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Zum Handkuß gekommen

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Der Titel verwirrt: Gibt's jetzt schon „Geheimdiplomatie im Vatikan"? Nein, nein, Hansjakob Stehle heischt nur um Verständnis für das Verhältnis der Päpste zu den Kommunisten. Was bei den diversen Arrangements auf der Strecke blieb, waren Menschen, Ideen, Experimente - kurz: eine lebendige Kirche - meint der Ostexperte Franz Hummer.

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Der Titel verwirrt: Gibt's jetzt schon „Geheimdiplomatie im Vatikan"? Nein, nein, Hansjakob Stehle heischt nur um Verständnis für das Verhältnis der Päpste zu den Kommunisten. Was bei den diversen Arrangements auf der Strecke blieb, waren Menschen, Ideen, Experimente - kurz: eine lebendige Kirche - meint der Ostexperte Franz Hummer.

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Um das Buch als solches hat man in Vergangenheit und Gegenwart geradezu einen eigenen Mythos geschaffen, Sprichwörter wie „Bücher haben ihr Schicksal" bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit geklopft. Dies gilt auch für den zum dritten Mal in deutscher Sprache vorgelegten Versuch, das römische Taktieren, genannt „vatikanische Ostpolitik", wortreich und mit vielen Zitaten und Faksimilen zu verteidigen.

Ein Vorhaben, eine Politik zu verteidigen, ist jedermanns Recht; das Gegenteil zu bringen auch. Von Hansjakob Stehle hätte man sich freilich - nicht zuletzt weil er sich für den Geschichtsschreiber der vatikanischen Zeitgeschichte hält - im vierten Jahr nach der „Wende" ein anderes, selbstkritischeres Buch erwartet. Denn: der unerbittliche Ritt der Zeit hat sowohl das vatikanische „Hirn" als auch den hilfreich herbeigeeilten Vielschreiber einfach überrollt. Das ist eine Tatsache. Tatsache ist aber auch, daß sie dies bisher nicht bemerkt haben oder aber gar nicht wahrhaben möchten.

Einer tieferen Deutung böte sich auch das Titelbild an - der Kreml spiegelverkehrt zum Petersdom.

Symbol für zwei ähnlich strukturierte und durchdisziplinierte Systeme?

Trotz Öffnung der Archive bleibt die Ausbeute dürftig. Die Ergänzungen und Konklusionen (nach 1989) sind mager, fahrig und lieblos gearbeitet. Leider hat auch schon auf der letzten Seite der Zeitteufel gewütet. Die hauptschuldige „Rußland-Kommission" ist wenige Tage nach Absetzen des Vorwortes eines „natürlichen Todes verstorben". Stehle hingegen wähnt „Pro Russia" 1992 noch im „Umbau". Um diesen „Umbau", um nicht von Abbau zu sprechen, kreisen die Ideen des emeritierten Rom-Korrespondenten.

Die besondere Schwäche des 400-Seiten-Buches liegt nun darin, daß Stehle „heiße Eisen" zwar kurz erwähnt, sich mit ihnen aber dann gar nicht echt auseinandersetzt oder im Klartext: Es fehlen ihm die passenden vatikanischen Dokumente bzw. päpstlichen Enuntiationen.

Als Beispiele seien folgende „Stichworte" (es fehlt übrigens ein Stichwortverzeichnis, was das Buch deshalb nur schwer benutzbar macht) „Geheimbischöfe" und „Bi-Ritualis-mus" genannt. Schon auf Seite 30 kann Stehle mit den Praktiken des Bi-Ritualismus „auffahren", ohne sie wirklich auch für den unvoreingenommenen Leser näher zu erklären. Dazu kommt, daß beide Stichworte die Möglichkeit geboten hätten, in schwierigen Zeiten legale Mittel zur Ausarbeitung neuer Modelle zu geben.

Die Gläubigen, die Priester und die verfolgten Bischöfe wurden von Rom und der katholischen Weltkirche de facto im Stich gelassen.

Der Bi-Ritualismus war in zahlreichen Ländern Ostmitteleuropas ständig geübte Praxis, den Gläubigen wohlvertraut und - was wichtig ist -von ihnen auch akzeptiert. Mit Hilfe des Bi-Ritualismus hätte man, wie manjetzt sehen kann, beachtliche neue Modelle von kirchlichen Zellen (Hauskirche im Sinne der alten Kirche) bilden können.

Auf gar keinen Fall hinnehmen kann man Stehles geringschätziges Schreiben über die aktuelle Diskussion um den Geheimklerus. Eine solche Behandlung haben sich geprüfte und noch immer an ihrer Kirche leidende Männer und Frauen nicht verdient. Von Interesse ist auch, daß Stehle mit keinem Wort auf die verschiedenen Generationen von Geheimbischöfen in unseren Nachbarländern eingeht. Bemerkenswerterweise wird nun der Brünner Geheimbischof, Felix Davi-dek in einem positiveren Licht dargestellt (vgl. 1. Auflage beziehungsweise die Taschenbuchausgabe). Was soll aber der Hinweis auf die gemeinsamen Reisen mit der Generalvikarin in die UdSSR? Wink mit dem Zaunpfahl, ein bißchen KGB, Sex and Crime - oder mehr?

Allein schon die Tatsache, daß Stehle mjt keinem Wort die tatsächliche Größe des Experiments Geheimkirche in Ostmitteleuropa auch nur anreißt, gibt zu denken. Entweder hat sich Stehle mit der Thematik nicht mehr beschäftigt oder er weiß nichts über die neuesten Entwicklungen (wäre ja für Rom peinlich). Auch die Frage der Frauenordination ist kaum angegangen. Was Stehle über die Bedeutung der Bischofsweihe sagt, ist theologisch so nicht haltbar. Freilich ist Stehle kein Theologe, sondern Historiker.

Als besonders peinlich habe ich die Darstellung der Rolle Kardinal Jözsef Mindszentys empfunden. Denn heute weiß man sehr genau, daß der vielzitierte und als Allheilmittel angepriesene Modus vivendi im speziellen Fall Ungarns - und auch sonstwo - nichts gebracht hat. Heute weiß man vielmehr, daß nur dort lebendiges Christentum blüht, wo schon kleine, geheimkirchliche Strukturen existierten.

Stehle hat im Grunde ein anti-römisches Buch vorgelegt, freilich ohne dies zu wollen; anti-römisch in dem Sinn, weil klar wird, daß das römische Zentrum bedrängten Bischöfen nicht nur nicht geholfen, sondern diese in vielen Fällen direkt ins Martyrium getrieben hat (Rußland, Rumänien).

Stehles Buch ist ein anti-römisches Buch, weil es eine einseitige Darstellung bietet, viele Halbwahrheiten, und nur diplomatischen Winkelzügen nachspürt. Bis zum heutigen Tag fehlt der Einsatzplan für den Tag X (hinter vorgehaltener Hand werden die sogenannten „mexikanischen Fakultäten", Sondervollmachten der Päpste für die verfolgte Kirche, gehandelt) und jeder Hinweis auf die dramatischen Vorgänge in der Volksrepublik China, wo romtreue Bischöfe, Priester und Gläubige schon wieder zum Handkuß kommen.

Man hat sich diplomatisch arrangiert; Rom geht indirekt über Leichen; wenngleich niemand diese Leichen in anderer Form wünscht.

GEHEIMDIPLOMATIE IM VATIKAN. Die Päpste und die Kommunisten. Von Hansjakob Stehle. Benziger Verlag, Zürich 1993. 440 Seiten mit 27 s/w Abbildungen, öS 375.-.

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