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Zum 100. Geburtstag Hofmannsthals am 1. Februar 1974

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Wer es unternimmt, Hugo von Hofmannsthals Lebensweg, nicht nur in seinen wichtigsten Etappen, sondern Jahr für Jahr zu verfolgen und nachzuzeichnen, der wird bald bemerken, daß er Neuland betritt, obwohl man bereits den 100. Geburtstag des Dichters feiert und seit seinem Tod schon 45 Jahre vergangen sind. Dabei gibt es eine recht umfangreiche, von Jahr zu Jahr sich mehrende Hofmannsthal-Literatur und sehr bedeutende Einzelforschungen. Aber sie beziehen sich ausschließlich auf das Werk, über das, wie es neulich ein deutscher Publizist formuliert hat, heute bereits die Seminare krabbeln. Eine umfassende und detaillierte Hofmannsthal-Biographie aber gibt es noch nicht, und es wird sie in den nächsten Jahren auch vermutlich nicht geben. Die Gründe sind vielerlei.

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Wer es unternimmt, Hugo von Hofmannsthals Lebensweg, nicht nur in seinen wichtigsten Etappen, sondern Jahr für Jahr zu verfolgen und nachzuzeichnen, der wird bald bemerken, daß er Neuland betritt, obwohl man bereits den 100. Geburtstag des Dichters feiert und seit seinem Tod schon 45 Jahre vergangen sind. Dabei gibt es eine recht umfangreiche, von Jahr zu Jahr sich mehrende Hofmannsthal-Literatur und sehr bedeutende Einzelforschungen. Aber sie beziehen sich ausschließlich auf das Werk, über das, wie es neulich ein deutscher Publizist formuliert hat, heute bereits die Seminare krabbeln. Eine umfassende und detaillierte Hofmannsthal-Biographie aber gibt es noch nicht, und es wird sie in den nächsten Jahren auch vermutlich nicht geben. Die Gründe sind vielerlei.

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Hofmannsthal selbst hat seinem künftigen Biographen wenig Material hinterlassen, ja seine Äußerungen zu diesem Thema sind geeignet, jeden Versuch in dieser Richtung zu entmutigen. Zwar hat er selbst, in mehreren fragmentarisch gebliebenen Anläufen, für den ihm befreundeten Wiener Germanisten Walther Brecht unter dem Titel „od me ip-sum“ Aufzeichnungen gemacht, aber diese beziehen sich, von ganz wenigen Andeutungen abgesehen, ausschließlich auf sein dichterisches Werk. Auch gibt es, im Band 15 der von Dr. Herbert Steiner betreuten Gesamtausgabe, Tagebuchaufzeichnungen aus dem Nachlaß, welche die Jahre 1890 — 1895, 1899 — 1901, 1904 — 1921 und 1922 bis 1929 umfassen. Aber es handelt sich hier um ein — übrigens sehr flüchtiges und fragmentarisches Tagebuch des Dichters, ein Journal spirituel — und keineswegs „intime“. So bleiben uns, um den Lebensweg Hofmannsthals zu folgen, zwei Quellgebiete: Hofmanns-thals Korrespondenzen und die Zeugnisse seiner Freunde. Bisher wurden in Buchform zwölf wichtige Briefwechsel publiziert. Viele kleinere sind in Zeitschriften veröffentlicht worden: mit Hans Carossa, Florenz Christian Rang, seinen Verlegern u. a. Außerdem gibt es zwei — übrigens längst vergriffene Bände mit Jugendbriefen, welche die Jahre 1890 bis 1910 umspannen und einzelne in verschiedenen Zeitschriften mitgeteilte, speziell in den Blättern der Hofmannsthal-Gesellschaft. Aller-wichtigste Korrespondenzen aber wurden noch nicht vollständig herausgegeben: mit Max Reinhardt, Rudolf Kassner, Rudolf Pannwitz, R. A. Schröder u. a.

