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Zurück zum Ursprung?

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Die Legitimation, mit der sich die Moderne von fremden Kulturen inspirieren ließ, liegt in der Behaup- tung, eine Verwandtschaft in Geist und Form erlaube ein spontanes Verstehen des Fremden. Die Be- hauptung ist irrig, weil Verstehen Verwandtschaft nicht voraussetzt, Verwandtschaft nicht von selbst zum Verstehen führt, und weil der Zusammenhang von Geist und Form immer willkürlich ist. Die Teilrezeption des Fremden durch unsere Kultur ist vor allem eine Geschichte von Mißverständnissen. Beispielhaft spiegeln die Beziehun- gen zwischen „indianischer" und moderner Kunst Ursachen und Folgen dieser Irrtümer.

Schon der Begriff „Indianer" ist ein Irrtum. So wenig, wie Kolum- bus Amerika „entdeckt" hatte, lebten in dieser neuen Welt „India- ner", ein Konstrukt des eurozentri- schen Weltbilds, das der geistigen Bewältigung der Völkervielfalt Amerikas und der Definition Euro- pas selbst diente; das klassische „andere", das mehr über seine Er- finder preisgibt, als über eine frem- de Wirklichkeit.

Lange Zeit hindurch dienten Objekte aus dem fernen Amerika Europa als Kontrastmittel für die eigene Identität. Evolutionistische Modelle der Kunstgeschichte seit Gottfried Semper reihten die Er- zeugnisse fremder Kulturen als „primitive Kunst" an den Anfang einer Entwicklung, deren Höhe- punkt die europäische Kunst des 19. Jahrhunderts bildete. Die Pra- xis der Moderne fußte auf dieser Anschauung, sah aber in der Aus- einandersetzung mit den vermeint- lichen Ursprüngen eine Verjün- gungskur. Zugleich führte die An- erkennung der Werke fremder Kulturen zu ihrer Integration in die sich als universell betrachtende europäische Kunst. Die Umarmung des Fremden geriet zum Versuch, sich selbst die Universalität euro- päischen Kunstwollens zu bestäti- gen.

In Amerika wurde ein anderer Aspekt der Identitätsfrage berührt: ob denn die weißen Amerikaner noch Fremde oder schon Eingebo- rene seien. Diese Frage war immer dann besonders wichtig, wenn sich das weiße Amerika vom Kontinent der Väter abheben wollte, wie zu Beginn der amerikanischen Revo- lution, als sich die unzufriedenen Kolonisten bei der „Boston Tea Party" als Rothäute kostümierten. Nach erlangter Unabhängigkeit belebte die junge Republik den Mythos von der Indianerprinzessin Pocahontas, deren Heirat mit ei- nem englischen Siedler die weiße Landnahme symbolisch legitimiert hatte. Wie in der Kunst bot die Behauptung einer Verwandtschaft den Vorwand für die ungefragte Übernahme.

Es ist kein Zufall, daß die Wie- derentdeckung der „Indianer" durch die Politiker und die Entdek- kung der „ Indianerkunst" durch die Künstler in die Periode zwischen den beiden Weltkriegen fallen, als im Zuge der Integration der großen Einwandererströme der vorherge- henden Generation Identitätskri- sen auftraten. Nach mißglückten Versuchen der Zwangsintegration der eingeborenen Völker brachte der „New Deal" Präsident Roose- velts ab 1932 eine Stärkung der Stammesautonomie, freilich nach dem Muster der amerikanischen Verfassung. Hauptverantwortlich für die neue Politik war der New Yorker Sozialreformer John Col- lier, dessen Erfahrungen mit India- nern in der Künstlerkolonie Taos geprägt worden waren. Hier, in der würzigen Bergluft New Mexicos, meinte Collier in den Pueblo-Kul- turen ein „rotes Atlantis" zu erken- nen.

Zentrum der Künstlerkolonie, zu der auch D. H. Lawrence zählte, war die Millionärin Mable Dodge, die Taos zum Treff ihrer Ostkü- sten-Freunde gemacht hatte. Einer von ihnen, der Maler John Sloan, begeisterte sich um 1920 für die Zeichnungen aus dem Pueblo von San Ildef onso und organisierte eine Ausstellung dieser Werke in New York.

Freilich war diese Malerei keine traditionelle Stammeskunst, son- dern eine naive Malerei der euro- amerikanischen Tradition. Statt sie als Ableger zu sehen, hielten er und andere sie für einen Ursprung.

Während die in der amerikani- schen Emigration lebenden Surrea- listen in den vierziger Jahren Be- legstücke der „geistesverwandten" eingeborenen Kunst der Nordwest- küste sammelten, war die Wirkung derselben Kunst auf die amerika- nischen abstrakten Expressionisten deutlich identitätsbezogen. Barnett Newman etwa äußerte sich in den Jahren 1944 bis 1947 in einer Reihe von Essays zur Affinität der Ab- strakten sowohl zur altmexikani- schen als auch zur Nordwestkü- stenkunst. Offenbar verstand aber Newman nicht, worum es in der komplexen und professionellen Kunst der Nord westküste ging. Sein Ziel war in erster Linie die Legiti- mierung einer von Europa unab- hängigen, eingeborenen amerika- nischen Moderne aus eingeborenen Traditionen angesichts der augen- scheinlichen Vernichtung Europas.

Gegen Ende des Zweiten Welt- krieges kippte die Indianerpolitik der USA ins andere Extrem. Statt Stammesautonomie zu fördern, wollte man die Stämme auflösen und die Eingeborenen von ihren Reservaten in die Städte verpflan- zen.

Am 19. Februar 1945 begann die amerikanische Invasion Japans, indem fünf Soldaten auf Iwo Jima das Sternenbanner hißten. Das gestellte Foto ging um die Welt, dazu die Information, einer von den fünfen sei Ira Hayes, ein Pirna- Indianer. So wie Newman geglaubt hatte, die Nordwestküsten-Künst- ler seien die Erfinder einer ameri- kanischen Abstraktion, so sah das weiße Amerika in Ira Hayes die Überwindung der Indianerkriege: Hier kämpften nicht mehr Weiße gegen Indianer, sondern weiße und rote Eingeborene gemeinsam gegen das Fremde. Als Symbol unsterb- lich starb der Mensch Ira Hayes un- beachtet als Alkoholiker auf seiner Reservation. Ähnlich bedient sich die euro-amerikanische Kunst der fremden Traditionen, ohne sich viel um deren wahre Erben zu küm- mern.

Der Autor ist Kustos für Nord- und Mittel- amerika-Kunde am Museum für Völkerkunde in Wien.

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