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Zum neuesten Sdiott

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Ohne Übertreibung kann und muß gesagt werden, daß mit der Veröffentlichung des neuen Schott für die Diözesen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Südtirols, Luxemburgs und Lüttich ein Wendepunkt in der Feier der Liturgie eingetreten ist Vor mehr als 400 Jahren wurde unter Papst Pius V. das „Missale Romanum ex Decreto S.S. Coricilii Tridentini“ 1570 herausgegeben und vorgeschrieben. Von diesem Missale konnte der Benediktiner Anselm Schott 1884 zum ersten Mal eine deutsche Übertragung samt den erforderlichen Einführungen den deutschsprachigen Laien zur Verfügung stellen. Die letzte Ausgabe dieses „Schott“ erschien 1966, nachdem das Gebetbuch mit seinen mehr als 67 Auflagen in x-mal hunderttausend Exemplaren verbreitet worden war. Inzwischen wurde die längst fällige Reform auch des Meßbuches vom Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen, worauf die Richtlinien für die Durchführung bald folgten.

Jetzt, nach einigen Jahren größter Verwirrung, Willkür und Unübersichtlichkeit, aber auch intensivster Zusammenarbeit zahlreicher Spezialisten, ist der „Große Sonntags-Schott“ erschienen, womit die unleidliche Übergangszeit mit ihren wahllosen Experimenten, den abgegriffenen Handzetteln und verschmuddelten Heftchen zum Glück ein Ende gefunden hat. Bei dem hier besprochenen, in der wunderschönen Adamas-Antiqua-Letter gedruckten und vorzüglich gebundenen Meßbuch handelt es sich ausschließlich um einen Sonntags-Schott, in dem also nur die Messen aller Sonntage und der Feste des Kirchenjahrs sowie der wichtigsten Heiligenfeste enthalten sind. Dennoch ist dieser Band mit seinen mehr als 1800 Seiten umfangreicher als alle vorherigen, Schott-

Ausgaben, in denen die Meßtexte nicht nur der Sonntage, sondern auch aller Wochentage in einem Band vereinigt waren. Die Erklärung dieses Zuwachses liegt darin, daß im neuesten Schott statt zwei jetzt drei Lesungen vorliegen, vor allem aber, daß deren Zahl verdreifacht wurde, und erweitert auf drei Lesejahre (A, B, C). Ferner wird jede dieser Lektionen vorher in biblischer, liturgischer und pastoraler Hinsicht eingeleitet und erläutert. Wenn eine Lesung gelegentlich etwas länger ausfällt, folgt zumeist noch eine alternative Kurzfassung, wie sich am deutlichsten bei den Passionsberich-ten in der Karwoche zeigt. Die eigentlichen Orationen, also Eröffnungsvers (Introitus), Tages-, Gabengebete, Kommunionvers und Schlußgebet bleiben mit dem entsprechenden lateinischen Wortlaut für jedes Jahr gleich, sie werden aber auch im Text des zweiten und dritten Lesejahrs nochmals zur Gänze (deutsch-latein) abgedruckt, upft dem Benutzer das lästige Suchen und Zurückblättern zu ersparen.

Als weitere und wertvolle Erweiterung gilt eine Art Leitgedanke „Für den Tag und die Woche“, der jede Messe abschließt Diese eher meditativen Gedanken sind ausschließlich den geistlichen Werken gegenwärtiger Autoren entnommen, auch begegnen wir hier nicht nur katholischen Namen, wie K. Rahner, Luise Rinser, H. Urs von Balthasar, G. Bernanos, Guardini, Oosterhuis usw., sondern auch Kierkegaard, Ta-gore, M. Buber, Dag Hamerskjöld, K. Barth und vor allem immer wieder D. Bonhoeffer. Diese Neueinführung ist sehr zu begrüßen, weil der Benutzer hier eine Stütze findet, die es ihm ermöglicht, den Übergang vom offiziellen Kirchengebet zur persönlichen Betrachtung zu vollziehen. Hier wird also nicht aus den Schätzen der Kirchenväter oder der mittelalterlichen Mystik geschöpft, weil sich die Auswahl bewußt auf solche geistliche Schriftsteller beschränkt, die das religiöse Selbstverständnis der Gegenwart und die heutige Spiritualität zutiefst erfaßt und vielleich sogar mitgeprägt haben.

Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß infolge dieser Erweiterungen neben dem Sonntagsmissale auch noch ein „Großer Wochentags-Schott“ in zwei Bänden gleichen Formats (je zirka 2000 Seiten) notwendig geworden ist, der demnächst erscheinen wird. Der 1. Band erstreckt sich vom Advent bis einschließlich 13. Woche im Jahreskreis, der 2. von der 14. bis zur 34. Woche, Als weitere Folge dieses Wachstums weist sich die Notwendigkeit eines „Volks-Schott“, dessen erster Band (für das Lese jähr B mit zirka 1000 Seiten) gleichfalls in nächster Zeit zu erwarten sein wird. Unwillkürlich kommt einem hier das Parkin-sonsche Gesetz in den Sinn: Work expands to fül time available.

Dennoch überwiegen die Vorteile bei weitem. Durch die Erweiterung der Lektionen über drei Jahre, werden die Gläubigen mit einer bedeutend größeren Anzahl von Bibelbüchern, besonders des Neuen, aber auch des Alten Testaments, vertraut gemacht. Was das N. T. betrifft, wurden — mit Ausnahme des 2. und 3. Johannes- sowie des Judasbriefs

— Texte aus allen Schriften aufgenommen. Für die Vermittlung des biblischen Jesusbildes bedeutet es es einen großen Fortschritt, daß nahezu alle Texte der Synoptiker

— über drei Jahre verteilt — hier Aufnahme gefunden haben. Im Gegensatz zum früheren Missale Romanum enthält das neue Meßbuch bedeutend ausführlichere Auszüge aus einer viel größeren Anzahl alt-testamentlicher Schriften. Nur ganz wenige Bücher fallen aus, wie etwa Leviticus und Numeri, aber wen wundert das? Auch sind von drei Kleinen Propheten keine Zitate vorhanden, aber man vermißt sie nicht ebensowenig wie Auszug aus dem Hohelied. Um so mehr weiß man es zu schätzen, daß gerade die Psalmen als vorzügliche Gebetsmodelle ständig herangezogen werden, während die Propheten — insbesondere Jesajas — sehr ausgiebiges Material zur Ausgestaltung der Messiasidee beisteuern.

Im allgemeinen steht bei der Textauswahl der konsequent befolgte heilsgeschichtliche Leitgedanke im

Vordergrund. Dasselbe gilt für die einleitenden Erläuterungen, welche die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf geschichtliche, philologische oder literarkritische Einzelheiten, sondern vielmehr auf die theologischen, besonders heilsgeschichtlichen Aspekte richten. Gerade die Auswahl der Texte sowie die Erläuterungen verraten ein Höchstmaß an Zusammenarbeit zwischen Biblikern, Dogmatikern und Liturgiewissenschaftlern, für deren Leistung man nur die größte Bewunderung haben kann. Begreiflicherweise werden wichtige Texte gelegentlich mehr als einmal herangezogen, wie etwa der Weihnachtsbericht, die Seligpreisung, das Magnificat und manches mehr.

Für die Übersetzung der liturgischen Texte im engeren Sinn (Ora-tionen, Antiphonen, Präfationen usw.) sowie der biblischen Auszüge zeichnen nicht die Herausgeber verantwortlich, weil sie dieselben den kirchenamtlichen Texten und der sogenannten Einheitsübersetzung der Bibel entnommen haben. Für die neue Aus wähl der Lektionen jedoch übernehmen sie die Verantwortimg, vor allem für die einleitenden Erläuterungen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß die Bibelwissenschaft und die Übersetzungstechnik unter Katholiken inzwischen so weit fortgeschritten Sind, daß in dieser Beziehung kein Rückstand mehr einzuholen wäre. Gleichfalls wurde der Beweis erbracht, daß die katholische Liturgiewissenschaft einen bis dahin kaum gekannten Höhepunkt erreicht hat.

