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Zuwanderer - unser Reichtum

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Zuwanderer bringen Vorteile. Wirtschaftliche: Wir blicken bewundernd auf die „großen Nationen" und vergessen doch nur zu oft, daß deren Kraft nicht auf Quadratkilometern, sondern auf Einwohnerzahlen ruht. Aber Zuwanderer bereichern auch geistig und kulturell.

Kein Dichter deutscher Sprache hat Bedeutung und positive Auswirkungen der Durchmischung der Völker so großartig besungen wie Carl Zuckmayer in „Des Teufels General" (siehe Kasten). Der Fliegergeneral Harras tröstet da den Leutnant Hartmann, dem zur standesgemäßen Hochzeit im Sinne des NS-Regimes die Papiere einer verschollenen Großmutter fehlen. Der Monolog ist eine Hymne auf jene Offenheit, die vielen auch heute noch verdächtig ist. Obwohl sie aufs Rheinland gemünzt ist, gilt sie vollinhaltlich für uns Österreicher. Besonders für uns.

Österreichs Schicksal: Seine Lage am Schnittpunkt unzähliger kleiner und großer Völkerwanderungen und der Erfolg einer vor langem schon „zuag'rasten" und zunächst hier äußerst unbeliebten Familie namens Habsburg, der es gelang, Wien zum Zentrum eines Vielvölkerreiches zu machen.

Fast alle sind wir selbst Nachkommen von Zuzüglern. Vor allem im Osten des Landes. Es genügt ja ein Blick auf die Namen im Wiener Telefonbuch, um es festzustellen. Wir halten uns viel zugute auf unser Image als weltoffenes, aufnahmebereites Volk. Manche Zuwanderer haben diesen Ruf gemehrt -manche allein durch ihren Namen, ein Mann wie György Sebestyen durch jahrzehntelangen aktiven Brückenschlag zu seinem Herkunftsland Ungarn und Osteuropa.

Aber wir werden aufpassen müssen, wenn wir diesen Ruf nicht verlieren wollen. Dabei haben wir es in Österreich noch gut. Fremdenfeindlichkeit und Fremdenhaß begegnen uns weltweit in einer Fülle von Erscheinungsformen. Von derjenigen, die derzeit die meisten Opfer fordert und mit der allem Anschein nach zwischen Irland und Sri Lanka am schwersten fertig zu werden ist, den Aggressionen zwischen Völkern und Religionsgemeinschaften, die nicht miteinander „können" und zum Zusammenleben ohne Möglichkeit integrierender Durchmischung gezwungen sind, bleiben wir als Teil Westeuropas verschont.

Außerdem haben in unseren Breiten Argumente noch eine Chance, gehört zu werden. Dieses Weihnachtsdossier ist daher ein Dossier der Argumente gegen die Abneigung, die derzeit den Zuwanderern, vor allem aus ärmeren und/oder politisch instabilen ehemaligen Ostblockländern, entgegengebracht wird.

Diese Abneigung wird meist mit wirtschaftlichen Argumenten untermauert. Die Fremden aus dem Osten, meinen viele Österreicher, nehmen uns Arbeitsplätze weg. Doch wenn es auch schon oft gesagt wurde, es muß wiederholt werden: yiele machen Arbeiten, die kein Österreicher mehr machen will, weil wir verwöhnt sind. Verwöhnt von den Zuwanderer-Scharen, die jede Arbeit nehmen müssen. Ihre Kiji-der werden es vielleicht zu Facharbeitern bringen. Und einige zu Professoren.

Müssen wir Konkurrenzängste vor den gut Ausgebildeten haben, die man vielleicht tatsächlich eines nahen Tages auf einem Arbeitsplatz antrifft, den auch ein Österreicher gern gehabt hätte? Müssen wir um die Arbeitsplätze bangen, die einst ihre Kinder unseren Kindern wegnehmen könnten?

Würde diese Gefahr bestehen, müßte man sie zumindest diskutieren. Aber diese Angst - Angst ist der eigentliche Urgrund aller Fremdenfeindlichkeit - ist nicht berechtigt. Was so oft übersehen wird: Selbstverständlich wird jeder Zuwanderer, der bei uns einen Arbeitsplatz findet, auch bei uns ein Steuerzahler. Aber er wird nicht nur Steuerzahler. Er ißt auch und wohnt auch und kleidet sich und kauft sich zuerst das Notwendigste, Sessel, Tisch, Schrank, Kühlschrank, Herd, und dann die Stereoanlage, eines Tages den Videorecorder. Je weiter er es bringt, desto mehr und teurer kauft er ein.

Alle in Österreich Lebenden verdanken ihre Arbeitsplätze dem, was alle anderen in Österreich Lebenden konsumieren. Jeder auf seinem Niveau. Ob als Neuankömmling, der Kisten schupft oder Straßen kehrt, oder als Facharbeiter, oder ein« Generation später vielleicht als Sekretärin. Unterm Strich geht es sich immer aus, die nützliche „Gegenleistung" für den Arbeitsplatz ist ein dem Wert dieser Arbeit entsprechender Konsum. Da ein Land als „Wirtschaftsmacht" um so bedeutender ist, je mehr und je qualifizierter in diesem Land gearbeitet und konsumiert wird, ist das Durchfüttern einiger Flüchtlinge, die nicht gleich in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können, nicht nur eine humanitäre Sache, sondern sogar eine Investition, die sich auf längere Sicht wirtschaftlich auszahlt.

Und da wir, siehe das Telefonbuch, schon jetzt ein buntgemischtes Volk sind, werden sich die Nachkommen der neuen Österreicher nach einer Weile von den anderen Österreichern kaum unterscheiden. Ihre Kinder werden reden wie wir und denken wie wir. Unter die vielen Namen tschechischer, ungarischer, jugoslawischer Herkunft werden sich ein paar mischen, die man als rumänischen Ursprungs erkennt und deren Träger zum Bruttonationalprodukt beitragen.

Oder zum Kunstgenuß der Österreicher und Österreichs Ruhm, wie eine Rumänin aus Bessarabien, aus der hier die viel zu früh verstorbene, wunderbare, weltberühmte Sängerin Maria Cebotari wurde.

Dies Dossier sollte ursprünglich „Die Beute-Österreicher" heißen, was uns dann aber für eine Weih-nachts-FURCHE doch etwas schnodderig vorkam. Im Kern stimmt's aber: Österreichs Menschen-Import vieler Jahrhunderte ist Österreichs größtes menschliches Kapital, sein Reichtum. Und so sollte es bleiben.

Da jeder, der kam und es zu etwas brachte, ein Argument gegen die Xenophobie, die Fremdenangst ist, erinnern wir hier und auf der nächsten Seite an ein paar von ihnen -bekannte und vergessene. Wild herausgegriffen. Einfach als Beispiele. Was aber nicht heißen soll, daß jene, die es nicht zu Ruhm brachten, weniger wert sind. Ihre Nachkommen sind ja wir - die Menschen wie du und ich.

Im Untergrund schwelt aber noch ein anderes, gefährliches, biologi-stisches Argument gegen „allzuviel Zuzug": Das Argument einiger Verhaltensforscher, die erklären: „Der Mensch ist nun einmal so." Nämlich „ein Tier mit Revierverhalten".

Diese Bestie reize man besser nicht - drum weg mit einem Teil der Flüchtlinge. Mit diesem Standpunkt setzt sich auf Seite 14 der Humanbiologe Horst Seidler auseinander.

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