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Zuviel Liberalismus auf Kosten der christlichen Substanz ?

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Seit die linke Hand des Sozialismus Fristenlösungen und Scheidungsreformen durchboxt, während die rechte Hand den gutgläubigen Christen für ein Stück Weges dargeboten wird, ist es kein Wunder, daß das Verhältnis Christentum-Sozialismus in Diskussion steht. Zweifellos ist in den letzten Jahren die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Volkspartei eindeutig zu kurz gekommen. Nach wie vor gilt die Volks partei in den Augen vieler Wähler als die Partei, die sich schützend vor die Interessen der Kirche stellt, wobei die Volkspartei selbst sich wiederholt von der Kirche im Stich gelassen fühlte, etwa in der Frage der Fristenlösung, auf der anderen Seite aber auch immer wieder versuchte, im Hinblick auf eine Steigerung des Wähleranteils einen Ausgleich zwischen christlichem und liberalem Gedankengut in ihrem Programm herbeizuführen.

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Seit die linke Hand des Sozialismus Fristenlösungen und Scheidungsreformen durchboxt, während die rechte Hand den gutgläubigen Christen für ein Stück Weges dargeboten wird, ist es kein Wunder, daß das Verhältnis Christentum-Sozialismus in Diskussion steht. Zweifellos ist in den letzten Jahren die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Volkspartei eindeutig zu kurz gekommen. Nach wie vor gilt die Volks partei in den Augen vieler Wähler als die Partei, die sich schützend vor die Interessen der Kirche stellt, wobei die Volkspartei selbst sich wiederholt von der Kirche im Stich gelassen fühlte, etwa in der Frage der Fristenlösung, auf der anderen Seite aber auch immer wieder versuchte, im Hinblick auf eine Steigerung des Wähleranteils einen Ausgleich zwischen christlichem und liberalem Gedankengut in ihrem Programm herbeizuführen.

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Unter dem Titel „Die Politik der österreichischen Volkspartei und christliche Werte“ konnte Parlamentsdirektor Dr. Wilhelm Czerny in einem Referat vor der Tagung des Sozialreferates Linz ein lange Zeit vernachlässigtes Feld beackern. Im Sinne des verstorbenen Jesuitenpaters Dr. Riener formulierte Czerny, „die Entscheidung eines politisch schwachen Katholiken für die eine oder andere Partei“, habe mindestens drei Dinge zu bedenken, „die wir damals in die einprägsame Formel von den drei ,P‘ brachten: Programm, Praxis und Personen.“

Ein erstes Schlaglicht warf Czerny auf das im Salzburger Programm skizzierte Spannungsfeld zwischen Selbstverwirklichung und Personalismus einerseits und Staat oder Gesellschaft andererseits: „Wenn man sehr fromm ist, muß man schon die mehrmalige Betonung der Selbstverwirklichung als überakzentuiert empfinden, weil das Christentum stets davon ausgegangen ist, daß egoistisches Selbstverwirklichungsstreben eben nicht zur Selbstverwirklichung, sondern zur Selbstzerstörung der menschlichen Person fuhrt… Christliche Werthaltung geht jedenfalls davon aus, daß eine vollmenschliche Persönlichkeit nur durch die Öffnung zum Du, zu den Mitmenschen und zur Welt heranreift“

Anspielend auf eine Formulierung von Parteiobmann Josef Taus» die Gesellschaft sei ein den Menschen untergeordnetes Werkzeug, fordert Czerny, „man müßte doch überlegen, was denn dieses Werkzeug Gesellschaft eigentlich ist.“ Im christlichen Sinne habe die Auffassung von Gesellschaft auch mit „Mitmenschlichkeit“ zu tun. Uber „Gesellschaft als Mittel zum Zweck“ werde leichthin gesprochen, ohne Rücksicht darauf, „daß dadurch die Personenwürde von Mitmenschen gewissermaßen egoistisch verdinglicht wird, was ein solidarisch verstandener Peronalismus gar nicht zulassen kann“.

„Immer dann, wenn es um soziale Bindungen geht“, meint Czerny, „zeigt das ÖVP-Programm eher eine Tendenz weg von christlichen Grundsätzen und näher hin zum Liberalismus.“ Darum sucht man auch vergeblich Aussagen über Wesen und Würde des Staates. „Was vor allem der ö VP fehle, sei der qualitative Bezug, den der deutsche Politologe Dolf Sternberger mit dem Begriff ,Staatsfreundschaft“ umschrieben habe und den die katho lische Soziallehre seit altersher mit der Bezeichnung des Staates als einer Societas perfecta“ ausdrücken wollte.“ Czerny, der in seiner Kritik offenbar nicht nur die ÖVP, sondern auch das engagierte katholische Lager meint, formuliert: „Dabei hätten wir, und natürlich auch die ÖVP gerade in der jetzigen Situation eine Sicht des Staates als bejahten Bestandteil einer sittlichen Ordnung menschlichen Gemeinschaftslebens notwendiger denn je.“