Über einzelne Übersetzungen ließe sich diskutieren, so Mt 25, 32, wo es heißt: „Schafe von den Ziegen (statt Böcken) scheiden“, oder Lk 2, 19, wo von Maria gesagt wird, daß sie alle Geschehnisse „in ihrem Herzen bewegte“. Anderseits ist man gerne einverstanden mit der Übersetzung der Seligpreisung: „Wohl denen, die vor Gott arm sind“ (paupe-res spiritu). Es verdient Beachtung, daß in diesen Lesungen der alttesta-mentliche Gottesnahme Jahwe nicht aufscheint, obgleich die Jerusalemer Bjbel und die von ihr abhängigen deutschen Ubersetzungen diesen Namen ständig (in den jahwisti-schen Abschnitten) anführen. Wenn man aber von der Einheit der biblischen Schriften ausgeht und bedenkt daß dieser Gottesname weder im Neuen Testament noch in der liturgischen Tradition der Kirche, noch auch in der Überlieferung der Synagoge gebräuchlich ist kann man der Entscheidung der Schott-Herausgeber nur beipflichten.

Nähere Aufmerksamkeit verdienen noch einige bereits angeschnittene Aspekte. Sehr viele Benutzer, und nicht nur Priester, sondern auch gebildete Laien, die das Latein noch einigermaßen beherrschen, werden es dankbar begrüßen, daß die Orationen nicht nur in einer deutschen Fassung, sondern auch in dem manchmal formvollendeten lateinischen Wortlaut vorliegen. Vergleichend werden sie dann“ feststellen können, daß die deutsche Fassung keineswegs die herrliche claritas et brevitas latina besitzt, bei näherer Betrachtung aber erkennen, daß die deutsche Sprache ganz anders strukturiert ist und außerdem ihre eigenen Gebetsformen entwickelt hat. Es stimmt zwar, daß in manchen lateinischen Orationen eine abgeklärte Kühle vorherrscht, diese wird jedoch durch ihre einfache und doch so tiefe Theologie wettgemacht, nämlich durch das beherrschende Leitmotiv, daß der Mensch alles Gute im Sein, Denken und Handeln seinem Gott verdankt und daß er dieses Gute ohne Gottes weitere Hilfe noch weniger zur Vollendung wird bringen können.

Es muß daher dankbar vermerkt werden, daß die schönsten und ergreifendsten Orationen wiederum de)n früheren Missale Romanum entnommen wurden. Es handelt sich besonders um die Gebete der Hochfeste und der Sonntage im Jahreskreis, die zum großen Teil aus der Mitte des 8. Jahrhunderts stammen und den ältesten Sakramentarien (Vero-nense, Gelasianum, Gothicum und Missale Francorum) entnommen sind. Vielleicht bestechen sie gerade deshalb durch ihre Schönheit. Anderseits ist es begreiflich, daß weniger wertvolle Gebete oder mißverstandene Lesungen durch bessere ersetzt wurden. Am Fest von Maria Aufnahme in den Himmel etwa brachte das alte Missale Auszüge aus Kapitel 27 des Buches Ecclesia-sticus (Sirach). Dieser Text war seinerzeit, besonders in seiner lateinischen Fassung, bei jungen Gymnasiasten und Seminaristen äußerst beliebt, weil die Weisheit hier in so schönen Vergleichen und Bildern besungen wird: „Wie eine Zeder des Libanon wuchs ich empor und wie eine Zypresse auf dem Hermongebirge. Wie eine Palme zu Engedi wuchs ich empor und wie eine Rosenpflanzung in Jericho, wie ein prächtiger Ölbaum in der Ebene und wie eine Platane am Wasser...“ Nur zeigte sich bei näherer Betrachtung kaum ein Zusammenhang mit der Mutter Gottes oder mit ihrer Aufnahme in den Himmel, weshalb diese Lesung durch die Vision aus Offenbarung Kapitel 12 ersetzt wurde. Auch das frühere Evangelium dieses Festes, handelnd von Maria und Martha (Lk 10), wurde nicht übernommen und durch den Besuch Marias bei Elisabeth und das Magnificat ersetzt.

