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Zwei Kriegsverbrechertribunale

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Der Beschluß des Weltsicherheitsrates, Kriegsverbrechertribunale gegen die Verantwortlichen des Bosnienkrieges einzusetzen, erinnert an den nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufenen Nürnberger Kriegsgerichtshof, der die Schuldigen dieses Krieges und die Massenmörder in seinem Gefolge ihrer verdienten Strafe überführte. Das Gemeinsame an den beiden Vorgangsweisen -beziehungsweise Institutionen -ist der Versuch der Menschheit, so etwas wie ein judizierendes Weltgewissen zu etablieren und der Welt, aber auch den schuldig Gewordenen selbst, ihre Verantwortung vor dem Forum der Menschheit zum Bewußtsein zu bringen.

Diese erfreuliche und moralisch erhebende Gemeinsamkeit kann freilich nicht die gravierenden Unterschiede vergessen machen, die zwischen diesen beiden Fällen bestehen. Erstens waren es in Nürnberg die Sieger, die über die militärisch und moralisch Besiegten zu Gericht saßen.

Dieser Unterschied läßt die gegenwärtigen Anstrengungen positiv hervortreten: ihnen haftet nicht das Odium der Siegerjustiz an, ganz im Gegenteil werden die erfolgreichen Eroberer moralisch geächtet. Es soll damit dafür gesorgt werden, daß sie ihres Sieges nicht froh werden.

Die übrigen Unterschiede sprechen allerdings eine für das jetzt geplante Tribunal weniger positive Sprache.

Während es nämlich in Nürn-

berg darum ging, bereits gefangene und in der Hand des Gerichtshofes befindliche Angeklagte zu belangen, befinden sich die Angeklagten des jetzigen Tribunals in Freiheit und es können daher auf absehbare Zeit keine Sanktionen gegen sie verhängt und vollzogen werden.

Dennoch ist die moralische Bedeutung einer solchen Instanz, die im Namen des Völker- und Weltrechtes auftritt und Recht spricht, nicht gering zu achten, auch wenn eine unmittelbare Abschreckung dieser und künftiger Täter nicht zu erwarten ist, denn offenbar haben die Lehren von Nürnberg nicht verhindert, daß Jahre und Jahrzehnte später ähnliche Taten wie während des Zweiten Weltkrieges gesetzt werden, die man nach den Erfahrungen dieser Völkerkatastrophe nicht mehr für möglich gehalten hätte.

Offenbar sind das Gedächtnis der Völker und der politisch Verantwortlichen kurz und die Fähigkeit, aus der Geschichte zu lernen und weise für immer zu werden, beschränkt wie eh und je.

Trotzdem ist es zu begrüßen, wenn sich so etwas wie ein Weltgewissen regt, wenn man sich auch des Eindrucks nicht erwehren kann, daß das geplante Tribunal die Funktion eines Alibis und eines Ersatzes für ein wirksames Eingreifen der Völkergemeinschaft erfüllt und das schlechte Gewissen beruhigen will. Doch wäre es nicht noch schlimmer, wenn es nicht wenigstens diesen Aufstand des Gewissens gäbe?

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