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Zuviel Rummel

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Der König ist tot, es lebe der König.

Der tote König ist allerdings eines unnatürlichen Todes gestorben und der neue König entbehrt der demokratischen Sanktion, der Volkswahl. Aber Washington befindet sich seit Nixons Rücktritt und Fords ersten Gehversuchen in einer Euphorie besonderer Art. Die Agonie der nicht enden wollenden Watergate-Explosionen ist vorbei und an die Stelle des selten lachenden, dunklen Nixon ist ein lichter, freundlich winkender, unformeller Sportstyp getreten, der für jedermann da ist, für alle ein freundliches Wort hat und das Weiße Haus für Freund und Feind — gibt es so etwas überhaupt noch? — weit aufreißt. Solange er noch nicht in das Weiße Haus eingezogen v/ar, fuhr er morgens im Auto wie jeder andere Sterbliche durch quälende Verkehrsstauungen in sein Amt; man konnte ihn förmlich an der Arbeit sehen.

Und siehe da, die Nixon hassende linke Presse macht ihm Elogen, als wäre er gar kein Konservativer — dabei ist er ideologisch viel konservativer als Nixon — und es sieht aus, als ob sie das schlechte Gewissen wegen ihrer führenden Rolle im Nixon-Drama zu einem besonderen Freundlichkeits-Exhibitionismus treiben würde, ja als ob sie zum Ausdruck brinigen wollten: Wir sind ideologisch gar nicht so schl seitig, wir berichten eben sachlich, wie es unsere Pflicht gegenüber dem amerikanischen Publikum ist. Bloß ein Veteran der Verfolgungspresse, Jack Anderson, schwamm noch im alten Fahrwasser. Er wollte offenbar Nelson Rockefeller durch eine neue Watergate-iStory abservieren und als Kandidaten für das Vizepräsidentenamt ausschalten. Aber dieser Schuß erwies sich als Rohrkrepierer, „Washington-Post“ und „NY-Times“ winkten ab. In den Tagen der Nixon- Hatz wäre jeder Angriff — fundiert oder nicht — willkomihen gewesen.

Daß Nelson Rockefeller dann trotzdem von Ford zum Vizepräsidenten designiert wurde, beweist nicht bloß den Mut des neuen Präsidenten, sondern auch seine Einsicht, daß eine Verbreiterung der politischen Basis durch den „liberalen“ Rockefeller von großer Wichtigkeit ist.

Plötzlich sehen die bereits für die Herbstwahlen totgesagten Republikaner wieder den berühmten Silberstreifen am Horizont und Fords Popularitätskurve hat jene der Kennedys bereits erreicht. Niemand zweifelt mehr daran, daß das Team Ford-Rockefeller 1976 zur Wahl an- treten und schwer zu schlagen sein wird. Edward Kennedys Chancen als Kandidat der Demokraten werden nicht mehr so günstig beurteilt, da er jetzt einem Mann der „betont reinen Weste“ entgegenzutreten habe und ein bezeichnender republikanischer Slogan wurde bereits geprägt: „In Watergate ist zumindest niemand ertrunken …“

Es bleibt aber trotzdem noch alles offen. Diese ersten Wochen der neuen Ford-Administration bewiesen zweifellos geschickte Public- Relations und niemand sollte diese Komponente unterschätzen. Wenn zum erstenmal nach langer Abwesenheit wieder die Negerführer des Kongresses, wichtige Bürgermeister, Pressevertreter und andere Nixon- Gegner zu freundlichen Gesprächen in das Weiße Haus eingeladen wurden, so haben diese Gesten große symbolische Bedeutung. Wenn Fords ehemalige Kollegen vom Kongreß jetzt im Weißen Haus aus und ein gehen, so symbolisiert das Versöhnung, wo früher Rivalität vorherrschte. Und wenn die Struktur des Beamtenstabes um Ford dezentralisiert und zugleich eingeschränkt wird, so bedeutet das eine Verlagerung der Gewichte auf traditionell administrative Organe und eine Schmälerung der Machtvollkommenheiten der Präsidentschaft.

Aber außer diesen in der heutigen Situation zweifellos richtigen Entscheidungen sind noch keine meri- torischen Ergebnisse anzuführen.

Im Gegenteil. Im Zypemkonflikt wurde die Südflanke der NATO aufgerollt, und wenn dafür überhaupt jemand belastet werden kann, so vermutlich alle jene, die durch Watergate die Präsidentschaft unterminiert haben und damit allen internationalen Maulwürfen ein Bild der Lähmung gezeigt und ein Signal zum Losschlagen gegeben haben.

Die Inflation, von Ford, der ja von Außenpolitik wenig versteht, als „P’roblem Nr. 1“ bezeichnet, braust einem Wildbach vergleichbar weiter und hat die 10-Prozent-Marke überschritten. Daß dazu eine sehr ungünstige Getreide- und Futtermittel- emte den unmittelbaren .A.nlaß gibt, beeindruckt weder die Hausfrauen noch die New Yorker Börse, die sich der. Ford-Euphorie bis jetzt keineswegs anschließen konnte.

Und gerade auf dem Wirtschaftssektor wird man mit Kosmetik nicht auskommen. Allein das Zusammenrufen von Gewerkschaftsführern und Industrievertretem, die Schaffung eines den Präsidenten beratenden Organs und symbolische Pronuncia- r6ehtos gegen General Motors allein tun’s nicht. In der Wirtschaftspolitik ist eine klare, allen verständliche Politik zu verfolgen, mit oder ohne Ünterstützung der Gegenseite, aber keine Konsens-Politik, die jedem reohtgeben will. Das war schon unter Nixon falsch uhd führte zur heutigen Malaise. Man kann nicht auf der einen Seite das Budget einschränken und im gleichen Atemzug den Negern ein Arbeitsbeschaffungsprogramm versprechen.

Wenn es jetzt nicht gelingt, das Vertrauen in Währung, Wirtschaft und Bankwesen wiederherzustellen, dann war die gesamte bisherige Bemühung um ein gutes Klima nicht nur fruchtlos, sondern neuerlich eine Täuschung, die Katastrophen herausfordert.

In der Außenpolitik wird jetzt die Gretchenfrage gestellt: War es Kissinger und sein persönliches Talent, das bisher die Entwicklungen kontrollierte, oder war’ es Kissinger plus einem starken Präsidenten Nixon? Werden Kissinger plus Präsident Ford, der sich auch in der Außenpolitik ständig um einen Konsens mit dem Kongreß bemüht, Herren der I.age zu sein?

Nur solange die Interessen parallel laufen. Es sind in einer solchen Konstellation bloß Reaktionen auf immer neu ausbrechende Krisen vorstellbar, aber keine mutigen Initiativen, wie sie zur Detente mit Moskau und zur Öffnung der Pekinger Pforte führten. Wenn überdies dem Kongreß bei seiner Vorliebe für demokratische. Regimes gegenüber „weniger demokratischen“ nachgegeben wird, dann kann man sich auf eine Vielzahl von „Griechenlands“ und auf sowjetische Erfolge am laufenden Band gefaßt machen. Heute Griechenland, gestern Portugal, morgen Spanien. Und wenn die KP in die italienische Regierung ein- tritt, was tut’s.. Es ist ja doch ein „demokratisches Regime“.

So gesehen, sind die Vorschußlorbeeren an Ford etwas verfrüht und nur an der Oberfläche verdient.

Man vermißt in dem Versöhnungsrummel einen Appell an Schweiß und Opfenbereitschaft.

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