Was die Erinnerungen der Freunde betrifft, so habe ich selbst schon vor vielen Jahren begonnen, diese zu sammeln. Es handelte sich dabei hauptsächlich um Reminiszenzen der Jugendfreunde und um Artikel, die unmittelbar nach Hofmannsthals Tod, im Juli 1929, erschienen sind. Etwa ein Dutzend Personen, die mit Hofmannsthal befreundet waren oder ihm sonstwie nahestanden, habe ich bald nach 1945 aufgefordert, ihre Erinnerungen aufzuzeichnen. Daraus ist dann das 1949 in einem Wiener Verlag erschienene Buch „Hugo von Hofmannsthal — Die Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde“ entstanden, das 1963 in einer veränderten und erweiterten Neuauflage bei Francke in Bern erschienen ist. Dies also: die Korrespondenzen, die Erinnerungen der Freunde und da und dort verstreut veröffentlichte Dokumente — von denen ich besonders den von Franz Hadamowsky verfaßten Katalog der großen Salzburger Hofmannsthal-Ausstellung von 1959 sowie den von Hadamovsky und Walter Ritzer verfaßten Katalog der großen H.-v.-H-Ausstellung im Prunksaal der Wiener Nationalbibliothek (1971) nennen möchte sind die Quellen für die folgende biographische Skizze. Zu bemerken bleibt nur noch, daß auf die Entstehungsgeschichte der Werke in diesem Rahmen nicht — oder nur fallweise — eingegangen werden kann.

Hugo von Hofmannsthal wurde am 1. Februar 1874 in Wien im Hause Salesianergasse 12, dicht beim Belve-dere, geboren und in der nahen Karlskirche auf die Namen Hugo Laurenz August getauft. In ihm, dem letzten österreichischen Klassiker, dem typischen Wiener Dichter, kreuzten sich vielerlei Blutströme. Sein Vater, Hugo August Peter Hofmann, Edler von Hofmannsthal, zuletzt Prokurist und Präsident der Central-Bodencreditanstalt, stammt groß-väterlicherseits von einem gewissen Isaak Low, der zur Zeit Maria Theresias aus Bayreuth nach Böhmen eingewandert war und im Jahr 1835 geadelt wurde. Dessen Sohn, also Hofmannsthals Großvater, heiratete in Mailand, wo er eine Zweigstelle des Hofmannsthalschen Handelshauses leitete, die Witwe Petronilla Antonia Cacilia Ordioni, eine geborene Rho. Hofmannsthals Mutter hieß Anna Maria Josefa Fohleutner, deren Vater und Großvater aus dem Waldviertel, deren Großmutter mütterlicherseits wiederum aus dem Bayrischen stammten.

Hofmannsthal hat, wie das damals in seinen Kreisen häufig vorkam, keine Volksschule besucht, sondern wurde von Privatlehrern auf den Eintritt in das Akademische Gymnasium, Wien, vorbereitet, das er 1892 mit Auszeichnung absolvierte. Bereits als Schüler veröffentlichte er unter verschiedenen Pseudonymen Gedichte, Essays und Rezensionen. Durch den Schriftsteller Gustav Schwarzkopf wurde er im Herbst 1890 — in Begleitung seines Vaters übrigens — in das bekannte Cafe Griensteidl eingeführt, wo er Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Richard Beer-Hofmann und andere Vertreter der Wiener „Moderne“ kennenlernte. Hier begegnete er auch, ein Jahr später, Stefan George, der ihn bereits bei seinem zweiten Besuch, im Mai 1892, zur ständigen Mitarbeit an den soeben begründeten ^Blättern für die Kunst“ einlud. In deren allererstem Band, im Oktober des gleichen Jahres, erschien Hofmannsthals „Tod des Tizian“. Wichtige künstlerische Eindrücke dieser Jahre waren: ein Gastspiel von Eleonora Duse in Wien (worüber Hofmannsthal begeistert schrieb), eine Reihe von Ausstellungen mit Werken zeitgenössischer Maler — und Josef Kadnz auf der Bühne des Burgtheaters.

