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Zurück in die Energie-Steinzeit?

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Dieses Szenario 2000 bietet nicht eine weitere Auflistung absehbarer Umweltkatastrophen, sondern einen Überblick über notwendige und heute schon realisierbare Weichen- stellungen in den Sektoren Energie, Chemie und Landwirtschaft, die ein umweltverträgliches Wirtschaften im Jahr 2000 ermöglichen würden.

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Dieses Szenario 2000 bietet nicht eine weitere Auflistung absehbarer Umweltkatastrophen, sondern einen Überblick über notwendige und heute schon realisierbare Weichen- stellungen in den Sektoren Energie, Chemie und Landwirtschaft, die ein umweltverträgliches Wirtschaften im Jahr 2000 ermöglichen würden.

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OPEC, Tschernobyl und Wald- sterben waren für die vergangenen zwei Jahrzehnte die Chiffren für die internationalen Markierungen zur Energiepolitik. Dazwischen liegen die spezifisch österreichi- schen Stolpersteine Zwentendorf und Hainburg.

Jede dieser Markierungen löste Reaktionen der Wirtschaftspolitik aus, die den Entscheidungshorizont eines Kurzsichtigen offenbarten: autofreie Tage, ad hoc angepaßte Grenzwerte für radioaktive Be- strahlungen, Katalysatoren für den PKW-Verkehr, der Bau von kon- ventionellen kalorischen Kraftwer- ken auf Vorrat und die massiven Medienkampagnen von den ener- giepolitischen Wundertaten der Wasserkraft.

Für die nächsten zwei Jahrzehnte zeichnet die möglichen Umrisse der Energiesituation Österreichs der vor wenigen Wochen vorgestell- te Entwurf zu einem neuen Ener- giekonzept der Bundesregierung. Kritische Leser entdecken aller- dings, daß die darin abgesteckten Kurslinien für das Jahr 2000 in die energiepolitische Steinzeit zu Be- ginn der siebziger Jahre zurück- führen: Entgegen den österreichi- schen Trends der vergangenen Jahre und entgegen allen verfügbaren in- ternationalen Prognosen soll in Österreich die Energieintensität um die Jahrtausendwende wieder auf jene Werte ansteigen, wie sie vor zwei Jahrzehnten verbucht wurden.

Das zur Diskussion gestellte Energiekonzept hat also innovati- ve Elemente anderer Art: Die bis- herige energiepolitische Zukunfts- bewältigung aus der Perspektive des Kurzsichtigen wird abgelöst durch das Instrument des Rück- spiegels, mit dem die Zukunft er- kundet werden soll.

Es ist dringend zu hoffen, daß dieses vorgestellte Energiekonzept in der jetzigen Form nicht über den Zustand eines Entwurfes hinaus- kommt. Eine Überarbeitung könn- te sich an jenen internationalen Standards orientieren, die nachfol- gend skizziert werden.

• Energiepolitik sieht sich einge- bettet in eine umfassende Neuorien- tierung der gesamten wirtschafts- politischen Zielsetzungen. Ausge- hend von Anregungen des soge- nannten Brundtland-Reports wird in internationalen Wirtschaftsgre- mien die Umorientierung der Wirt- schaftsstrukturen zu „Sustainable Economic Development" disku- tiert. Übersetzbar ist diese Zielset- zimg mit „Wirtschaftsstil der Nach- haltigkeit".

Versucht wird dabei, wirtschaft- liches Handeln so zu organisieren, daß die Lebenschancen nachfolgen- der Generationen nicht beeinträch- tigt werden. Diesen Forderungen wird immer dann nicht entspro- chen, wenn Wirtschaftsprozesse dem Raumschiff Erde erschöpfba- re Ressourcen - wie fossile Energie- träger - „entnehmen" oder Rück- stände aus Produktion und Kon- sum in die natürlichen Ressourcen Luft, Wasser und Boden „entsorgen". Grundsätzlich ist des- halb bei allen Produktionsvorgän- gen nach Technologien zu suchen, die ein gewünschtes Produkt in möglichst geschlossenen Rohstoff- kreisläufen erzeugen.

