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Zuviel oder zuwenig Bibel?

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Daß der Bibel in der katholischen Kirche seit dem Konzil größere Aufmerksamkeit geschenkt wird als in früheren Zeiten, fällt jedem auf, der nur einigermaßen am Leben der Kirche teilnimmt. Im sonntäglichen Got- tesdienst sind „neue“ Evangelienstellen und vielfach unbekannte Abschnitte aus dem Alten Testament zu hören. Gerade diese letzte Tatsache erregt Aufmerksamkeit, Verwunderung, manchmal auch Ablehnung. Aber auch bei anderen Gottesdiensten tritt nun die Bibel hervor: bei Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen, ja selbst beim neuen Beichtritus ist eine Bibellesung vorgesehen.

Eltern wundem sich, daß ihre Kinder biblische Erzählungen im Religionsunterricht hören, an die sie sich selber gar nicht-erinnern können. Von Begebenheiten aus dem Leben des Königs David ist da die Rede und von den Propheten Elia und Elischa (die man vielleicht gar nicht mit „Elias“ und „Elisäus“ identifiziert); umgekehrt hören die Kinder in der Volksschule nicht das, was man sehr schnell mit dem Begriff „Bibel“ in Zusammenhang bringt: den Schöpfungsbericht in der Form des Sieben-Tage- Werkes, der erst im Lehrplan der 8. Schulstufe auftaucht, um die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu geben.

Diese Eindrücke werden noch durch Predigtinhalte verstärkt, die mehr und mehr in Richtung Bibelauslegung gehen. Uber das ganze Land hin steigert sich das Angebot von biblischen Seminaren, Bibelausstellungen, Bibelwochen und ähnlichen Veranstaltungen, die nicht zuletzt durch das Wirken der nationalen katholischen Bibelwerke immer neu angeregt werden. Auf dem Büchermarkt kommt es bei neuen Bibelausgaben immer wieder zu Bestsellern. Die Allgemeinheit interessiert sich mehr, als man in kirchlichen Kreisen vermutet, für Probleme, die die neuen Bibelübersetzungen (katholische Einheitsübersetzung, ökumenische Übersetzung in „heutigem Deutsch“) mit sich bringen. Auch der gute Absatz von bi blischen Einführungs- und Sachbüchern zeigt, daß das Thema Bibel heute überhaupt sehr gefragt ist. Bekannt ist, daß selbst in Japan, das nicht einmal ein Prozent Christen aufweist, die Bibel und einzelne Bibeltexte überaus große Auflagezahlen erreichen.

Aber gerade die Tatsache, daß sich außerkirchliche Trends innerhalb der katholischen Kirche widerspiegeln, erregt immer wieder Anstoß. So wird die Betonung der Bibel durch das Konzil von manchen als Zugeständnis an den Protestantismus angesehen, wobei die vor einigen Jahren eingeführte hebräische Schreibweise der biblischen Namen emotionell eine gewisse Rolle spielt. Und die Tatsache, daß bei Jesaja 7,14 Junge Frau“ richtigerweise aus dem hebräischen Urtext übersetzt wird, werten manche als eine Ubereinschätzung der Bibel auf Kosten der traditionellen katholischen Marienverehrung. Daß heute aber auch bei Mattäus 1, 23 diese Jesaja- Stelle - wiederum richtig - aus dem griechischen Urtext - mit „Jungfrau“ übersetzt wird, ist für diese Angreifer oft nur ein schwacher Trost. Die von der katholischen Kirche immer gelehrte, aber in der Praxis nicht immer genügend betonte Lehre von der Gegenwart Gottes im Wort wird von manchen als „protestantischer Einfluß“ empfunden. Bei Diskussionen über solche Themen kommt mitunter zutage, daß Privatoffenbarung in ihrer Autorität höher eingeschätzt werden, als das Wort der Bibel. Allzu schnell wird dann Frömmigkeit gegen Wissenschaft ausgespielt, allzu schnell Einfältigkeit als die größte Tugend der Glaubenden bezeichnet und umgekehrt jedes wissenschaftliche Denken mit Unglauben gleichgesetzt.

