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Zusammenbruch der „zweiten Front"

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Nichts ist geworden aus einem Zwei-Fronten-Kampf der Sowjets in Polen und Afghanistan, auf den ein Teil des afghanischen Widerstandes setzte. Auch Fundamentalisten jubeln.

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Nichts ist geworden aus einem Zwei-Fronten-Kampf der Sowjets in Polen und Afghanistan, auf den ein Teil des afghanischen Widerstandes setzte. Auch Fundamentalisten jubeln.

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Erst schwieg das Regime. Im Sommer 1981 pfiffen es aber schon alle Spatzen von den Dächern Afghanistans: Polen! Und die unabhängige Gewerkschaft „Solidarität" war längst auch für viele unterdrückte Afghanen zu einem Begriff der Hoffnung geworden.

Vom Juni an befaßte sich dann auch die offizielle-Presse mit der Entwicklung in Polen, simplifizierte die ohnehin schon krasse Sprachregelung der Moskauer

Polit-Agitatoren: „Eine antisozialistische Konspiration der US-Imperialisten und der katholischen Reaktion!" Nichts durfte auf die Ähnlichkeit der Ziele des Widerstands im westlichen und im südöstlichen Nachbarstaat der UdSSR hindeuten.

Auch vom Zuschlagen der polnischen Armee war zuerst nichts zu lesen. Als am 18. Dezember dann die Nachricht vom „Triumph der sozialistischen Kräfte in Polen" hinausposaunt wurde, wußten die Afghanen längst vom Militärputsch General Jaruzelskis: Das neue, stark zur Schau getragene Selbstbewußtsein der Militärs hatte schon zuvor verraten, daß Ungewöhnliches geschehen sein mußte.

Polit-General Mohammad As-lam Watanjar, engster Vertrauter der Sowjets unter den Offizieren des Regimes, war—wie immer bei

Krisen - aus dem Hintergrund hervorgetreten.

Am 21. Dezember verriet sein Tagesbefehl dann offiziell und messerscharf, worum es ging: „Gruß und Glückwunsch an die Soldaten im sozialistischen Bruderland Polen. Unsere Aufgabe, zu der wir uns bekennen, ist es, für Ruhe und Ordnung in unserem Land zu sorgen."

Man ist in Kabul der Ansicht, daß führende Mitglieder des afghanischen Regimes schon anfangs Dezember vom Konzept Moskaus in Polen informiert waren. Da war der Abflug des afghanischen Präsidenten Babrak Karmal nach Moskau am 12. Dezember, knapp vor dem Losschlagen Jaruzelskis in Polen.

Die Verabschiedung glich einer Militärparade: „Wie am 1. Mai", berichtete der Führer einer Widerstandsgruppe seinen Kampfgefährten im pakistanischen Exil.

Einheiten der drei Panzerdivisionen waren angerollt. Die Fallschirmjägerbataillons 256 und 257, ausschließlich von sowjetisch ausgebildeten afghanischen Offizieren kommandiert, zogen vorbei. Panzer und Fallschirmjäger, sonst verstreut, blieben nach der Abschiedsparade beisammen und kaserniert — wie in Erwartung kommender Dinge.

In Presse und Rundfunk lösten die ersten Berichte vom „Triumph in Polen" ein optimistischeres Asienbild aus; es war für die eigene Bevölkerung gemünzt, aber auch für die Blockfreien in

der Nachbarschaft, vor allem für Indien.

Kabinettsministerin Anahita Ratebzad, Vertraute des Präsidenten und Prags, faßte dies nach ihrer Rückkehr von einer Reise in die CSSR zusammen: Auf tönernen Füßen stehe jede Gruppierung in den „sozialistischen Staaten", die auf den Westen baue. Die Niederlage der Imperialisten in Polen habe entscheidende Bedeutung für Asien. Ihr Versuch, die Sowjetunion zum Kampf auf zwei Fronten zu zwingen, sei endgültig mißlungen.

Der Widerstand in Afghanistan ist über die Ereignisse in Polen geteilter Ansicht. Die Fundamentalisten sind mit Dr. Anahita einer Meinung: Auch sie nannten die Idee einer „zweiten Front" gegen Moskau in Polen „illusorisch und verbrecherisch".

Anders der hauptsächlich von Intellektuellen getragene demokratisch-fortschrittliche Widerstand: Farhat Mohamed, ehemaliger Bürgermeister von Kabul und Führer des „Afghan Milat", hatte als erster von der Möglichkeit gesprochen, Moskaus Expan-

sion auf zwei Fronten zu bekämpfen. Im Juni schmuggelte er einen Brief aus seinem bewachten Krankenlager, der in Flugblättern zirkuliert wurde:

„Wir müssen", so schrieb der fast Achtzigjährige, „die Sowjets in einen Zwei-Fronten-Kampf zwingen ... Bringen die Gewerkschafter im westlichen Nachbarstaat die Sowjets in die Defensive, so müssen wir im Süden zur Offensive übergehen."

Zugleich gab es Flugblattberichte von zwei afghanischen Studenten aus Krakau, die von polnischen Studenten mitunterzeichnet waren: „Gruß von der einen Front gegen die Macht Moskaus an den Widerstand auf der anderen Front!"

Die Nachricht vom gelungenen militärischen Schlag gegen die Freiheitsbewegung in Polen traf die nicht fundamentalistisch orientierten Gruppen im Widerstand hart. Zwei Hoffnungen waren geplatzt: die Hoffnung, daß der Widerstand in Polen die sowjetische Besatzung in Afghanistan schwächen würde; und dann die Hoffnung, daß der Kampf der polnischen Demokraten die Position der demokratisch-fortschrittlichen Gruppen im afghanischen Widerstand auch gegen die rivalisierenden Fundamentalisten stärken würde.

Die Fundamentalisten auf der anderen,Seite, vor allem der mit Teheran wie mit Islamabad verbundene Führer Gulbuddin Hek-matijar, meinten wiederum schon vor Jahreswechsel, daß ihre Chancen nach den polnischen Ereignissen wieder gestiegen seien. Seine Partei „Hezbi Islami" (Islampartei), sieht in den Glaubensfeinden im Widerstand den ärgeren Feind als in Moskau.

Wie Präsident Karmal empfindet Hekmatijar Genugtuung über den gelungenen Beweis, daß „demokratischer Widerstand gegen Moskaus Vorherrschaft zum Untergang führt" Hekmatijan wörtlich: „Nur der rechte Glaube hilft und das Schwert, das für ihn gezogen wird."

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