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Zur Klärung der Fronten Gespräch über die Grundlagen

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Das Stichwort „Ideologiediskussion“ steht seit etlichen Monaten im politischen Schlagwortkatalog weit vorne. „Wo Begriffe fehleii, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein“; die Begriffsdefinierung erscheint daher vordringlich, bevor - auf der Basis klarer Begriffe - in die Debatte in das Warum, Wofür,

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Das Stichwort „Ideologiediskussion“ steht seit etlichen Monaten im politischen Schlagwortkatalog weit vorne. „Wo Begriffe fehleii, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein“; die Begriffsdefinierung erscheint daher vordringlich, bevor - auf der Basis klarer Begriffe - in die Debatte in das Warum, Wofür,

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Wohin eingetreten werden kann. Die FURCHE will zur Klärung beitragen. Sie hat eine Reihe zuständiger Fachleute gebeten, sich zu diesem Thema zu äußern. Weitere werden folgen - sie vertreten ihre eigene Meinung, die nicht auch jene der Redaktion sein muß.

Wenn heute von allen Seiten der Ruf nach einer Neubelebung der Ideologiedebatte, nach einer Förderung grundsätzlicher Überlegungen und fruchtbarer geistiger Auseinandersetzungen, ertönt und gleichzeitig zu vernehmen ist, daß da und dort vor einer „Reideologisierung“, die in die Unversöhnlichkeit historischer Positionen zurückfuhrt, gewarnt wird, so wird schon daraus ersichtlich, daß kein einheitlicher Sprachgebrauch des Wortes „Ideologie“ vorliegt, sondern vielfach jeder seiner eigenen Lesart dieses Begriffes huldigt.

Oft wird der Begriff „Ideologie“ von ein und derselben Person oder Gruppe in durchaus unterschiedlicher Weise verwendet: der eigene geistige und politische Standort wird vornehm mit der positiven Etikette versehen und dann unter „Ideologie“ die Bemühung um geistige Durchdringung und Erhöhung der Politik und des politischen Alltags verstanden. Der des politischen Gegners wird als Ideologie im schlechten Sinne des Wortes, als Verhüllung und Ubertünchung böser Absichten, von denen durch sie abgelenkt werden soll, gebrandmarkt.

Falsches Bewußtsein

Die Doppelsinnigkeit des Sprachgebrauchs wird dadurch erleichtert, daß derBegriff „Ideologie“ tatsächlich einer neutral-beschreibenden und einer kritisch-abwertenden Verwen-

düng zuführbar ist und beide Bedeutungen eine gewisse Tradition für sich in Anspruch nehmen können. So unzulässig und demagogisch es ist, seinen Sprachgebrauch zu variieren, je nachdem, ob man es auf die Selbstdarstellung oder auf die Charakterisierung des politischen Widerparts abgesehen hat, so unbestreitbar ist es auf der anderen Seite, daß sich beide Bedeutungsinhalte mit guten Gründen vertreten lassen.

Die wertneutral-beschreibende Bedeutung stellt einfach im Sinne der Etymologie des griechischen Wortes auf den „Logos“ ab, der von einer Idee berichtet und kündet. Sie umschreibt also einen durchaus positiv zu wertenden Prozeß der Klärung und Zuordnung geistiger Inhalte, der Interpretation der eigenen Wertstandpunkte. In diesem Sinne ist Ideologie ein Beitrag zur Verständlichmachung und Aufdeckung, gleichzeitig aber zur Lösung und Überwindung von Konflikten in einer höheren Einheit. Verständigung über die Zielsetzungen, die dem eigenen und fremden Handeln zugrundeliegen, fördert die Besinnung auf Verbindendes und Trennendes, gibt der Politik Impulse zu ihrer Vergeistigung, aber auch zu ihrer Konkretisierung und Bewährung am Einzelfall.

