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Zum Scheitern verurteilt

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Die „Emanzipatorische Erziehung" sei zum Scheitern verurteilt, aber nicht tot, erklärte der Erziehungswissenschafter Wolfgang Brezinka (Konstanz) in einem Vortrag in Linz.

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Die „Emanzipatorische Erziehung" sei zum Scheitern verurteilt, aber nicht tot, erklärte der Erziehungswissenschafter Wolfgang Brezinka (Konstanz) in einem Vortrag in Linz.

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Die „Emanzipatorische Erziehung" wurde in den siebziger Jahren im deutschsprachigen Raum zur leitenden Idee, zu einer Art neuer Heilslehre. Linke Professoren an deutschen Universitäten und pädagogischen Hochschulen fanden bei einem großen Teil der studierenden Jugend Gehör.

Sie verstehen „Emanzipation" als „Befreiung" von gesellschaftlichen Normen, sittlichen Werten, als „Befreiung" letztlich von den ach so bösen kapitalistischen „Unterdrückern". Der junge Mensch müsse sich seine Normen ständig selbst erarbeiten, eine „Dauerdiskussion auf dem Nullpunkt" müsse es geben.

Nahziele der „Emanzipatori-schen Erziehung" seien, die jungen Menschen zu dieser Dauerdiskussion zu befähigen, die Orientierungslosigkeit der Jugend zu fördern, sodaß dieses Vakuum schließlich mit sozialistischem und marxistischem Gedankengut gefüllt werden könne.

Brezinka zitierte dazu Johannes Beck. In dessen Thesen zur „Emanzipatorischen Pädagogik" heißt es: „Emanzipatorische Erziehung ist die Praxis des politischen Kampfes. Dieser Kampf beginnt mit der Bildung von Freiräumen in gesellschaftlich relevanten Institutionen. Die Gesamtschule ist die zentrale Basis emanzipatorischer Erziehung."

Brezinka sprach der „Emanzipatorischen Erziehung" die Wissenschaftlichkeit ab. Sie sei eine weltanschauliche Pädagogik: Extremer Individualismus, Anarchismus, Nihilismus seien die Grundlagen.

Jeder habe demnach das Recht auf maßlose Ansprüche, aber möglichst wenig Pflichten. Brezinka sprach von „Erziehung zum klugen Egoismus". Für ihn ist aber ein demokratischer Rechtsstaat nur lebensfähig, wenn der einzelne zu Verzicht und Opferbereitschaft auch zugunsten der Gemeinschaft bereit ist, wenn er ein Minimum an sozialen Bindungen und sittlichen Werten, die die Gemeinschaft als verbindlich anerkennt, übernimmt.

Die Ziele der „Emanzipatorischen Pädagogik" seien vor allem „Kritikfähigkeit", Vernünftigkeit, die Besserung des Kollektivs. Der einzelne sei somit nur Mittel zum Zweck. Kritik üben an allem und jedem, nur nicht an sich selbst, das sei das wichtigste Erziehungsziel.

Brezinka ging dann auf die Auswirkungen der „Emanzipatorischen Pädagogik" ein. In Windeseile verbreitete sich dieses Schlagwort. Die Öffentlichkeit wurde mit linker Literatur überschwemmt, Studierende an den Hochschulen einseitig informiert. So sei Karl Marx in manchen pädagogischen Fachbüchern einer der meist zitierten „Pädagogen".

Die „Emanzipatorische Pädagogik" konnte schon viel Unheil anrichten, sei aber — ist Brezinka überzeugt — zum Scheitern verurteilt. Sie müsse scheitern, weil sie die Verneinung zum obersten Prinzip der Erziehung gemacht habe. Dies führe zu Sinnverlust, Lebensüberdruß, Nihilismus bei der Jugend und mache nicht jene schöpferischen Kräfte frei, die die Gesellschaft für einen sinnvollen Wandel benötigen würde.

In Deutschland wird in einigen Bundesländern gegen die „Emanzipatorische Erziehung" inzwischen schon heftig angekämpft. Eltern erheben, organisieren sich, weil sie den Zuständen an manchen Schulen nicht mehr tatenlos zusehen wollten.

Brezinka stellte die logische Frage: Warum konnte die „Emanzipatorische Erziehung" zunächst so großen Erfolg haben?

In unserer modernen „Industrie- und Uberflußgesellschaft" gebe es ein moralisches Vakuum. Die Menschen weigerten sich, verbindliche sittliche Normen anzuerkennen, der Staat falle als moralischer Faktor aus, die Kirche sei ebenfalls vom „Emanzipationsbazillus" angekränkelt, die Eltern seien verunsichert und stünden ratlos vor den Erziehungsproblemen.

Abschließend meinte Brezinka, die „Emanzipatorische Pädagogik" sei zwar zum Scheitern verurteilt, deshalb aber nicht tot. Die Ideen lebten weiter, man gehe andere Wege, passe sich an. Wachsamkeit sei am Platz.

Wir müßten wieder sittliche Werte in den Mittelpunkt des Lebens stellen, sie der Jugend überzeugend vorleben. Die „Emanzipatorische Pädagogik" werde dann keinen Schaden anrichten können. Und das sei schließlich das einzig Positive an der „Emanzipatorischen Pädagogik": sie habe einen heilsamen Schock bewirkt.

(Der Autor ist'Lehrer in Bad Schallerbach)

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