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Zwei Unberechenbare

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1970 reizte der Inselzwerg Malta (320.000 Einwohner) den Riesen Großbritannien (50 Millionen Einwohner) bis zur Weißglut. Malta-Premier Dominic („Dom“) Mintoff, Sozialist und Millionär, drohte, falls man seine Tributforderungen nicht erfülle, mit der Schließung der britischen Luftwaffen- und Marineanlagen und ihrer Abtretung an den Warschauer Pakt. London wollte schon passen, doch unter dem Druck des Brüsseler NATO-Hauptquartiers, das seitdem einen Teil der Stationierungskosten von 14 Millionen Pfund Sterling jährlich aufbringt, entschloß es sich zum Bleiben. „Dom“ garantierte dafür, kein rotes Schiff dürfe den Hafen von La Valetta anlaufen und beruhigte damit die um die Sicherheit am „weichen Unterleib“ der europäischen Südwestflanke besorgten NATO-Strategen. Seitdem wurde es wieder still um den kleinen Inselstaat. Doch hat sich in dieser Weltecke eine sehr seltsame Freundschaft angebahnt.

Der eine gilt als der Protektor des internationalen Terrors. Ägyptens Präsident Sadat nannte ihn einen pathologischen Fall. Arabiens Presse bezeichnet ihn als den „Irren von Tripolis“. Der hochgewachsene, schlanke Beduinensprößling Gaddafi hält sich selbst für eine Reinkarna-tion des Propheten Mohammed, Sultan Saladins des Prächtigen und Gamel Abdel Nassers.

Der andere, nämlich der erwähnte Mintoff, ist ein kleiner und zur Fül-ligkeit neigender Choleriker. Trotz seines gut gepolsterten Bankkontos gehört seine Partei zur „Sozialistischen Internationale“, und er selbst erfreut sich der Zuneigung Willy Brandts, Bruno Kreiskys und Olof Palmes. Niemand weiß, ob ihn die drei — wegen ihrer zuweilen allzu blauäugigen Entspannungseuphorien nicht bei jedermann beliebten — Sozialistenführer davon abzuhalten suchten, jedenfalls betreibt der „kleine Dom“ seit längerem ein gefährliches Doppelspiel. Er verzichtete zwar auf den seinerzeit angedrohten Flirt mit der roten „Eskadra“, flirtete aber um so heftiger zuerst mit China und dann mit dem libyschen Oberst Moammer el-Gaddafi.

Peking, finanziell selbst nicht auf Rosen gebettet und mit Krediten gewöhnlich außerordentlich knauserig,gewährte Malta im Frühjahr 1972 eine 14-Millionen-Pfund-Beihilfe. Aus den 40 Spezialisten, die man ihm zusätzlich schickte, wurden inzwischen 500 Chinesen. Sie bauen für die Malteser ein Trockendock für Schiffe bis zu 300.000 BRT. Den Aufbau einer maltesischen Fischerei-flotte übernahmen die sonst auch nicht allzusehr am Entwicklungshilfegeschäft interessierten Nordkoreaner.

Maltas agilster Entwicklungspartner ist jedoch ausgerechnet der von anderen als gefährlicher Irrer bezeichnete Oberst el-Gaddafi. Schon bei dem Streit um die Stationierungskosten der britischen NATO-Streit-kräfte gab er dem „kleinen Dom“ Rückendeckung. Der reiste inzwischen mehrfach nach Tripolis, und el-Gaddafi übernahm auf einer seiner ganz wenigen Auslandsreisen persönlich die Einweihung eines libyschen Kulturzentrums in La Valetta. Hier gibt es kostenlos arabische Sprachkurse (Maltesisch und Arabisch sind schließlich eng verwandte Sprachen), der Libyer bezahlt gleichfalls den Bau eines Trok-kendocks und beteiligt sich an den Unterhaltskosten der erwähnten Fischereiflotte. Außerdem übernahm er die Hälfte des Kapitals einer maltesischen Hotelkette und schenkte seinem Partner zwei Kanonenboote.

Premier Mintoff argumentiert, die Inselrepublik müsse 1979, wenn das Stationierungsabkommen mit der NATO ablaufe, wirtschaftlich unabhängig sein. Die Opposition hält dagegen, ein Bruch mit dem Westen komme schon deshalb nicht in Frage, weil dieses Ziel utopisch sei. Außerdem dürfe es das winzige Malta nicht darauf ankommen lassen, in den begehrlichen Armen des großen Nachbarn Libyen erdrückt zu werden.

Mintoffs Anti-West-Politik genießt bei den um ihre Arbeitsplätze fürchtenden Maltesern eine gewisse Popularität. Die Freundschaft mit el-Gaddafi ist ihnen, die jedem Fanatismus gewöhnlich abhold sind, jedoch zunehmend ein Dorn im Auge. In La Valetta ist nicht verborgen geblieben, daß Tripolis immer mehr zum Stützpunkt nicht nur des weltweiten Terrors geworden ist, sondern sich auch immer mehr an die Sowjetunion annähert. Die Konservativen unter Mintoffs Vorgänger Borg Olivier wollen die NATO-Präsenz zum Schlager der bevorstehenden Parlamentsneuwahlen machen. Sie hoffen auf ein Signal aus London und Brüssel über die NATO-Bereitschaft zur Verlängerung des Stationierungsvertrages und auf eine größere Bereitschaft der USA und der EG zu langfristiger wirtschaftlicher Hilfe.

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