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Zurück zum alten Gesetz!

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Noch ehe der erste Student, der nach dem 1978 erlassenen Gesetz für das Jus-Studium zu studieren begonnen hat, promoviert, muß dieses Gesetz schon novelliert werden.

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Noch ehe der erste Student, der nach dem 1978 erlassenen Gesetz für das Jus-Studium zu studieren begonnen hat, promoviert, muß dieses Gesetz schon novelliert werden.

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Bis 1978 hatte Österreich Regelungen des juristischen Studiums, nach denen - ungeachtet mehrfacher Änderungen - ein Kelsen und ein Verdroß, ein Klang und ein Wilburg zu Juristen ausgebildet werden konnten, die Weltruf erlangt haben. Diese Regelungen haben die Entwicklung dieser und anderer großer österreichischer Juristen zwar nicht bewirkt, aber wenigstens nicht ernstlich behindert und im Grunde doch gefördert. Seit 1978 haben wir ein rechtswissenschaftliches Studiengesetz (RWStG), von dem sich nun herausstellt, daß es novelliert werden muß, ehe der erste Student, der nach dieser Ordnung zu studieren begonnen hat, promoviert. In den erläuternden Bemerkungen zum Novellenentwurf des Wissenschaftsministeriums wird von einer „Nachjustierung der Studienvorschriften“ gesprochen.

Die Ordnung, die 1978 abgelöst wurde, hatte viele Vorzüge, von denen man einige erst jetzt besser sieht, aber zwei gravierende Defekte: das Fehlen schriftlicher Prüfungsarbeiten und das Fehlen einer Dissertation. Schriftliche Prüfungsarbeiten sind unerläßlich, da in allen Juristenberufen viel geschrieben wird und dies gelernt sein will. Ein Doktor ohne Dissertation fällt vom internationalen Standard ab und wirkt fast wie ein Titelschwindler.

Die Defekte der neuen Ordnung wiegen viel schwerer. Zwei Mängel sind besonders nachdrücklich zu beklagen: erstens die Ermöglichung und teilweise sogar Anordnung einer Abfolge der zu studierenden Fächer, die keinen sinnvollen, organischen Zusammenhang erkennen läßt; zweitens die Uberfrachtung des Studiums mit einer Vielzahl von Fächern, in denen es überwiegend um positives Detailwissen oder überhaupt um Nebensächliches geht.

Zum ersten: Ein Studiengesetz, das es zuläßt, daß die Studenten zunächst für eine Prüfung aus Arbeitsrecht, dann für eine aus Völkerrecht, dann für eine aus Betriebswirtschaftslehre und dann für eine aus Zivilprozeßrecht lernen, taugt nichts. Es genügt nicht, daß der Student die Möglichkeit hat, eine sinnvollere Fächerfolge zu komponieren. Und es genügt auch nicht, wenn man mit dem Novellenentwurf (zu 5, Abs. 6, RWStG) vorsieht, daß der Studienplan eine sinnvolle Reihung der Prüfungsfächer verbindlich oder als Empfehlung vornimmt.

Die Schöpfer des RWStG 1978 sind anscheinend von der Erwartung ausgegangen, die Studenten würden von ihrem Eintreten in den zweiten Abschnitt an sich mit allen Kernfächern beschäftigen und daneben die Prüfungen in den kleineren Fächern vorbereiten. Solches Verhalten der Studenten wäre erfreulich und empfehlenswert, es ist aber unwahrscheinlich. Fast alle Studierenden lernen immer nur für die ihnen als nächste unmittelbar bevorstehende Prüfung. Ein um Realismus bemühter Gesetzgeber hätte dies nicht verkennen dürfen. Überdies erfaßt der Entwurf eine andere wichtige Komponente des studentischen Verhaltens nicht:

Wenn sie es sich aussuchen können, treten Studenten zunächst zu den leichteren und dann erst zu den schwierigeren Prüfungen an. Sie suchen das Erfolgserlebnis und brauchen eine gute Nachricht für daheim. Das ist ihnen nicht zu verdenken, zeigt aber, daß die Beseitigung der „Kernfächer-klausel“ (13, Abs. 2, RWStG) nicht die erhofften Wirkungen erzielen wird. So lange die Studierenden die Möglichkeit haben, aus kleineren Fächern wie dem Arbeitsrecht oder dem Handelsrecht eine Prüfung abzulegen, ehe sie sich ans bürgerliche Recht heranwagen, werden sie das Spezialfach vor dem Grundlagenfach studieren. Darum ist es sehr erwägenswert, von den Teilprüfungen wieder abzugehen.

