traktierte er die kommandierenden sowjetischen und amerikanischen Generäle so lange, bis die Bevölkerung auf die Lebensmittelkarten wieder das Nötigste erhielt. Ich erinnere mich einer Szene in diesem ständigen österreichischen Drama: Es war 1946, als mitten in einer Besprechung im Kanzleramt Figl ans Telephon gerufen und ihm mitgeteilt wurde, daß ein oberösterreichischer Erdäpfeltransport in Amstetten steckengeblieben sei, weil die Russen die einzige zur Verfügung stehende Lokomotive für einen Militärtransport beschlagnahmt hätten. Figl ließ sich sofort mit dem Hotel Imperial, dem Sitz der sowjetischen Militärbehörde, verbinden, und als er den zuständigen Mann am Telephon hatte, stellte er ihm eine einzige Frage: „Wollen Sie wirklich, daß die Wiener nächste Woche verhungern?“ Diese Frage und einige drastische Erklärungen der augenblicklichen Lage in der Lebensmittelversorgung genügten, um die so dringend benötigte Lokomotive zur Verfügung gestellt zu erhalten. Und wer Gelegenheit hatte, Gespräche dieses Bundeskanzlers mit ausländischen Diplomaten über die Notwendigkeit eines Staatsvertrages zu belauschen, mußte sich mehr als einmal darüber wundern, mit welcher „Unsachlichkeit“ Figl diesen Herzenswunsch aller Österreicher vertrat. Aber der Eindruck, den diese Taktik beim ausländischen Gesprächspartner machte, war auf jeden Fall überwältigend. Sein Antrag, sich mit den höchsten Repräsentanten der Großmächte einfach zu duzen, weil das eigentlich selbstverständliche „Sie“ wirkungslos geblieben wäre, wurde niemals abgelehnt und hatte immer Erfolg. Kukuruz und Staatsvertrag, Rüben und Regierungsproteste, Diplomatenempfänge und Heurigenabende waren die Ingredienzen des Menüs, das Leopold Figl Jahre hindurch den Österreichern und der großen Welt in einer Mischung servierte, aus der entgegen allen Gesetzen der Logik schließlich das heißbegehrte Gericht „Staatsvertrag“ entstand. Dazu kam ein unverwüstlicher Optimismus, den er mit einer Ausstrahlungskraft wie kein zweiter seinen Österreichern beibrachte. Optimismus war überhaupt Figls Lebenselixier. Noch wenige Tage vor dem 11. März 1938 sprach er von nichts anderem als daß „Österreich ewig stehen werde“. Als man ihn dann auf der Dachauer Lagers'traße fragte, woher er denn damals noch seinen unbeirrbaren Glauben an den Bestand dieses Landes geschöpft hätte, meinte er wie selbstverständlich: „Na glaubt Ihr denn, daß Österreich nicht wiedererstehen wird?“ Selbst als für Figl beinahe das letzte Stündlein geschlagen hatte — er lag mit schwerem Typhus in der Sanitätsbaracke des Dachauer Konzentrationslagers — war die einzige Antwort auf die besorgte Frage seiner Freunde nach seinem Befinden „gut geht's mir!“. Daß Figl, der später keine Erinnerungsfeier der ehemaligen KZler versäumte und auf seinen Auslandsreisen immer auch mit ausländischen Freunden aus dem KZ zusammenkam, von seiner fünfjährigen Haftzeit niemals Aufsehen machte, ja kaum darüber sprach, machte ihn auch in jenen Kreisen zum populären Volkshelden, die an diesem Leidensweg nicht unschuldig waren. Dazu kam in allen Dingen sein Mut und seine Unerschrockenheit, die er zwischen seiner ersten Entlassung aus dem KZ-Lager und seiner neuerlichen Verhaftung an den Tag legte. Er versäumte in diesen wenigen Monaten keine Gelegenheit, um seinen Bauernbund zu reorganisieren und mit seinen Freunden, Hurdes, Weinberger, Reiter, aber auch mit Seitz, Schärf und Helmer die Zukunft vorzubereiten. Aus der Todeszelle des Volksgerichtshofes im Wiener Landesgericht ging er am 6. April 1945 nicht als gebrochener Mann, sondern energiegeladen in die Freiheit. Seine Berufung zum, die junge österreichische Volkspartei repräsentierenden, politischen Staatssekretär in der provisorischen Staatsregierung Renners erfolgte zunächst zwar nur deshalb, weil Figl als Repräsentant des Bauernbundes auch der Vertreter der einzigen, schon funktionierenden Parteiorganisation war, während sich der österreichische Wirtschaftsbund und der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund damals erst im allerersten Anfangstadium ihres organisatorischen Lebens befanden. Aber aus dieser Situation ergab sich nach den Wahlen vom Dezember 1945 die der österreichischen Volkspartei gegen die Erwartungen der gesamten österreichischen und internationalen Öffentlichkeit eine Mehrheit brachten, wie von selbst der Weg ins Bundeskanzleramt. Dort aber war Leopold Figl in seinem Element. Figl war weniger Parlamentarier als vielmehr ein „Regierer“. Jeweils nach dem Rechten zu sehen, das Notwendige zu tun, nicht viel nach Mitteln und Wegen fragen, aber Erfolge zu erzielen, war sein Element. Er brannte wie eine hellodernde Fackel, Jahre hindurch mit unverminderter Kraft, Vertrauen in die Zukunft ausstrahlend.

