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zum Vorbild

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blizistischer Bekämpfung, die lähmend auf die Verteidigungsbereitschaft wirkte.

Für viele Vorstellungen muß zu deren besserem Verständnis festgehalten werden, daß sie aus einem kulturimmanenten Feindbild stammten oder nichts Außergewöhnliches, „typisch” Türkisches, beinhalteten. Ersteres gilt z. B. für die Kultbildschändungen, die im Typus auf die mittelalterlichen Hostienschändungslegenden durch Juden zurückgingen und im übrigen von Franzosen und Schweden im Westen und Norden des deutschsprachigen Raumes genauso berichtet wurden. Letzteres trifft bei den Greueltaten zu. Die angeblich charakteristischen osmanischen Grausamkeiten unterschieden sich von jenen der europäischen Heere letztlich nur durch die propagandistische Ausbeutung und Übersteigerung.

Die großen Siege über die Os- manen am Ende des 17. Jahrhunderts führten das Feindbild in die eigentümliche, weit verbreitete Form der propagandistischen Zurschaustellung des Triumphes. Darin artikulierte sich eindrucksvoll das Bewußtsein gebildeter Zeitgenossen, in der Nachfolge •der Antike zu stehen. Kaiser, Fürsten, Feldherren, Adelige, die sich in den Türkenkriegen verdient und nicht verdient gemacht hatten, ließen sich als antike Triumphatoren darstellen, zu deren Füßen der besiegte Türke lag, meist nackt, in Ketten gefesselt. Auch bei diesen Darstellungen übernahm man bereits verbreitete To- poi, die seit der Renaissance wieder in der europäischen Kunst verbreitet waren. Die Türken nahmen einen schon vorbestimmten Platz ein: den des besiegten Feindes.

Der Triumph verlagerte sich mitunter auch in tiefere Sinnschichten. Der Triumphator zeigte sich als Jupiter, Apoll oder Herkules, zu dessen Füßen dann die Hydra und der Nemeische Löwe lagen. Sie verkörpern sinnbildlich die Türken. Der Sieg aber auch heilsgeschichtlich ausgelegt und aufgefaßt worden, und zwar in konsequenter Fortsetzung des Bildes von der Gottesstrafe: Gott habe aus Gnade die Strafe genommen. Ihm, Maria und den fürbittenden Heiligen sei nun zu danken. Der Sieg sei von Gott gewollt, Gottes Sieg, Gottes „geheimbnis- voller Triumph”.

Der Triumph hatte somit eine sakrale und eine profane Komponente. Die Zurschaustellung vermittelte im übrigen ein Bild aus der Adelskultur in die Volkskultur. Die bewußt und unbewußt übertragenen Vorstellungen dienten der Repräsentation und in gewisser Hinsicht auch einer Herrschaftsstabilisierung, indem sie die profane, absolutistische Herrschaft wie auch die gewaltsame Gegenreformation als von Gott gewollt darstellten.

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts fanden sich in der Adelskultur allmählich neue Türkenbilder ein. Die Türken wurden gemeinsam mit Chinesen, Persern und anderen Orientalen zum umschwärmten, exotischen, märchenhaften Volk: In Porzellanen, Tapeten, Ölgemälden, Kupferstichen sieht man Pfeife rauchende, verspielt auf einer Rocaille sitzende Orientalen, neben sich Samowar und Kaffeetasse. Der Türke wird zum „Le Ture Genereux” und zum „Le Ture Amoureux”. Die „Entführung aus dem Serail” ist ein schönes Beispiel für diese Mentalität.

Die Welt von „Tausend und eine Nacht”, das zwischen 1704 und 1717 vom französischen Arabisten Antoine Galland (geb. 1646) erstmals übersetzt wurde, entfaltete sich in diesen exotischen Schwärmereien. Sie erfaßten viele gebildete Zeitgenossen Europas zu jener Zeit. Wieland, Lessing und Goethe waren tief beeindruckt und beeinflußt von den kulturellen Leistungen des Orients.

Aber nicht nur Scheherazades zauberhafte Welt regte sie zu vielen literarischen Leistungen an. Es waren vor allem die genaueren Informationen über den Orient, die sie von befreundeten Orientalisten erhielten. Für Goethe war Josef von Hammer-Purgstall von großer Bedeutung, für Lessing der nicht weniger bedeutende, dafür aber weniger bekannte Johann Jakob Reiske (1716-1774), eine tragische Figur in der europäischen Orientalistik seiner Zeit. In diesen Freundschaften zeigt sich die der Zeit eigentümliche Ver- bindüng von Wissenschaft und Kunst, die man heute wohl vermissen mag.

Die Wissenschaft förderte und pflegte auch die zweite wichtige Komponente des Türkenbildes der Aufklärungszeit, das lebhafte ethnologische Interesse am Orient und dessen aktueller Entwicklung. Im Gegensatz zu jenen der vorangegangenen Jahrhunderte waren die Bemühungen in der Aufklärungszeit frei von religiöser Ablehnung, dafür aber bestimmt von Toleranz und kosmopolitischem Geist. Neue Formen des Verstehens und Bemühens entwickelten sich, die viele Forscher und Gelehrte, aber auch Künstler in den Orient führten und zu umfassenderen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich, den Türken und dem Islam anregten. In wissenschaftlichen Publikationen wurden die verschiedenen Meinungen europaweit diskutiert.

In Westeuropa setzte am Ende des 17. Jahrhunderts ein Wandel im Orientbild ein. Protagonisten des Umdenkens waren einige französische, holländische und englische Orientalisten, die aufgrund der besseren und genaueren Kenntnisse die Unrichtigkeiten vieler Ansichten über die Türken und den Islam kritisierten. Mit dem Wandel in der Gelehrtenwelt ging ein in diesen Ländern schon ausgeprägter Exotismus einher. Diesen griff eine Gruppe von Aufklärern auf, deren berühmtester Voltaire war. Ihre Grundhaltung war um Toleranz und kosmopolitischen Geist bemüht. Ihr Anliegen war eine tiefere ethnologische Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen, wo man Vorbilder für positive Verhaltensweisen suchte, fand und diese mit europäischen Gewohnheiten verglich.

Diese Ideen Und Anliegen wurden in Mitteleuropa rezipiert und weitergeführt. Sie konnten sich in der Habsburgermonarchie allerdings nur spärlich entwickeln und erreichten nur eine kleine Gesellschaf tsschicht, die der hohen Bürgerkultur und Teilen der Adelskultur angehörte. Ein großer Teil der Bevölkerung verharrte in den überlieferten und überkommenen Vorstellungen des Feindbildes, das nachlebte oder anläßlich der Türkenkriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder auflebte.

Ein anderer großer Teil der Bevölkerung verfiel allmählich in jene bedenkliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Orient, der in Goethes „Faust” mit seltsamer Aktualität zum Ausdruck kommt, wenn dort „von Krieg und Kriegsgeschrei, hinten, weit, in der Türkei” die Rede ist.

Der Autor ist Dissertant und Mitarbeiter an mehreren Publikationen und Ausstellungen zum Türkenjahr

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