Die Praxis der Volkspartei betreffend nahm Czerny eine Facette der Familienpolitik sowie das Bekenntnis zur Marktwirtschaft unter die Lupe. In der Familienpolitik äußerte sich der Parlamentsdirektor zur ursprünglichen Form der Kinderermäßigung (progressionsmildernde Steuerab- setzbeträge), wofür die ÖVP das Schlagwort vom „schichtenspezifischen Lastenausgleich“ gefunden habe: „Daß dieses Prinzip christlichen Wertvorstellungen besonders gut entspräche, wird wohl kaum jemand zu behaupten wagen.“ „

Dann nachdenkliche Worte zur Marktwirtschaft die mehr produziere als vernünftigerweise konsumiert werden könne: „Als Politikwissenschafter fällt es mir auf, wie schwer sich die ÖVP tut, wenn es darum geht, etwas nicht allein unter dem ökonomischen Gesichtspunkt von Aufwand und Ertrag zu sehen.“ Als „pointierte Übertreibung“ stellte Czerny die bohrende Frage in den Raum: „Ist Wettbewerb eigentlich christlich?“ Diese Übertreibung sei in einem gesellschaftlichen System begreiflich, in dem fast alles „Markt“ geworden sei.

In den Thesen zum dritten „P“, den Personen, ist es ein schwieri ges Unterfangen, den Aussagen des Parlamentsdirektors gerecht zu werden. Hier sprach er davon, ein Journalist sei vor ein CV-Ehrengericht gekommen, weil er geschrieben habe, es ließe sich nicht leugnen, daß an fast allen großen Korruptionsskandalen der Zweiten Republik mehr oder minder prominente ÖVPler beteiligt waren. Einem solchen Bild tritt er mit dem Argument entgegen, eine Partei, die in der Wirtschaft weitaus stärker verankert sei als andere, könne schon von der mathematischen Wahrscheinlichkeit her, mehr Wirtschaftsvergehen aufweisen als andere Parteien: „Aber der schale Nachgeschmack bleibt trotzdem bestehen…“

Als „längst überholt“ bezeichnete Czerny den vielgebrauchten Begriff „christliche Demokratie“. Der Parlamentsdirektor sieht hier gleich zwei Absetzbewegungen: Die Volkspartei habe es von Anfang an unterlassen, in ihrem Namen das Prädikat „christlich“ zu führen. Ebenso habe die Kirche erst jüngst in ihrem Fünf jahresbericht klargestellt daß die Vorstellung, die Kirche könne in Gestalt ihrer Soziallehre ein verbindliches Regierungs- oder Parteiprogramm anbieten, verfehlt sei.

Czerny nimmt die ÖVP etwas in Schutz, wenn er sagte: „Von der ÖVP kann map nicht verlangen, daß sie gleichsam als weltlicher Arm der Kirche fungiert und christliche Wertüberzeugungen noch dort durchzusetzen versucht, wo diese schon längst nicht mehr die Mehrheit der Bevölke rung hinter sich haben. Die ÖVP muß sich auch nicht als Verwirklicherin der christlichen Soziallehre anpreisen. Sie darf ruhig bei vorletzten Begründungen stehenbleiben. Sie soll ja gar nicht philosophieren sondern politisieren, also sich als bessere Partei für hier und heute erweisen.“

Den entscheidenden Schwach- und Ansatzpunkt zugleich sieht Czerny offenbar im Handeln des einzelnen Aktivisten, Ein kirchlicher Würdenträger habe ihm, Czerny, gesagt: „Den qualifizierten reinen Laien-Aktivisten gibt es für die Kirche gar nicht mehr; denn er ist entweder ÖVP-Aktivist oder SPÖ-Aktivist oder ein beruflich Erfolgreicher. Im Gegensatz dazu hat die Kirche für engagierte Laien ja keine Vorteile zu bieten.“ Und dennoch meint Czerny: „Die Erhaltung der Werte … das Ringen um ihre Begründung und Formulierung… kann uns Christen niemand abnehmen. Was wir als Bürger dieses Staates aus Bequemlichkeit oder Dummheit preisgeben, wird eines Tages auch politisch ausgelöscht werden. Dies einzusehen und die entsprechenden Strukturen, Motivationen und Aktionen einerseits im kirchlichen und anderseits im politischen Bereich zu finden, ist das eigentliche Problem auch des Verhältnisses zwischen der Politik der ÖVP und den Christlichen Werten.“

Zum Werben der Parteien um die- Stimmen der Christen in Österreich meinte Czerny, es wäre unmöglich, daß die Sozialisten sich etwa um die Unterstützung der Gewerkschaften bemühen würden, um danach deren Wünsche so wenig zu berücksichtigen, wie šie es mit den Christen tun.

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