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Zuwenig Tapfere ?

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Was der bekannte Berliner Politologe Richard Löwenthal über die deutschen Widerstandskämpfer resümierte, trifft wohl auch auf die österreichischen zu: „Sie alle haben mitgeholfen, über die Jahre der Barbarei hinweg die moralischen und kulturellen Traditionen zu bewahren, die ein menschenwürdiges Deutschland brauchte.“

Widerstand gegen das brutale Hitler-Regime verlangte Hingabe bis zur Selbstaufgabe: 2.700 Österreicher wurden wegen politischer Vergehen hingerichtet, die meisten gehörten dem Untergrund an.

Je nach Definition gab es in Österreich zwischen 3.000 und 100.000 Menschen, die im Widerstand tätig waren. In jedem Fall ist das Bild des österreichischen Widerstandes „beeindruckend“, so Radomir Luza in seinem unlängst erschienenen Buch „Der Widerstand in Österreich 1938-1945“.

Der gebürtige Tscheche ist einer der profundesten Kenner Österreichs während der Herrschaft der Nationalsozialisten. Seit vielen Jahren lehrt er an der amerikanischen Tulane Universität in New Orleans.

Luza definiert Widerstand sehr eng als „aktive Tätigkeit“ gegen das Nazi-Regime. Dagegen schließt er „passive Gehorsamsverweigerung, Unmutsäußerungen oder Opposition“ - also „ein Verhalten geistiger und emotionaler Unzufriedenheit mit dem Regime“ — in seinem Widerstandsbegriff aus. Dies ist die rigorose Begriffsstrenge eines Mannes, der selber während vieler Jahre im tschechischen Widerstand den Nazis die Stirn geboten hatte.

Bei jüngeren österreichischen Widerstandsforschern wird Lu-zas Definition wahrscheinlich auf Widerspruch und Ablehnung stoßen. Denn in den Dokumentationen über den Widerstand in den einzelnen Bundesländern hat sich die weiter gefaßte Begriffstrias „Widerstand-Widersetzlichkeit-Verfolgung“ eingebürgert (siehe FURCHE Nr. 32/1985 zu Vorarlberg und Nr. 27/1985 zu Tirol).

Luza beschreibt das breite Spektrum des österreichischen Widerstandes mit viel Einfühlungsvermögen. Der Bogen reicht von den Kommunisten zu Legiti-misten und Traditionalisten.

Der Autor unterscheidet drei Phasen des Widerstandes: eine erste des „antifaschistischen Pa-

Von GÜNTER BISCHOF triotismus“, in der versucht wurde, die österreichische Identität unter der Knute des NS-Gewalt-staates zu bewahren (1939-40). Anhängern dieser Gruppe machte die Gestapo aber bald den Garaus.

Die zweite, ruhigere Phase dauerte von 1941 bis 1943. In dieser Zeit ging man daran, neuen Elan zu gewinnen und neue Gruppen und Untergrund-Netze aufzubauen.

In der letzten Periode, die bis zum Kriegsende dauerte, gelang zum Teil eine zentrale Organisation durch das „provisorische österreichische Nationalkomitee“ (POEN) und in der legendären Gruppe „05“. Zu Kriegsende wurden dabei in Wien und Innsbruck spektakuläre Erfolge erzielt, die die späteren Besatzungsmächte von der so wichtigen Existenz eines österreichischen Widerstandes zu überzeugen begannen.

Luza verweist auch wiederholt auf die speziellen und oft sehr schwierigen Umstände des österreichischen Widerstandes: # Der „politisch isolierte demokratische Untergrund“ unterhielt fast keinen Kontakt mit der in sich gespaltenen Exilbewegung (außer den Kommunisten hatte kaum eine Gruppe Kontakt zu den Alliierten).

# Es gab nur lose Gruppierungen von geographisch zerstreuten und politisch uneinheitlichen Elementen.

• Eine administrative Struktur fehlte (im Gegensatz zum straff organisierten französischen oder polnischen Widerstand).

Luzas Urteil: Der Widerstand war ein „lebendes Band zwischen Vergangenheit und Zukunft, das patriotische und ideologische Ringen eines Volkes, das im allgemeinen der gleiche Glaube einte“.

Das Buch bietet viele interessante Details, vor allem im Anhang. Dort wird ein umfangreicher Versuch unternommen, in einer quantitativen Computeranalyse von 3058 als „aktiv“ eingestuften Widerstandskämpfern ein „Profil der Widerstandsbewegung als Elite“ vorzulegen.

Beinahe die Hälfte des aktiven Widerstandes waren Kommunisten aus unteren und mittleren Schichten der Gesellschaft mit niedrigem Ausbildungsniveau. Uber ein Drittel waren Legitimi-sten, Traditionalisten, und Altösterreicher mit zumeist höherer Bildung. Die Sozialisten hatten den geringsten Anteil.

Im Moskauer Memorandum (Nov. 1943) riefen die Alliierten zum aktiven Widerstand in Österreich auf. Dieser Aufruf leitete die letzte Phase des österreichischen Widerstandes ein und trug viel zum privilegierten Status der Alpenrepublik als „befreiter“ Staat bei, damit auch zur 1955 schlußendlich erlangten Souveränität Österreichs.

Waren es zuwenig Tapfere gewesen, die im Widerstand für die Wiedererrichtung der Republik ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten? Darüber mag es weiter Diskussionen geben. Luza jedenfalls setzt den mutigen aktiven Widerstandskämpfern mit seinem Buch ein bleibendes Denkmal.

DER WIDERSTAND IN OSTERREICH 1938-1945. Von Radomir Luza. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1985. 387 Seiten. Ln., öS 580,-.

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