Das RWStG ermöglicht nicht, nur eine unsinnige Abfolge der Studien- und Prüfungsfächer, es schreibt sie sogar vor. Volkswirtschaftslehre ist für Juristen wirklich wichtig. Kenntnisse aus den nationalökonomischen Fächern haben immer zu den Vorzügen österreichischer Juristen gehört, mancher berühmte österreichische Nationalökonom hat als Jurist begonnen. Sinnlos ist es jedoch, die 18- und 19jährigen des zweiten Semesters, die noch keine Lebenserfahrung und noch keine Rechtskenntnisse haben, mit Nationalökonomie zu befassen. Sie können diese als solche kaum, ihre Bedeutung für das ihnen noch fremde Recht überhaupt nicht erfassen.

Alle nationalökonomischen Fächer, auch die Betriebswirtschaftslehre, gehören in eine späte Studienphase. Dagegen wäre es erwägenswert, einige leicht faßliche Gebiete des positiven Rechts, z. B. das private und das öffentliche Personenrecht, in den ersten Abschnitt vorzuziehen, damit der, der Jurist werden will, gleich Umgang mit dem geltenden Recht erhält.

Die Uberfrachtung des neuen Rechtsstudiums durch eine Vielzahl von neuen Fächern und Prüfungen ist zum einen das Resultat der unrealistischen Erwartung, ein mit vielen modernen oder als modern geltenden Fächern befaßter Jurist wäre für die Praxis besser gerüstet als sein Vorgänger; zum anderen aber haben wir es mit dem Resultat geschickter Interessendurchsetzung von Fachvertretern zu tun.

Das heute die allgemeinbildenden höheren Schulen zerstörende Raus-wie-Rein-Prinzip des unausgesetzten Lernens und Vergessens darf nicht auf die Rechtsfakultäten übergreifen, hat es aber schon getan. Mit der Reduktion der Teilprüfungen der zweiten Diplomprüfung von elf auf zehn und der Zusammenfassung der Wahlfächer in zwei statt drei Gruppen lindert der Novellenentwurf die Uberfrachtung des Rechtsstudiums mit Einzelprüfungen ohne größeren Bildungsund Ausbildungswert nur minimal. In dieser Frage ist aber ein radikaler Schnitt unvermeidlich.

Von den Pflichtfächern könnte die Betriebswirtschaftslehre (für Juristen) mit der Volkswirtschaftslehre (für Juristen) zusammengefaßt werden. Entbehrlich sind das Kolloquium aus Soziologie für Juristen und von den Wahlfächern die Politikwissenschaft, die Psychologie für Juristen sowie die politische Staaten-und Verfassungsgeschichte der Neuzeit (auf diese Weise kann man vielleicht zu einer einzigen Wahlfachgruppe gelangen).

Natürlich sind das alles anregende Gebiete. Es spricht auch manches für mehr Kontakte der Jurisprudenz mit den Sozialwissenschaften. Jetzt aber geht es darum, ein notleidend gewordenes Studium in seinem Zentralbereich zu sanieren.

Die beste und für die Studenten fairste Lösung in der gegenwärtigen Misere ist nach meiner Ansicht - und das allen Ernstes - die reuige Rückkehr zur alten Studienordnung mit schriftlichen neben mündlichen Prüfungen im bürgerlichen Recht, im Straf recht sowie im Staats- und Verwaltungsrecht. Das Doktorat sollte nur aufgrund einer Dissertation erworben werden können. Ist etwas gründlich mißlungen, soll man daran nicht herumflicken, sondern einen neuen Anfang wagen.

Aus einem Referat vor dem Osterreichischen Juristentag. Der Autor ist Professor am Institut für juristische Dogmengeschichte und Privatrechtsdogmatik.

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