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Zum Handwerk des Autors

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1.

Demosthenes war berühmt für den auch akustischen Stil seiner Rede, genauer gesagt: für den Rhythmus derselben; wobei das ganze Geheimnis darin bestand, die Folge von mehr als zwei kurzen Silben, wo immer möglich, zu meiden.

Doch in dem Maße, in dem wir vom Hören zum Lesen wechselten, ging uns das Ohr für solche Feinheiten langsam verloren, und wir genieren uns heute schon nicht mehr, einmal betonte Silben zu häufen und dann wieder meh-

rere unbetonte verplätschern zu lassen; obwohl doch schon oft zur besseren Hörbarkeit auch des Geschriebenen völlig genügte, das Dativ-E wieder in seine Rechte zu setzen und umgekehrt manchmal auf eines der E im Komparativ zu verzichten, oder ein Wortungetüm in seine Bestandteile zu zer-

legen; und nahezu immer und überall würde ein anderer Satzbau die Wörter zu besserer Geltung bringen.

Kurzum, wir schreiben so eckige, sperrige oder so breiige Prosa, weil wir dabei nicht mehr gleichsam lyrisch empfinden. Speziell der Ruin der Lyrik im späteren Expressionismus und dann seit Brecht war der Untergang unserer Prosa-Literatur. Getretner Quark wird bekanntlich breit, nicht stark.

2.

Am Tagebuch hat mich, sowohl beim Lesen von solchen als auch beim Schreiben eigener, stets irritiert das verstohlene Schielen nach späteren Lesern, speziell das Prunken vor diesen mit durchformulierter Schonungslosigkeit gegen sich selber: der Autor kniet zwar reuig im

Beichtstuhl, doch nicht vor dem Priester, sondern vorm Mikrophon, und ein Lautsprecher ruft das Sündenbekenntnis über den ganzen Kirchenplatz draußen.

Gewiß, man macht sich beim Niederschreiben von etwas doch weniger vor als im heimlichen Mauscheln der Gedanken; im günstigsten Falle gibt man im Stilisieren sich selber erst Haltung, sich selber Stil. Jedoch, man verbannt in dem Hinblick auf spätere Publikation aus dem Tagebuch alles das, was einen in den Augen der Leser herabsetzen oder gar lächerlich machen könnte: all das, und gerade das, weswegen das eigene Tagebuch später selber zu lesen, das heißt es auf die eigne Person hin wieder und wiederum zu befragen, erst nützlich und deshalb sinnvoll wäre.

So ist das Tagebuch Absolution in dem Tarn- oder Narrenkleide

der Konfession. Es ist Hochmut in der Pose der Demut.

3.

Die Forderung an den Dichter, er soll sich beim Schreiben was denken, zeugt von profundem Unverständnis bezüglich der geistigen Mechanismen. Sich beim Schreiben was denken, das gibt einen anderen Autor: den Philosophen, den Essayisten, den Fach-und Sachschriftsteller, den Journalisten. ,

Der Dichter hingegen muß vorher denken; und nicht etwa an den Gegenstand seiner Dichtung, an diese selbst, sondern sozusagen an Gott und die Welt, will heißen: an alles, beziehungsweise an irgend etwas: an und über den Bahnhofsbetrieb, an und über die Krankheit der Schwägerin, an und über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde,

an und über das Welken und Fallen der Blätter, an und über die Punischen Kriege: was ihm grad vorkommt, und wie es ihm eben unterkommt.

Doch just von diesen Dingen darf er durchaus nicht handeln in seiner Dichtung, ehe sie, diese Dinge, nicht völlig vergessen sind: abgesunken vom Kopf in den Bauch, wo sie nicht mehr gedacht werden, sondern von selber wachsen: sich mit einander verknüpfen, verknoten, sich mit einander vermengen, vermischen, endlich sich gradezu amalgamieren — und sich dann eines Tages ganz wie von selber schreiben, niemanden saftiger überraschend als ihren Dichter selbst.

So organisiert sein, und den also gegebenen Mechanismen gehorsamen, das allein macht den poeta doctus, im Gegensatz zu dem gelehrten Autor. Während der Dichter, der sich beim Schreiben, statt vor demselben, was denkt, daher weder ein Dichter ist noch auch ein Philosoph, ein Essayist, ein Fach- oder Sachschriftsteller, ein Journalist, sondern bloß ein Patzer.

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