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Zum Nulltarif geht's nichteiüöV

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Der Kabarettist Hans Peter Heinzl brachte unlängst in seiner Fernsehsendung „Achtung Stufe“ das zentrale agrarpolitische Problem der Industriestaaten auf einen gemeinsamen Nenner: die Bauern, meinte er, ziehen in die Stadt, weil sie zu wenig verdienen, die Städter auf das Land, weil sie zu viel Geld haben.

19 „Grüne Berichte“ nach dem Landwirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1960, in dem die Teilnahme der bäuerlichen Bevölkerung an der volkswirtschaftlichen Entwicklung und dem steigenden Lebensstandard normiert ist, dokumentieren, daß die Landwirtschaft in Österreich - aber nicht nur hierzulande - sich insgesamt zwar in guter Position befindet, aber doch viele bäuerliche Familien nur über ein kleines Einkommen verfügen.

Das durchschnittliche landwirtschaftliche Einkommen je Familienarbeitskraft betrug im Bundesmittel pro Monat 1977 5836 Schilling und war damit nur um 2 Prozent höher als ein Jahr zuvor, was einer realen Einkommensverminderung um 3 Prozent gleichkommt. Auf die gedämpfte Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft hat der Bauernbund bei der parlamentarischen Behandlung des „Grünen Berichtes“ hingewiesen und eine aktive Preis-und Einkommenspolitik sowie eine umfassende Agrar- und Ernäh-rungswirtschaftsordnung, welche auch Richtpreise für wichtige landwirtschaftliche Produkte enthalten soll, gefordert

Die schwierige Lage der Landwirtschaft wurde auch vor kurzem im Rahmen einer Vorsprache des Bauernbundes dem Bundeskanzler sowie Landwirtschaftsminister Günter Haiden und seinem Staatssekretär Albin Schober vorgetragen. Der Argumentation der bäuerlichen Interessenvertretung hielt aber Minister Haiden entgegen, daß zwischen 1970 und 1977 eine reale Steigerung des landwirtschaftlichen Einkommens um fast 40 Prozent auf rund 70.000 Schilling je Familienarbeitskraft im Bundesdurchschnitt erzielt wurde, bei den Bergbauern betrug die reale Erhöhung im Zeitraum 1975 bis 1977 14 Prozent auf 52.400 Schilling. Die Betriebe, die ein geringeres Gesamteinkommen als 100.000 Schilling erwirtschaften, machten 1972 noch 40 Prozent, 1977 aber nur noch 22 Prozent aus.

277 Milliarden investiert

Es steht außer Frage, daß von einer guten wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaft, die 1977 trotz mancher Schwierigkeiten 84 Prozent des Ernährungsbedarfes in der Höhe von 29.200 Milliarden Joule (die neue Wärmeeinheit statt der Kalorien) aus der inländischen Produktion deckte, auch andere Wirtschaftszweige profitieren. Immerhin investierte die heimische Agrarwirtschaft 1977 5,1 Milliarden Schilling in den Ankauf von Futtermitteln und fast drei Milliarden Schilling in den Ankauf von Düngemitteln. Darüber hinaus wendete die Landwirtschaft acht Milliarden Schilling für die Anschaffung und Instandhaltung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte auf. Das gesamte in der österreichischen Landwirtschaft investierte Aktivkapital betrug zu Beginn dieses Jahres 277 Milliarden Schilling.

In allen Industriestaaten bereiten der Agrarpolitik die innerlandwirtschaftliche Disparität und der überfüllte Agrarmarkt große Sorgen. In Österreich wird seit Monaten eine heftige Diskussion über die Reform des Agrarmarktes geführt, die durch den vorgenommenen Abbau der staatlichen Preisstützungen bei Milch und Getreide noch eine Verschärfung erfuhr.

Sowohl der Bundeskanzler wie

auch der Landwirtschaftsminister haben zugesagt, daß der Abbau der Preisstützungen, über deren agrarpolitische und volkswirtschaftliche Effizienz und Zuordnung keine, genauen und umfassenden Untersuchungen vorliegen, nicht zu Lasten der Landwirtschaft gehen werde.

Niemand verfügt aber über eine Patentlösung in der Agrarpolitik. Alle Industriestaaten sind mit dem Phänomen konfrontiert, daß steigende Staatssubventionen für die Landwirtschaft den sozialen und wirtschaftlichen Abstand der bäuerlichen Bevölkerung gegenüber anderen Berufssparten nicht beheben. Der technisch-biologische Fortschritt, die verbesserte Bodenbearbeitung, die Düngung und der Pflanzenschutz führten gleichzeitig zu stark steigenden Erträgen bei einer oft gleichbleibenden Nachfrage.

Es wäre nun falsch, die Landwirtschaft als Prügelknaben der Industriegesellschaft zu betrachten; ebenso unrichtig ist es auch, generell von einer Armut innerhalb der Bauernschaft zu sprechen.

Vorbildliche Bergbauernförderung

Die Bergbauernförderung ist bei uns vorbildlich. 1979 wird ein 2. Bergbauern-Sonderprogramm mit 700 Millionen Schilling verwirklicht, die Bundesländer wenden beträchtliche Förderungsmittel für die Erhaltung der Siedlungsdichte, den Ausbau der Infrastruktur und eine leistungsfähige Veredlungsproduktion auf.

Der „Urlaub auf dem Bauernhof ist ein großer Hit und eine attraktive Nebenerwerbsmöglichkeit gerade für die Bergbauern, die in Österreich besonders umworben sind, weil immerhin von rund 360.000 Betrieben 122.000 Bergbauernhöfe sind. Eine Untersuchung ergab, daß eine hohe Urlaubszufriedenheit in- und ausländischer Gäste auf den Bergbauernhöfen festzustellen ist. Das Grenz-landförderungsprogramm, finanziert von Bund und Ländern, hat sich ebenfalls bestens bewährt.

Eine funktionsfähige Landwirtschaft ist nicht zum Nulltarif möglich. Der Verdrängungswettbewerb um beschränkt verfügbare Markt-und Einkommensanteile hat in Europa ein beängstigendes Ausmaß angenommen. Ein Ausmaß, das für die Gesellschaft immer deutlicher und nachdrücklicher die Frage in den Vordergrund stellt, was der Öffentlichkeit, also uns allen, eine leistungs-und wettbewerbsfähige Landwirtschaft in Zukunft wert ist.

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