Schon die Lektüre des 18jährigen ist weitverzweigt und so umfassend, daß man sie kaum nachvollziehen kann. In den Jahren 1893 und 1894 lernt Hofmannsthal einige Freunde kennen, mit denen er bis an sein Lebensenide bzw. bis zu deren Tod verbunden blieb: Leopold von Andrian, die Brüder Georg und Clemens Freiherrn von Franckenstein, den k. u. k. Linienschiffsleutnant Edgar Graf Karg von Bebenburg sowie den Offizier und Schriftsteller Robert Michel.

Die erste Auslandsreise unternahm Hofmannsthal unmittelbar nach der Matura in Begleitung seines privaten Französischlehrers, der übrigens einen größeren Einfluß auf ihn hatte als irgendeiner seiner Mittelschulprofessoren. Diese Reise führte über die Schweiz nach Südfrankreich und von dort über Marseille und die Riviera nach Venedig.

Auf Wunsch seines Vaters begann Hofmannsthal im Herbst 1892 an der Wiener Universität das Jusstudium, das er aber nach vier Semestern unterbrach, um sein Einjährig-Freiwilligen jähr abzudienen. Verweilen wir gleich bei der militärischen Karriere Hofmannsthals. Nach Bendi-gung seiner einjährigen Dienstzeit wurde Hofmannsthal zum Kadettoffiziersstellvertreter im Ulanenregiment 8 befördert, am 1. Jänner 1897 wurde er Leutnant der Reserve. Weitere Beförderungen erfolgten nicht. Ende des Jahres 1905 trat Hofmannsthal aus der Landwehr aus und legte die Offizierscharge ab. Das militärische Abenteuer, welches ihm immerhin die Kenntnis weit abgelegener östlicher Teüe der Monarchie vermittelte, endete zwar ohne intellektuellen Protest, aber doch mit einer leichten Enttäuschung. In späteren Jahren empfand er die Unterbrechung seiner dichterischen Arbeit durch die anstengenden Manöver als störend.

Während seines Ein jährig-Fredwilligen Jahres reifte auch der Entschluß, das juridische Studium mit dem der romanischen Philologie zu vertauschen. Diese Wahl wurde einerseits durch Hofmannsthals Neigung zu den Sprachen und der Kultur der Romanen, anderseits auch im Hinblick auf eine spätere gelehrte Laufbahn bestimmt. Zu Beginn des Wintersemesters 1895 inskribierte Hofmannsthal an der Philosophischen Fakultät Vorlesungen von Adolf Mussafia, Wilhelm Mayer-Lübke u. a. über romanische Sprachen und Literatur. Außerdem hörte er Alfred Freiherm von Berger über verschiedene Themen aus dem Gebiet der Ästhetik sowie Vorlesungen von Emst Mach und Friedrich Jodl. Nach Ablegung der Fachprüfungen wurde er im März 1899 zum Doktor der Philosophie promoviert. Das Thema seiner Arbeit war „Der Sprachgebrauch bei den Dichtern der Plejade.“

Während seiner ersten Studienjähre, denen des Jus-Studiums, war Hofmannsthal häufig Gast bei der alten Frau von Wertheimstein, in deren schönem Haus und großem Garten in Döbling er viele Tage verbrachte. Die durch ihre Krankheit und ihren Tod verursachte Erschütterung klingt nach in den „Terzinen über die Vergänglichkeit“, die Ende Juli 1894, unmittelbar nach dem Tod Frau von Wertheimsteins, in Bad Fusch entstanden. Hier, in Strobl, auf dem Semmering und später in Altaussee und in Bad Aussee, pflegte er häufig entweder die Sommer- oder Herbstmonate zu verbringen. Sein Interesse galt in dieser Zeit besonders der Kunstform der Novelle. Das „Märchen der 672. Nacht“ wird beendet und andere Erzählungen begonnen, deren Fragmente noch der Veröffentlichung harren. Das Jahr 1897 ist dichterisch, aber auch was literarische Erfolge betrifft, besonders ergiebig. Mitte Juni war im Arkadenhof des Wiener Rathauses Calderons „Großes Welttheater“ in der Übersetzung Eichendorffs aufgeführt worden. Im August und September unternimmt er eine große Radtour ins nördliche Italien. Während eines Aufenthaltes in Varese schreibt er während der ersten Wochen über 2000 Verse. Es ist dies vielleicht Hofmannsthals glücklichste und produktivste Zeit, als „Das kleine Welttheater“, „Der weiße Fächer“ und „Die Frau im Fenster“ niedergeschrieben werden und die Pläne zu „Die Hochzeit der Sobeide“ und „Der Kaiser und die Hexe“ auftauchen.

