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Zwei Schüsse verändern die Welt

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Vor 75 Jahren erschoß in Sarajevo ein fanatisierter Student das österreichische Thronfolgerpaar. Die Kette von Ereignissen, die sich daraus entwickelten, riß in drei Jahrzehnten 60 Millionen Menschen in den Tod.

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Vor 75 Jahren erschoß in Sarajevo ein fanatisierter Student das österreichische Thronfolgerpaar. Die Kette von Ereignissen, die sich daraus entwickelten, riß in drei Jahrzehnten 60 Millionen Menschen in den Tod.

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Würde man an das Walten dämonischer Mächte glauben, könnte man schon auf den Gedankenkommen, am 28. Juni 1914 habe eine besonders bösartige Tristan darauf geachtet, daß die Welt nicht noch einmal davonkomme. Oder zwei Unsichtbare, ein Schutz- und ein Todesengel, hätten miteinander gerungen. Ums Haar wäre Österreichs Thronfolger mit seiner Frau gar nicht nach Sarajevo gekommen oder in neun Metern Entfernung an Gavrilo Princip vorbeigefahren —

eine Distanz, aus welcher der 19jährige Gymnasiast eine viel geringere Chance gehabt hätte, erfolgreich zu zielen. Er war ja nicht einmal fähig, im sekundenlang haltenden Wagen Feldzeugmeister Oskar Potiorek aus einer Nähe von zweieinhalb Metern zu treffen - ihm hatte die Kugel, welche die Frau des Thronfolgers tötete, gegolten.

Man bezeichnet die Schüsse von Sarajevo als die ersten des Ersten Weltkrieges und den Zweiten als Fortsetzung des Ersten. Ein geheimdienstliches Komplott und die Tat eines fanatisierten Jugendlichen also als Ausgangspunkt von Ereignissen, die rund 60 Millionen Tote zur Folge hatten- nur der andere Aberglaube, es habe sowieso alles etwa so kommen müssen, wie es jeweils gekommen ist, ermöglicht es, sich an diesem schaurigen Gedanken vorbei- fcumogeln.

In Wiens Heeresgeschichtlichem Museum liegt der über der Brust aufgeschnittene Uniformrock mit dem von der Zeit verfärbten Blut. Wer war der Mann, der ihn am 28. Juni 1914 trug?

Kein Sympathischer, aber die letzte Chance der Monarchie. Franz Joseph sah seinen präsumtiven Nachfolger so selten wie möglich und sorgte dafür, daß er in der Politik so wenig wie möglich zu reden hatte und möglichst wenig erfuhr. Der Thronfolger konnte nur Pläne machen, im Belvedere die Männer für die Stunde X um sich sammeln und über Mittelsmänner Fäden ziehen. Er wußte, daß das Schicksal Habsburgs von der Lösung der

Nationalitätenfrage abhing und mußte zuschauen, wie alles verspielt wurde.

Franz Ferdinand brüskierte, beleidigte, war aufbrausend, mitunter rachsüchtig, aber intelligent und weitblickend. Er war von Jagdleidenschaft getrieben (nach dem Schuß auf ein trächtiges Tier wurde er von preußischen Gastgebern hinausgeworfen), aber für eine vorsichtig ausgleichende Politik. Die Absicht, als Kaiser den ungarischen Nationalismus zu bremsen, den Südslawen den eigenen Staat zu geben und aus der Doppelmonarchie eine „trialistische“ zu machen, kann als sicher gelten. Für Pläne, allen Völkern der Monarchie Autonomie zuzugestehen, gibt es Indizien. Die südslawischen Nationalisten, die ihn aus dem Weg räumten, mögen gerade in einer liberaleren Nationalitätenpolitik Österreichs eine Gefahr für ihre eigenen Konzepte gesehen haben. Sie träumten vom großserbischen Reich.

Er wolle „nicht einen Zwetschkenbaum, nicht ein Schaf“ von

Serbien, sagte der Thronfolger zu Franz Conrad von Hötzendorf, als dieser 1912/13 losschlagen wollte. Was nützten diese billigen Lorbeeren, schrieb er einem Adjutanten, „wenn wir uns dadurch eine allgemeine europäische Verwicklung hinaufdividieren und dann womöglich mit zwei bis drei Fronten zu kämpfen haben und das nicht aus- halten können“ - genau so kam es nach seinem Tod.