So war es auch eigentlich selbstverständlich, daß Figls Zeit als Bundeskanzler abgelaufen war, als es nicht mehr nur darauf ankam, den Österreichern guten Mut zuzusprechen, Erdäpfel herbeizuschaffen und Alliiertenbefehle zwar entgegenzunehmen, aber nicht auszuführen, wenn sie, was ja oft der Fall war, Österreich schadeten. Als die Österreicher genügend zu essen hatten, als es darum ging, eine Teilnahme Österreichs Wirtschaft an der sich entwickelnden Weltkonjunktur zu sichern und als die Sorgen um das tägliche Leben geringer wurden und die Österreicher sich langsam angewöhnten, Programme für die Zukunft zu machen, da verlor die Fackel Figl an Leuchtkraft. Er, der der beste Bundesparteiobmann der ÖVP und Bundeskanzler der Republik Österreich für seine Zeit war, mußte seinem liebsten Freund, Julius Raab, nun den Platz im Kanzleramt und in der Kärntnerstraße räumen. Figl hat die Unvermeidbarkeit einer solchen Entwicklung niemals begriffen; „das ist doch kein Leben, das ich jetzt führe“ sagte er einmal in den sieben Monaten zu mir, da er als Direktor des österreichischen Bauernbundes in der Schenkenstraße in Wirklichkeit auf nichts anderes wartete, als wieder zu Höherem berufen zu werden. Seine Rückkehr auf den Ballhausplatz als Außenminister versöhnte ihn wieder mit dieser Welt. Viele lehnten damals die Entscheidung Raabs, Figl zum Außenminister zu machen, kategorisch ab. Sie sprachen Figl geradezu jede Eignung für dieses Amt ab. Weder hatte er diplomatische Vorbildung, noch konnte er außer „niederösterreichisch“ irgendeine andere Sprache. Aber wer in dieser Zeit Figl jemals bei einer Diskussion mit Außenministern, Königen, Botschaftern und Präsidenten erlebt hat, kam sehr bald zu der Überzeugung, daß die Entscheidung von Julius Raab, die zunächst sicherlich in der engen Freundschaft, die diese beiden Männer verband, ihre Wurzeln hatte, richtig war. Selbst Figls Auftreten am Tag seiner großen Niederlage als Außenminister, nämlich bei der Berliner Außenministerkonferenz 1954, bewies die Richtigkeit von Raabs Entscheidung. Obwohl die Zeit für den Staatsvertrag, nämlich für einen solchen, wie ihn Österreich akzeptieren konnte, noch nicht gekommen war, blieb ein überaus starker, positiver Eindruck haften, den Figl auf die Großen der Welt damals in Berlin gemach' hatte. Wenige Monate später sollten die Früchte reifen. Als Figl freudestrahlend und mit Tränen in den Augen vom Balkon des Schlosses Belvedere am 15. Mai 1955 den Wienern die Unterschriften im Buch des Staatsvertrages vorwies, stand er im Zenit seines Lebens.

*

Was dann kam, war ein würdiger Abgesang für einen großen Menschen. Als Präsident des Nationalrates und schließlich als Landeshauptmann von Niederösterreich, das er im wahrsten Sinne des Wortes regierte, waren ihm immer wieder Beweise der Achtung und der Liebe seitens seiner österreichischen Mitbürger entgegengebracht worden. Auch da blieb er der Figl, wie ihn alle kannten. Schon vom Tode gezeichnet, mühte er sich Tag für Tag um das Wohl seines Landes und war nicht nur einer von neun österreichischen Landeshauptmännern, sondern der Altkanzler, dem, wo immer er sich zeigte, Huldigungen entgegengebracht wurden, wie sie keinem Österreicher der republikanischen Zeit je zuteil wurden.

Unvergeßlich bleibt mir mein Abschied von ihm. Nicht ganz 24 Stunden bevor er diese seine österreichische Welt für immer verließ, bat mich Bundeskanzler Dr. Klaus bei Frau Hilde Figl anzurufen, ob wir beide noch einen Besuch machen können. Diese Frage wurde bejaht. Als wir an sein Krankenbett traten und Figl uns erkannte, ersuchte er seine Frau, uns mit einem Glas niederösterreichischen Weines zu bewirten. Dann verlangte er nach einer Zigarette, behielt sie aber nur in seiner kraftlosen Hand, ohne sie anzuzünden. Wir wußten, daß es das letztemal war, daß wir ihn gesehen hatten. Tags darauf war — wie Ernst Trost sein Buch schließt — in Österreich „ein Platz leer geblieben“.

FIGL VON OSTERREICH: Von Ernst Trost. Verlag Fritz Molden, Wien. 372 Seiten, 20 Abbildungen, c 10a_

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