• Entsprechend den beiden Haupt- sätzen der Thermodynamik folgen für die Verwendung von energeti- schen Rohstoffen zwei Leitlinien für einen Wirtschaftsstil der Nach- haltigkeit: Sowohl dem mengenmä- ßigen als auch dem qualitativen Verbrauch von energetischen Roh- stoffen sind Grenzen zu setzen.

Diese Grenzen sind nicht von ökonomischer Art - wie sie etwa durch ein Wechselspiel von Angebot und Nachfrage auf Märkten sich bilden können - sondern in bestem Sinne von politischer Art.

Jeder Konsument, jede Unter- nehmung, jeder einzelne Staat und die Gemeinschaft der Staaten ha- ben sich in geeigneten Gremien Überlegungen zu unterziehen, wel- che Lebensstile mit der energeti- schen Ausstattung des Raumschiffs Erde und deren Nutzung für die Lebenschancen der nachfolgenden Generationen verträglich sind.

• Diese wirklichkeitsfremd er- scheinenden energiepolitischen Leitlinien führen zu sehr konkreten Anforderungen an die Praxis der Energiepolitik: Gewünschte Ener- giedienstleistungen - wie Mobilität oder behagliche Raumtemperatu- ren - sind mit immer geringeren Energieflüssen bereitzustellen. Im gesamten Energiesystem sind die Verluste durch Schließen von Kreis- läufen zu reduzieren.

Den durch Sonnenenergie erneu- erbaren Energieträgern - vor allem der Biomasse - ist der Vorzug ge- genüber fossilen Energien zu ge- ben. Neuen Technologien der Son- nenenergieumwandlungen, wie der Photovoltaik und der solaren Was- serstoffgewinnung, kommt hohe Priorität in Forschung und Ent- wicklung zu.

• Über Märkte gebildete Preise sollen die mengenmäßigen und qua- litativen Knappheiten der Energie- träger signalisieren. Die damit ver- bundenen Erwartungen einer bes- seren Effizienz im Sinne von Ko- stenreduzierung und Zielerrei- chung erfordern aber ordnungs- politische Maßnahmen, die von starken Lobbies bekämpft werden.

Erstens, eine weitreichende De- regulierung bei allen leitungs- gebundenen Energieträgern. Al- lerdings zeigen die gelungenen Beispiele in den USA (siehe Seite 10), daß die weiter bestehende po- tentielle Marktmacht dieser Ener- gieanbieter nur durch Auflagen, die für eine besondere Transparenz der Unternehmensentscheidungen sor- gen, ausgeglichen werden kann.

Zweitens, eine Ergänzung der Preisbildung durch marktkonforme Instrumente, wenn der Markt selbst nicht die Informationen über ex- terne Kosten verarbeiten kann. Kurzfristige Wechselkursänderun- gen, die von den Spielern des welt- weiten Finanzmärkte-Casinos aus- gelöst werden, Dumpingpreise zur Gewinnung von Marktanteilen oder sozialisierte Kosten von Umwelt- schäden sollen nicht die Entschei- dungen über langfristige energie- relevante Investitionen in Unter- nehmen und Haushalten verzerren.

Eine auf leichtverdauliche Wort- happen getrimmte Wirtschafts- politik verbucht deshalb als „out" den Bau eines Gaskraftwerkes in Zwentendorf, fast alle Wasserkraft- werke, flächendeckende Gasversor- gungsnetze und Bemühungen der Heizölanbieter um mehr Marktan- teile auf dem Wärmemarkt.

Als energiepolitisch „in" gelten Konzepte für integrierte Energie- systeme, mehr Wettbewerb bei En- ergiebereitstellung und -Verwen- dung, Biomasse und andere For- men der Sonnenenergie, Deregu- lierung, Dezentralisierung und ei- ne umweltorientierteßteuerreform.

Mit dem Titel „To Choose or to Loose" („Wählen oder verlieren") ermutigt das Umwelt- und Ener- giekonzept der niederländischen Regierung zu einem Pakt über die Zukunft. Noch kann auch Öster- reich wählen.

Der Autor ist Professor für Volkswirtschafts- lehre an der Universität Graz.

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