Vom Königreich Serbien axis war aber gerade er zum Symbol österreichischen Expansionsdranges axifgebaut worden. Österreich hatte die bis dahin türkischen Gebiete Bosnien und Herzegowina 1878 besetzt undsich 1908 einverleibt. Franz Ferdinand war gegen dieses „Kraftstückel“ gewesen, Franz Joseph pro kl änderte die Annexion, ohne vorher jemanden von seiner Entscheidung zu informieren. Sie verschlechterte das Verhältnis zuRußland. Das Verhältnis zuEngland, das 20 Jahre vorher Österreich unterstützen wollte, war längst abgekühlt: Je mächtiger Deutschland wurde, umso mehr mißfiel dem aufs kontinentale Gleichgewicht bedachten England das Bündnis Österreich-Deutschland.

„Landeschef“ Feldzeugmeister Potiorek forcierte den Besuch des Thronfolgers und Armee-Generalinspekteurs bei den Bosnischen Manövern als Demonstration habsbur- gischer Präsenz. Warnungen gab es genug. Franz Ferdinand hatte Bedenken wegen der Hitze und seiner Gesundheit. Was das Attentat betraf: „Besorgnisse lähmen das Leben. Das Fürchten ist immer ein gefährliches Geschäft.“ Ums Haar hätte ihn eine Krankheit des Kaisers zurückgehalten.

Im Manövergebiet war er militärisch abgeschirmt. Beim Besuch vonSara- jevo sollte aber das Militär in den Kasernen bleiben, die Polizei den Gast schützen: 120Mannbei 50.000 Einwohnern. Die Zuziehung ungarischer Detektive wurde abgelehnt, weil das 7.000 Kronen gekostet hätte. Potiorek hatte schon ein Mehrfaches für die Ausstattung des erzherzoglichen

Manöverquartiers ausgegeben und kein Geld mehr. Er zerriß die Warnung des ranghöchsten Polizeibeamten und erklärte zusätzliche Gendarmen aus der Umgebung für ausreichend. Am Vorabend wurde der Erzherzog beschworen, abzusagen. Da es sehr heiß werden sollte und er nanh 1angjäKrigpi-T.iir>gpnln-anlrheit das Schwitzen in der dicken Paradeuniform scheute, wollte er schon nachgeben. Flügeladjutant Merizzi meinte, man dürfe die Kroaten nicht kränken. Das wardieEntscheidung.

Sechs Attentäter erwarten die Fahrzeugkolonne auf einer 500 Meter langen Strecke. Im Wagen mit der Wiener Nummer A IU-118 macht Potiorek den Erzherzog auf ein militärisches Objekt aufmerksam. Ein junger Mann schlägt eine Büchse gegen eine Laterne, um den Zeitzünder scharfzumachen, und schleudert sie gegen den Wagen. Sie prallt vom zurückgeschlagenen Verdeck ab und explodiert unter dem nachfolgenden Auto. Einer der beiden Verletzten ist Adjutant Merizzi.

Beim Essen geht wieder einmal die Wut mit dem Erzherzog durch. AufdemRückwegwillerMerizziim Spital besuchen. Es wird beschlossen, die Innenstadt zu meiden. Potiorek vergißt, es dem wichtigsten Fahrer zu sagen. Er brütet wohl über den Folgen des Attentats für seine Karriere. Der erste Wagen fährt geradeaus, der des Thronfolgers biegt ab, Potiorek befiehlt Umkehren, das Auto kommt zum Stehen, im Menschenspalier steht Gavrilo Princip. Er hebt eine Pistole. Aus dem Mund des Thronfolgers schießt ein BlutstrahL Die Herzogin kann noch sagen: „Um Gotteswülen, was ist Dir geschehen?“, er kann noch sagen: „Sopherl, stirb mir nicht, bleib für meine Kinderl“ Der Fahr- rer gibt Gas. Wenige hundert Meter weiter werden zwei Tote aus dem Wagen gehoben. Auf der restlichen Strecke hätte kein Attentäter gewartet.

Es gelingt den österreichischen Behörden nicht, die Verbindung der Verschwörer zu serbischen Hintermännern nachzuweisen. Sie schweigen. Erst 1941 stellen die Deutschen in Belgrad jene Dokumente sicher, aus denen sich die Schuld des serbischen Generalstabsobersten und zeitweise zweiten Mannes im Staat Dragutin Dimitrijevic und die Mitwisserschaft^von Regierung smitglie- dem zweifelsfrei ergibt. Die Auswertung dieser Dokumente erfolgt lang nach Kriegsende in Wien. Zu spät für Österreich -zu spät für die Welt

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