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Zwei Lichter auf dunklem Grund

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Die Absicht des Papstes, mitseinerzweiten Deutschland-Reise historisch-: moralische Lasten abzutragen, stieß auf Grenzen.

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Die Absicht des Papstes, mitseinerzweiten Deutschland-Reise historisch-: moralische Lasten abzutragen, stieß auf Grenzen.

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Es muß Wärme von uns ausgehen“ - so hat Johannes Paul II. in München den Widerstandsprediger Rupert Mayer (FURCHE 5/1987) zitiert, den er - wie vorher in Köln die jüdische Nonne und Auschwitz-Märtyrerin Edith Stein (FURCHE 9/1987) - auf die katholischen Altäre erhob, nicht um sie mystisch-selig zu entrük-ken, sondern um sie als Beispiele eines modernen christlidien Heroismus den Menschen nahezubringen.

Doch nicht nur kühles Wetter verhinderte einen Massenauflauf an den Einzugsstraßen des Papstes und dämpfte die Begeisterung auch dort, wo ihn Hunderttausende herzlich ohne Uberschwang empfingen. Atmosphärische Störungen und laues Klima schienen bei diesem zweiten Deutschlandbesuch des Papstes schon deshalb unvermeidlich, weil seine Absicht, zur Bewältigung deutscher historisch-mora-

lischer Lasten - von der Reformation bis zum Dritten Reich — beizutragen, bei fast jedem seiner Schritte auf Grenzen stieß: jene, die ihm betuliche, selbstgerechte Reden und Predigtschreiben in deutschen Bischofsresidenzen gezogen haben, und solche, die er sich selbst aus seinem Amtsverständnis setzt und nur selten mit seiner im Grunde unklerikalen Natürlichkeit zu überspringen vermag.

So hat er sich in Köln über jene kirchenrechtlichen, auch vatikanischen Haarspaltereien hinweggesetzt, die Edith Stein vor allem als Zeugin des katholischen Glaubens „gegen den Unglauben der Juden“ seüggesprochen sehen wollten. Der Papst ließ keinen Zweifel daran, daß diese Philosophin und Ordensfrau als Jüdin ermordet wurde, als Opfer „gnadenloser Konsequenz einer wahnsinnigen Ideologie“ . Neunmal nannte der Papst die Karmelitin eine „große Tochter des jüdischen Volkes“ , für die auch ihre katholische Taufe „keineswegs den Bruch“ mit diesem Volk bedeutete, ja erst als Christin habe die Atheistin auch den Gott des Alten Testaments wieder gefunden und sich dann geopfert „für den wahren Frieden und vor allem für ihr bedrohtes und gedemütigtes jüdisches Volk inmitten von Millionen unschuldig gemarterter Mitmenschen“ .

Und doch ist an diesem Tag, an dem in festlichem Geläute des Kölner Doms Todesglocken mit-

„Den deutschen Oberhirten jener Epoche wurde eine Art Alibi zugebilligt“

zuschwingen schienen, nicht alles ausgesprochen worden, was hätte: gesagt werden müssen. Wenn — wie der Papst aus dem Johannes-Evangelium zitierte - „das Heil von den Juden kommt“ , zu denen Jesus Christus gehört, so ist am Unheil, das über die Juden jahrhundertelang immer wieder und am schlimmsten in unseren Tagen hereinbrach, auch christliche, kirchliche Verantwortung und Schuld beteiligt.

Und dies hat der Papst weder in den Kölner noch in anderen seiner 22 Ansprachen auch nur einmal erwähnt. Selbst nicht, als er vor dem nur zögernd zur Begegnung bereiten Zentralrat der deutschen Juden sprach, „neue Formen von Antisemitismus, Rassismus und neuheidnischer Glaubensverfolgung“ verurteilte, aber auch auf die kulturellen Wurzeln des rhein-ländischen Judentums bis ins Altertum hinwies. Kein Wort von dem, worüber sogar das vatikanische Reiseprogramm informierte: daß in diesem Rheinland fromme Ordensleute im 11. Jahrhundert en für eine richtige Darstellung des Judentums.

Daß am „dunkelsten zeitge-schichtUchen Hintergrund“ , vor den der Papst die beiden neuen SeUgen stellte, damals auch seine eigene Kirche Teil hatte, sprach Johannes Paul II. nicht einmal vor dem deutschen Episkopat - wo man fast unter sich war - deutlich aus.

Den gelieferten Text hatte er zwar kurz vor der Reise durch einen neuen ersetzt, in dem gleich zweimal die holländischen Bischöfe für ihre „unüberhörbaren Proteste“ gegen nationalsozialistische Untaten gerühmt wurden. Den deutschen Oberhirten jener Epoche wurde jedoch eine Art Alibi zugebilligt: ihre Handlungsfreiheit sei immer mehr eingeschränkt worden. Etwa mehr als in den besetzten Niederlanden? Oder fehlte es ihnen an jenem ,3ückhalt der Gläubigen“ , den -laut Papst — ein Bischof wie Clemens August Graf Galen hatte, als er wenigstens gegen die Ermordung Geistesgestörter öffentlich

Satz sprach beim ökumenischen Gottesdienst in Augsburg nicht der Papst, sondern Bischof Martin Kruse, der Vorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland. „Haben wir genug, wirklich genug getan? Das ökumenische Feuer darf keine Asche werden! Manchmal habe ich Sorge, daß wir in Versuchung geraten sind, uns in unseren überkonfessionellen Häusern einzurichten.“

Nicht eine „Wende“ , wie sie Kruse forderte, kündigte der Papst an; seine Bitte um Verzeihung betraf nur, „daß wir uns un-zulänghch von den Einheitsgnaden haben ergreifen lassen“ . Die Arbeitsergebnisse der 1980 eingesetzten katholisch-evangeUschen Dialogkommission müsse man „ernsthaft und zügig studieren“ und einem möglichen Konsens zuführen“ , betonte er und reflektierte ebenso melancholisch wie ohnmächtig, welchen Weg wohl die Geschichte genommen „hätte“ , wenn Martin Luther und der Kardinal Thomas Cajetan sich in Augsburg 1518 geeinigt hätten…

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