Diesem positiven Sprachgebrauch und Prozeß stehen negative Pendants gegenüber, die meist nur beim politischen Gegenspieler entdeckt, im eigenen Raum aber nicht als solche registriert werden. „Ideologie“ kann unter Anlehnung an die „Deutsche Ideologie“ von Karl Marx, aber auch an die moderne Wissenssoziologie, ja schon unter Rückgriff auf die Idolenlehre des Francis Bacon als Trugbild, als „falsches Bewußtsein“, als Rechtfertigungsunternehmen zur Aufrechterhaltung problematischer Zustände und Verhältnisse, gesehen und dann auch gleich verurteilt werden.

Mut zum Bekenntnis

Eine Ideologiedebatte im positiven Sinne des Wortes müßte sich also darum bemühen, die ideellen und geistigen Grundlagen des politischen Handelns, die vermutlichen Auswirkungen der eigenen und fremden Politik, die spezifischen Differenzen zwischen beiden herauszuarbeiten und damit der Profilierung des Politischen zu dienen. Vor allem müßten die Politiker selbst die Illusion zerstören, daß es ihnen möglich ist, alle Werte und Ziele gleichzeitig zu verfolgen und zu optimieren, und klarstellen, daß es sich immer nur um die Verwirklichung eines Wertes oder einiger Werte auf Kosten anderer handeln kann.

Wenn im Zuge einer Ideologiedebatte eine billige Harmonisierung betrieben wird, die Übereinstimmung vortäuscht, wo in Wahrheit Brüche und Gegensätze vorhanden sind, wird der Sinn dieser Debatte ebenso verfehlt wie wenn der Konflikt, der das Wesen der Politik und das eigentlich motivierende Element im Verhältnis zwischen den Parteien und anderen gesellschaftlichen Gruppen ist, verabsolutiert und dramatisiert wird. Die Ideologiedebatte darf, wenn sie ihr Anliegen ernst nehmen und auch für die Demokratie funktional sein will, weder in eine Schönfärberei, noch in eine Schwarzweißmalerei der politischen Wirklichkeit abgleiten, sondern muß den Dingen ihre Farbigkeit und ihr verschiedenes Gewicht belassen, muß aber auch den Mut zum Bekenntnis und zum Setzen von Prioritäten angesichts widerstreitender Angebote besitzen.

Mehr als Konsum

Gerade im Österreich der Gegenwart, das inmitten eines konformistisch stimmenden Wohlstandes zu einer Verflachung im ethischen Pragmatismus disponiert, ist es wichtig und notwendig, den Menschen zum Bewußtsein zu bringen, daß es höhere Werte und Ziele als den Konsum, daß es Orientierungsnormen jenseits des politischen Alltags gibt. In Österreich mit seiner Bürgerkriegserfahrung und Lagermentalität aber ist es umgekehrt auch nötig, daß die Ideologiediskussion nicht zu einem künstlichen Aufreißen oder Offenhalten historischer Gräben, zu einer kleinlichen Vergiftung der Atmosphäre führt Denn so viel Trennendes im Hinblick auf Ziele und angewandte Mittel eine Ideologiediskussion auch zutage fördern mag, man darf darüber das Einigende und den Konsens, der in der österreichischen Geschichte mühsam erarbeitet und bitter verdient wurde, nicht vergessen und sich vor allem nicht der Erkenntnis verschließen, daß wir von gemeinsamen Gefahren bedroht sind, die auch eine gemeinsame Abwehrstrategie erfordern.

Spielraüm nicht groß

Der Spielraum, der den alternativen Wertentscheidungen in der Politik überlassen bleibt, ist nicht so groß, wie man es sich und anderen zur Erhöhung des eigenen Selbstgefühls vielfach einredet. Diese Erkenntnis muß den Verantwortlichen bei allem Willen zur Profilierung und Diffenzierung gleichzeitig auch die Grenzen dessen vor Augen fuhren, was sie durch Reideologisierung beleben und für sich in Anspruch nehmen können.

Erst unter Beachtung dieser kritischen Vorbehalte kann die Ideologiedebatte zu einer Bereicherung und Humanisierung des politischen Lebens fuhren und dazu beitragen, daß sich die Menschen in der Politik nicht verlieren, sondern sich zu dem Teil wiedererkennen, in dem die Politik als Segment des Menschlichen inmitten der menschlichen Gesamtbezüge, die die Politik transzendieren, wirkt.

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