Je mehr man sich mit der Revision des Missale befaßt, um so tiefer ist man von der Notwendigkeit einer Reform überzeugt, gleichzeitig aber seilt man fest, daß die Erneuerung nichts mit einer liturgischen „Kulturrevolution“ zu tun hat Es zeigt sich im Gegeneil, daß manches noch immer vom früheren Mutterboden genährt wird, so die Lektionen im Jahreskreis, die auch jetzt wieder den Briefen an die Römer, Korinther, Epheser, Galater und Hebräer entnommen sind. Auch die Auswahl der Evangelien weist insoweit eine Ähnlichkeit mit der früheren auf, als zuerst eine Gruppe von Gleichnissen gebracht wird, die dann am Ende ihren Abschluß in den escha-tologischen Reden Jesu finden. Auch die einprägsamen Eröffnungsverse an den gleichen Sonntagen haben sich behauptet: Ad te levavi (1. Adv.), Gaudete (3. Adv.), Rorate (4. Adv.), Laetare (4. Fasten) und Judica (5. Fasten).

Nachstehende Bereicherungen verdienen besondere Würdigung. Tm Proprium finden sich vier Modelle für das Hochgebet sowie 69 Präfationen, ferner gibt es fünf Anhänge, von denen der erste am wichtigsten ist, weil er eine Fülle (Seiten 1165 — 1719) von Fürbitten für verschiedene Feste und Anliegen enthält. Der letzte Anhang ist wieder ganz genau auf das religiöse Empfinden der Gegenwart abgestimmt und führt die bezeichnende Überschrift: „Versuche zu beten“. Hier wird zum Teil auch aus der Byzantinischen Liturgie, aus Condren und M. Sailer usw. geschöpft, das meiste aber stammt aus den unübertroffenen Psalmen. Gebote werden Gebetsmodelle für verschiedene Tageszeiten und Lebenslagen, es folgen dann einige Hymnen und Sequenzen (deutsch-latein) und mehrere Litaneien, auch eine ganz neue: „Biblische Litanei“.

Überblickt man das ganze Gebetbuch, so muß es als ein sehr gelungener Versuch bezeichnet und empfohlen werden. Die zahlreichen ungenannten Mitarbeiter verdienen mit den Herausgebern den Dank nicht nur unsererer, sondern auch der nächsten Generation. Mit diesem Schott, dessen Geist hier noch immer lebendig ist, haben die deutschsprachigen Bischöfe ihren Gläubigen jenes Hilfsmittel in die Hand gegeben, das diese brauchen, um gemeinsam mit der Kirche die wichtigste und erste Aufgabe zu erfüllen: im Gebet Gott zu loben, ihm zu danken und ihm ihre Bitten zu unterbreiten. Alle anderen Aufgaben und Betätigungen oder Anliegen — auch die gesellschaftspolitischen — müssen auf dieses erste und höchste Ziel gerichtet bleiben. Wenn die Gläubigen auf dieses Hilfsmittel verzichten, steht es schlecht um die Kirche, greifen sie aber zu und vollzieht sich die Erneuerung, so hat für die Kirche eine Sternstunde geschlagen.

DER GROSSE SONNTAGSSCHOTT. Für die Lesejahre A, B, C Mit Einführungen herausgegeben von den Benediktinern der Erzabtei Beuron. Verlag Herder Freiburg-Basel-Wien, 1975, 1855 Seiten, Zweifarbendruck auf Bibeldünndruckpapier.

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