Womit wir bei der „modernen Bibelwissenschaft“ angelangt sind. Diese in ihrer heutigen Ausprägung von nicht wenigen mißtrauisch betrachtete und mit ungerechten Vorurteilen bedachte Disziplin, hat kurz vor Konzilsbeginn eine Art Entlarvung erfahren müssen, als ein konservativer römischer Theologe Professoren des Päpstlichen Bibelinstitutes vorwarf,

manchen Reden und Taten Jesu die Historizität abzusprechen. Eine bald darauf erscheinende Instruktion der Päpstlichen Bibelkommission bringt Klarheit, indem sie auf die von Pius XII. gegebenen Richtlinien verweist. Wenn irgendwo, dann zeigt sich gerade hier, was Kontinuität und Entwicklung innerhalb der katholischen Kirche bedeutet: Der von vielen Konservativen für sich beanspruchte Papst Pius XII. hat 1943 in seiner Enzyklika „Divino afflante spiritu“ die Erhebung des Literalsinnes der Schrift, des „ursprünglich Gemeinten“, mit allen verfügbaren Methoden der modernen Profanwissenschaft gefordert. In diesem Zusammenhang verlangte er auch die Übersetzung aus dem hebräischen oder griechischen Urtext, wobei er von der alten katholischen Tradition abwich, von der Vulgata, also aus der in der Kirche von alters her verwendeten lateinischen Übersetzung, auszugehen. Derselbe Papst forderte aber auch, daß der Bibelwissenschafter sich nicht nur als solcher, sondern auch als Theologe zu begreifen habe und noch dazu als Verkündiger. Damit ist nicht eine kompromißbereite Verlegenheitstheorie konstruiert worden, sondern ein innerbiblischer Sachverhalt dargelegt worden, der freilich erst durch jüngere Forschungen erhoben wurde: Biblische Aussagen sind begreifbar durch ihre Bezüge zu einem historischen Geschehen, zu ihrer konkreten Entstehung und Literaturwerdung und zu den analogen Gegebenheiten des Lesers oder Verkündigers.

Das Konzil konnte so - und das ist für manche ein Paradoxon - einerseits ein unverbrüchliches Ja zur modernen Bibelwissenschaft sagen, anderseits aber auch ein Ja zur göttlichen Autorität der Bibel und ihr einen zentralen Platz in der Liturgie einräumen.

Dem Ja des Konzils ist eine lange Entwicklung in der Kirche vorausgegangen. Neben der bekannten Liturgischen Bewegung gab es auch eine intensive Bibelbewegung, die von Anfang an von den Erneuerern der Liturgie getragen wurde: Pius Parsch begann in Klosterneuburg zunächst mit Bibelstunden bevor er „Gemein-

schaftsmessen“ hielt. Diesem Ausgehen von der Basis muß nun eine Rückkehr zur Basis entsprechen: Jene Kreise und Einzelchristen, die sich vor und während des Konzils nicht mit der inneren Entwicklung der Kirche auseinandergesetzt haben, und sich deshalb heute in einer Identitätskrise befinden, müssen immer wieder neu und liebevoll angesprochen werden. Noch ist ein gewisses Mißtrauen nicht überwunden, Veranstaltungen für Weiterbildung von Priestern werden von manchen nicht besucht; was Lektüre anbelangt, werden ganze Sachgebiete von solchen nicht gelesen, die sie lesen sollten. Ein ganz großes Manko der gegenwärtigen Epoche ist daher die verschiedene Art, zu theologischen Problemen Stellung zu nehmen.

Konzilstexte sollten nicht nur als Quelle für rationale Überlegungen verwendet werden; man soll nicht übersehen, daß diese Dokumente einen Optimismus ausstrahlen, wie er nur im christlich-jüdischen Bereich existieren kann. Wenn Jesus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“ (Mt 24, 35), kann die Kirche es wagen, ihre Zukunft dem Befolgen des Wortes Gottes anzuvertrauen. Nicht das , Angleichen an diese Welt“ (Röm 12,2) war bestimmend für die Erneuerungen des Konzils, sondern das Vertrauen der Kirche auf die Kraft des Wortes. Nur o konnte das Konzil formulieren: „Um Erneuerung, Anpassung und Fortschritt der heiligen Liturgie voranzutreiben, muß das Ergriffensein von der Bibel neu gefördert werden.“ (Liturgiekonstitution, Art. 24). Und in der Offenbarungskonstitution fordert das Konzil, daß der Zugang zur Heiligen Schrift fiir die an Christus Glaubenden weit offen stehen müsse. (Art. 22). Wie die Kirchengeschichte beweist, kann echte Kirchenreform nur dann verwirklicht werden, wenn auf die Bibel zurückgegriffen wird. Ohne die dabei gerade heute auftauchenden Probleme geringschätzen zu wollen, muß man der Kirche von heute zugestehen, daß sie sich bei ihrem Einlassen auf das Wort Gottes nicht auf einem Irrweg befinden kann.

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