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Zwang zur großen Koalition?

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Daß jede der beiden Großparteien bei der nächsten Nationalratswahl die absolute Mehrheit anstrebt, um möglichst ungehindert parteipolitische Zielsetzungen realisieren zu können, ist durchaus legitim; daß jedenfalls die SPÖ Kreiskys eine kleine Koalition mit der FPÖ einer großen Lösung vorzieht, ist evident; daß freilich der parteipolitischen Begehrlichkeit nach möglichst unumschränkter Macht eine ökonomische Grenze gezogen ist, macht die vom Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen kürzlich veröffentlichte Budgetprognose für die Jahre 1974 bis 1978 deutlich. In dieser Prognose, die nachgerade den Zeitraum der nächsten Legislaturperiode erfaßt, wird — da und dort mit diplomatischen Umschreibungen — auf eines ohne viele Beschönigungen hingewiesen: eine Budgetpolitik, wie sie in den letzten vier Jahren betrieben wurde, kann sich die nächste Bundesregierung und der Staat, den sie regieren soll, in den nächsten Jahren nicht leisten.

Unbeachtet von der österreichischen Presse, hatte diese Beiratsprognose der Sozialpartner vor allem ein Ziel, und zwar eminent politisches: der Bevölkerung und den Parteien die Grenzen des Wohlfahrtsund Verteilungsstaates zu zeigen. Die politische Lehre dieser Darstellung liegt auf der Hand. Da wohl keine Bundesregierung mit schwacher parlamentarischer Mehrheit imstande sein dürfte, einen Paukenschlag nach dem anderen zu setzen, die Budgetpolitik nicht den Wünschen der Steuerzahler und Interessengruppen, sondern den ökonomischen Erfordernissen anzupassen, ohne dann bei den Wahlen einfach unterzugehen, liegt die praktische Nutzanwendung dieser Lehre in der Bildung von Regierungen mit starker parlamentarischer Mehrheit, also in der Bildung von Koalitionen.

Finanzminister Androsch hat sich lange Jahre vor der Befassung des Beirats mit der Ausarbeitung einer mittelfristigen Budgetprognose geziert. Er wird gewußt haben, warum! Denn, kurz zusammengefaßt, stellt die Budgetprognose fest, daß in den nächsten vier Jahren die Budgetausgaben und vor allem die Personals kosten explosiv steigen, die staatlichen Investitionen, die Budgeteinnahmen sogar stark unterdurchschnittlich steigen werden, und das Budgetloch immer größer werden wird: im nächsten Jahr (also dem Budget 1974) soll das Budgetdefizit bereits 18 Milliarden Schilling aus- machen.

Dabei basiert diese Beiratsprognose auf äußerst optimistischen Annahmen: so soll in den nächsten Jahren das reale Bruttosozialprodukt um immerhin jährlich 4,5 bis 5 Prozent wachsen und die Inflation von derzeit zehn auf „nur’ fünf Prozent im Jahr 1978 zurückgehen. Trifft nur eine dieser äußerst optimistischen Annahmen auch nur für die Hälfte des Prognosezeitraumes nicht zu, dann würde sich für die heimische Volkswirtschaft noch eine viel düsterer Budgetentwicklung in den nächsten vier Jahren ergeben.

Man sollte sich aber in keinem politischen Lager einer Illusion hingeben: Selbst bei allgemeiner Unpopularität dürfte es darüber hinaus der Mitarbeit der Bevölkerung bedürfen, um das Budgetschiff wieder geradezustellen. Daß dabei auch außenpolitischen Entwicklungen ein entsprechender Stellenwert zukommt, braucht nicht wiederholt zu werden.

Die Prognose rechnet damit, daß das Budgetvolumen bis 1978 auf rund 250 Milliarden Schilling ansteigen wird, das ist knapp weniger als die Hälfte des derzeitigen Bruttosozialprodukts. Das Wachstum der Personalausgaben wird für die vierjährige Periode mit 35,2 Prozent angegeben. Sie werden von 58,2 Milliarden Schilling im Jahr 1974 auf rund 100 Milliarden Schilling im Jahr 1978, oder auf 38,8 Prozent der Gesamtausgaben, ansteigen. Der Sozialaufwand wird bei einem Anteil von etwa 22 Prozent stagnieren, der Anteil der Bundesinvestitionen an den Gesamtinvestitionen dürfte unterdurchschnittlich ansteigen, dagegen soll die außerbudgetäre Fondsfinanzierung kräftig wachsen. Diese einer Reihe von Budgetgrundsätzen (etwa denen der Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit) widersprechende Finanzierungsform (etwa für das Internationale Amtssitz- und Konferenzzentrum Wien AG, für die Brenner- und Tauernautobahn AG) wurde gerade in den letzten Jahren zur Perfektion gebracht. Ihre Ausgliederung aus dem Bundesbudget macht es heute unmöglich, mit Anteilen der Budgetausgaben am Bruttosozialprodukt Vergleiche zu ziehen. Finanzminister Androsch macht dies immer wieder gern, um zu zeigen, daß unter einer sozialistischen Bundesregierung dieser Anteil sogar zurückgegangen ist; statistisch gesehen, ist das ohne Aussagewert.

Vor allem die beiden kommenden Jahre werden für den Fiskus Engpässe bringen: Die Steuersenkung

1973 ist noch nicht verkraftet, die Budgeteinnahmen werden in den nächsten vier Jahren schwächer steigen als das nominelle Bruttosozialprodukt. Dennoch legen die Prognostiker des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen ihrer Budgetvorschau eine progressionsmildemde Einkommenssteuerreform zugrunde, um deren Zeitpunkt der Vorsitzende der Privatanges’teliltengewerkschaft schon jetzt — ehe noch die „Reform’

1974 in Kraft getreten ist — streitet. Diese SPÖ-interne Diskussion gibt das rechte Bild von den Androsch- schen Steuerreformen. Würde freilich in den kommenden Jahren keine Steuerreform vorgenommen werden, so würde die Belastung der Lohnsumme von derzeit neun auf 12,4 Prozent, also um mehr als ein Drittel, steigen.

Die lang erwartete Beiratsbudgetprognose gibt wenig konkrete budgetpolitische Empfehlungen ab. Als Ganzes betrachtet, ist sie eine Warnung vor einer Fortsetzung der Bud- getpolltlk der letzten Jahre. In die politische Praxis umgesetzt, weist sie auf Schwierigkeiten hin, die kaum unter dem Diktat ständiger Wahlen gemeistert werden können. Die Bud- getlage ist ernst und dann nicht hoffnungslos, wenn die beiden Großparteien sich darauf einigen können, die Budget- und Wirtschaftsprobleme der kommenden Jahre ohne popularitätshaschende Effekte gemeinsam anzupacken. Vom „italienischen Weg’, den Österreich gehen könnte, war schon die Rede. Diese Budgetprognose beweist leider nicht das Gegenteil.

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