Kontakte mit Otto Brahm, dem Leiter der Berliner „Freien Bühne“ und, durch Hermann Bahr, mit dem Direktor des Wiener Burgtheaters Max Burkhard rücken die Chance einer Aufführung seiner Stücke an zwei der bedeutendsten deutschen Bühnen in greifbare Nähe. In der Tat wird am 5. Mai des folgenden Jahres „Die Frau im Fenster“ im Rahmen einer Matinee der „Freien Bühne“ in Berlin uraufgeführt, und ein weiteres Jahr später, am 18. März 1899 gibt es sogar eine Doppelpremiere: am Burgtheater und im Deutschen Theater Berlin erleben „Der Abenteurer und die Sängerin“ und „Die Hochzeit der Sobeide“ ihre Uraufführung. Diese beiden Stücke hatte Hofmannsthal während seiner nächsten Italienreise, die von Mitte August bis Anfang Oktober währte, geschrieben.

Im gleichen Jahr (1899) erschien auch Hofmannsthals erster Beitrag in der damals angesehensten bürgerlichen Zeitung Wiens, der „Neuen Freien Presse“, zwischen 1897 und 1899 veröffentlichte er Verschiedenes in der luxuriös ausgestatteten, von Eberhard von Bodenhausen geleiteten Zeitschrift PAN. Dichterisch steht das Jahr im Zeichen des märchenhaften Trauerspiels „Das Bergwerk von Falun“, das er im Hochsommer in Marienbad beginnt. Aber diese Arbeit bereitet Schwierigkeiten. In Aussee und Vahren bei Brixen wird die unterbrochene Arbeit wiederaufgenommen und werden zwei Fassungen des dritten Aktes verworfen. Im Herbst wird das Stück in Venedig vorläufig beendet — aber später von Hofmannsthal nie zur Aufführung freigegeben.

Im folgenden Jahr, 1900, ist ein Aufenthalt in Paris von besonderer Bedeutung, der vom 11. Februar bis zum 2. Mai währte. Unterwegs dahin hatte Hofmannsthal in München Rudolf Alexander Schröder und Walter Heymel, die Herausgeber der INSEL, besucht. In Paris erwarteten ihn die Brüder Franckenstein und sein späterer Schwager Hans Schlesinger. Sie vermitteln zahlreiche literarische Bekanntschaften, von Anatole France bis Maeterlinck, dessen Stück „Les Aveugles“ Hofmannsthal vor einigen Jahren für eine Privataufführung übersetzt hatte- und der seinerseits „Die Frau im Fenster“ ins Französische übertragen wollte. Großen Eindruck machen ihm Persönlichkeit und Werk von Auguste Rodin, den er in seinem Atelier in Meuden besucht. Hofmannsthal ist viel, fast allabendlich, im Theater und empfängt hier bleibende Eindrücke. Aus dem Handgelenk wird „Poil de Carotte“ von Juleis Renard übersetzt — ein Beweis, in welch hohem Maße er die französische Sprache beherrschte und mit welcher Leichtigkeit er sich ihrer bediente. An eigenen Arbeiten entsteht nicht viel, obwohl er an manchen Tagen zehn bis zwölf Stunden in seinem Zimmer arbeitet. Die Ablenkungen waren zu stark. Dagegen festigt dieser Aufenthalt den Entschluß, künftig als Dichter leben zu wollen. Um daran aber konsequent festzuhalten, bedurfte es noch einiger Erfahrungen, die dazu beigetragen haben, daß aus „Loris“ der Dichter Hofmannsthal wurde ...

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