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Zunächst: Nein

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In Österreich ist es üblich, zunächst einmal zur Sicherheit nein zu sagen, wenn der politische Gegner einen Vorschlag vorlegt. Um so mehr dann, wenn er damit einen neuralgischen Punkt trifft. So mußte es dazu kommen, daß Wiens Stadtschul-ratspräsident Hermann Schnell, wohl der profilierteste und zielsicherste Schulreformer der Linken, in einem sehr rasch abgegebenen Kommentar in Grund und Boden verdammte, was nur 24 Stunden vorher der Präsident des Katholischen Familienverbandes schüchtern anzuregen gewagt hatte. Beileibe nicht als Grundsatzforderung, ohne deren Erfüllung die größte österreichische Familienorganisation auf die Barrikaden steigen würde, nein, als bescheidenen Beitrag zur Diskussion, als „Denkanstoß“, wie man heute sagt. Mit allen Einschränkungen bezüglich einer möglichen Generalisierung des Modells. Aber doch mit der eindeutigen Feststellung, daß auch die katholischen Familien mitreden wollen, wenn es um das Wohl ihrer Kinder geht. Und daß man nicht untätig zusehen wolle, wenn hinter dem Nebelvorhang der Fünftagewoche die noch sehr umstrittene Ganztagsschule oktroyiert wird.

Es ist Schnells gutes Recht, anderer Meinung zu sein; es ist seine Pflicht als Schulsprecher seiner Partei und Abgeordneter, diese Meinung auch auszusprechen. Daß er offenbar — wenn man der kurzen Meldung in der „Presse“ trauen darf — nur unvollständig über Inhalt und Ablauf der Pressekonferenz informiert worden war, liegt — leider — im nor-

malen Ablauf des politischen Informationsprozesses.

Denn in Wirklichkeit lagen die Akzente des Modells, die Diplomingenieur Schattowitz erläuterte, ganz anderswo als dort, wo sie Schnell in seiner Reaktion sah. Niemand hatte behauptet, die besseren Schüler sollten nur fünf, die schlechteren Schüler aber sechs Tage zur Schule gehen. Der Kern des Vorschlages lag vielmehr in der Betonung des Elternrechts, in der Unterstützung der Bemühungen um eine Demokratisierung der Schule, um eine stärkere Mitbeteiligung der Eltern am schulischen Geschehen, die doch gerade von der Schulpolitik der Regierung gefordert und gefördert wird. Die Eltern der Kinder einer Schule — wenn nicht sogar von Klasse zu Klasse — sollten sich absprechen, ob sie mehrheitlich für fünf oder für sechs Tage seien. Denn nach den weiteren Vorschlägen ließe sich dieses Modell — nach der Meinung seiner Proponenten — mit beiden Varianten sogar an ein und derselben Schule verwirklichen.

Diese weiteren Elemente des Vorschlages wären die Verkürzung der Unterrichtseinheit von 50 auf 45 Minuten — wie sie auf den Universitäten seit je selbtverständlich ist — und der Einbau einer längeren Pause mit obligatorichem Kurzturnen, um auch den Kleinsten in der Schule die relativ lange Unterrichtszeit erträglich zu machen. Damit wären die 20 Unterrichtsstunden, die die Stundentafel der ersten Grundschulklasse vorsieht, in fünf Tagen zu bewältigen. Für den Samstag aber könnten

die Eltern selbst wählen, ob sie die Kinder nach Hause nehmen wollen — vielleicht, um mit ihnen ein längeres Wochenende zu verbringen —, oder ob sie Wert darauf legen, sie auch dann in der Schule zu wissen. Egal, ob sie nun gut oder schlecht im Unterricht wären — denn für die Guten gäbe es zusätzliche Beschäftigung in Begabungs- und Interessengruppen, für die Schwächeren Förderunterricht, genauso wie es in den so viel gerühmten Schulversuchen mit Leistungsgruppen vorgesehen ist.

Sicherlich hat auch dieses Modell seine Schwierigkeiten. Von „übergroßer psychischer Belastung“, von „Diskriminierung“ jener Kinder zu sprechen, die am Samstag in der Schule bleiben würden, das dürfte doch wohl am Kern der Sache vorbeigehen. Förderstunden an Stelle des alten Nachhilfeunterrichts gibt es auch heute schon — außerhalb des Unterrichts. Zusätzliches Angebot in Neigungsgruppen gibt es in guten Schulen ebenfalls. Was wäre also das Neue daran? Auch sie sind bisher freiwillig.

Bleibt der Einwand, daß es keine Lehrer geben werde, die nur am Samstag unterrichten. Wer spricht denn davon? Zur Zeit verteilen die (Grundschul-)Lehrer ihre Lehrverpflichtung über sechs Tage — und sind meist gerne bereit, durch Mehrdienstleistungen ihr Einkommen aufzubessern. Nichts anderes wäre dann der Fall. Und wenn es dank dem Erfolg der Pädagogischen Akademien in wenigen Jahren mehr als genug Lehrer gibt, die dann auch noch auf schwache Geburtsjahrgänge stoßen, dann wird vielleicht auch die Lehrergewerkschaft ein zusätzliches Stundenanigebot gerne zur Kenntnis nehmen.

Schwachpunkt des Modells ist doch wohl vor allem der, daß es zwar auf die erste Klasse, vielleicht noch auf die ersten beiden Klassen der Grundschule anwendbar ist, aber schon ab

der dritten mit 24 und mehr Wochenstunden nicht mehr. Es würde zwar den Müttern der ABC-Schützen das Abliefern und Wiedereinsammeln ihrer Kleinen erleichtern, wenn der Schulschluß Tag für Tag zur selben Stunde wäre. Ob sich aber an ein und derselben Schule für erste und zweite Stufe eine Fünftagewoche (nach obigem Schema), für die höheren aber der normale Sechstageablauf einrichten läßt, scheint zweifelhaft — vor allem dann, wenn man alles daransetzt, nicht nur die Fünftagewoche, sondern ihretwegen — die Ganztagsschule durchzudrücken.

Wem aber käme die Ganztagsschule zugute? Daß die Lehrer gerne dem allgemeinen Trend zum langen Wochenende folgen möchten, ist verständlich — aber auch viele andere Berufe kommen um den Dienst am Wochenende nicht herum. Daß Eltern ärgerlich sind, wenn die Schule der Kinder das Abrauschen auf den Landsitz am Freitag nachmittag unmöglich macht, scheint auch menschlich — aber wie viele sind es wirklich, die dies fordern? Daß Mütter gerne ihre Kinder bis gegen Abend in der Schule wissen, weil sie berufstätig sind — auch das sei anerkannt. Aber nochmals: wie viele sind es, die willens — oder auch, zugegeben, genötigt — sind, ihre Erziehungsaufgaben der Schule zu überlassen?

Das Problem besteht also nicht darin, fünf oder sechs Tage in der Schule lernen oder unterrichten zu müssen, sondern — im Endeffekt zwangsweise —, die Kinder für den ganzen oder nur den halben Tag in der Schule „abzugeben“ und — wenn ganztägig — den Einfluß, die Erziehung der Eltern auf das Wochenende zu beschränken. Da haben aber die katholischen Eltern ihre eigenen Ansichten, die wohl von jenen der progressiven Schulreformer abweichen. Und sie werden sich nicht abhalten lassen, auch ihrerseits ihre Ansichten in der Diskussion zum Ausdruck zu bringen.

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