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„Zurück zu den Vätern"

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Professor Norbert Leser ist abermals ins Totenreich hinabgestiegen. Während Band I seiner Beiträge zur „österreichischen Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen" (vergleiche FUR-che Nr. 40/81) vornehmlich Männern gewidmet war, die auf katholischem Wurzelgrund fußten und zumeist rechts standen, wenngleich einige von ihnen links dachten, widmete der Autor das vorliegende Buch Persönlichkeiten der „linken Reichshälfte", mehr noch: Männern und Frauen, welche in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie als Politiker, Journalisten oder Kulturphilosophen eine bedeutende Rolle spielten.

Welche Kategorien bestimmten aber die Auswahl?

Leser bekennt freimütig, daß es sich - stärker vielleicht noch als in Band I - um Persönlichkeiten handelt, die „eine Verbindung mit mir hatten und Spuren in meinem Leben hinterlassen haben" (S.IO). Es störte ihn dabei wenig, daß dadurch die offen oder mit vorgehaltener Hand gemachte Charakteristik eines unverbesserlichen Egozentrikers neue Nahrung bekommt.

Der Leser, jetzt nicht der Norbert L., sondern der Leser der vorliegenden Essays erhält durch diese persönliche Optik jedoch Einblick in manche Facetten der Gedankenwelt, welche die beschworenen Toten in der Zeit ihres Lebens nicht unbedingt zu Markte trugen.

Wenn Leser seine „Totenbeschwörungen" auch als Fragmente einer späteren Autobiographie ausweist, so ist ein anderer Aspekt nicht zu übersehen. In vielen der vorgelegten Persönlichkeitsporträts abgeschiedener Fahnenträger des österreichischen Sozialismus sind sehr aktuelle Stellungnahmen zur gegenwärtigen Situation der SPÖ eingeflochten. Ja, die Toten werden geradezu als Kronzeugen gegen Tendenzen und ihre Vertreter angeführt, welche Leser als Fehlentwicklungen erkennt, ja die ihm sogar als gefährlich erscheinen.

Zwischen zwei „falschen Alternativen" will Leser jene Partei, zu der er sich trotz mancher innerer Distanz in Fragen der Tagespolitik im Grundsätzlichen bekennt, den Weg in die Zukunft gehen sehen. Der Autor widersagt einem reinen Pragmatismus. Nicht weniger bedenklich erscheint ihm jedoch die Wiedergeburt jenes „Doktrinarismus", welcher sich für die Erste Republik schon als so verhängnisvoll erwiesen hat.

Gegen die Parole „Zurück zu den Großvätern", die so manchem Juso aller Altersklassen merkwürdigerweise als „fortschrittlich" erscheint, bekennt sich Leser zu den Vätern: zu Oscar PoUak und Oskar Helmer, zum „alten Julius Deutsch und zu Jacques Han-nak — aber auch zu Peter Strasser, mit dem eine nachrückende Generation österreichischer Sozialdemokraten zu früh eine Führungspersönlichkeit verloren hat.

Das sind Bekenntnisse, die dem Autor sicher nicht aus allen Ecken seiner Partei, vornehmlich aus der linken, Beifall eintragen werden. Was tut es? Totenbeschwörungen als Mahnung? Warum eigentlich nicht!

GRENZGÄNGER. Osterreichische Geistesgeschichte in Totenbeschwörungen. Band II. Von Norbert Leser, Böhlau-Verlag, Wien-Köln-Graz 1983. 268 Seiten, brosch., öS 296,-

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