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Zwei wählbare Männer

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Österreich wird am 23. Juni zwischen zwei Persönlichkeiten zu wählen haben. Aber seltsam — gerade diesmal, in dieser Bundespräsidentenwahl, in der dem Glaubensbekenntnis der Kandidaten geringeres Gewicht zukommen sollte, als je zuvor, steht die Qualifikation als praktizierender Katholik plötzlich im Mittelpunkt zumindest einer Wahlwerbung. Und ebenso seltsam: Auch diesmal, da auch die politische Vergangenheit der Kandidaten keine Rolle spielen sollte, weil beide Kandidaten nicht nur dasselbe Glaubensbekenntnis, sondern auch eine sehr verwandte politische Vergangenheit haben, wird über ihre Vergangenheit geredet.

Unnötigerweise. Seit 1945 oder, genauer gesagt, seit der ersten Volkswahl eines österreichischen Bundespräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1951, hat es niemals zwei Kandidaten gegeben, deren Herkommen und Lebensläufe einander so geähnelt hätten. Beide Präsidentschaftskandidaten waren Mitglieder des katholischen Mit'tel-schüler-Kartellverbandes. Der eine, der Kandidat der österreichischen Volkspartei, war Mitglied der Heimwehr respektive des Heimatschutzes, der andere, der Kandidat der Sozialistischen Partei, war in der Vaterländischen Front. Beide sind praktizierende Katholiken.

Nun hat der Bundespräsident in dieser Republik Österreich zwar eine eminent staatspolitische Funktion auszuüben, doch hat, obwohl oder vielleicht gerade weil die überwiegende Zahl der Österreicher einer Konfession angehört, der Glaube eines Bundespräsidenten noch nie eine Rolle gespielt. Zwei Bundespräsidenten waren überzeugte Nicht-Gläubige und wurden, gewählt von einer großen Zahl österreichischer Katholiken, voll und ganz ihrem Amt gerecht.

Deshalb fragt man sich, warum gerade jene Partei, aus der diese beiden Männer hervorgegangen sind, diesmal so tut, als würden die Chancen eines Präsidentschaftskandidaten in diesem Land mit seiner Glaubwürdigkeit als Katholik stehen oder fallen. So tut, als hätte sein Glaubensbekenntnis auch nur das geringste mit seiner Qualifikation für das Amt des Bundespräsidenten zu tun.

Die vierfärbige Postwurfsendung der SPÖ zur Präsidentschaftswahl wirkt darum einigermaßen befremdend in ihrem krampfhaften Bemühen, das katholische Bekenntnis eines Mannes herauszustreichen, der nach dem Willen jener Partei, die im katholischen Österreich zwei NichtKatholiken, gewählt von der Mehrheit des Wahlvolkes, in die Hofburg entsendete, dem Nichtgläubigen Franz Jonas, der ein guter Bundespräsident war, dorthin nachfolgen soll. Freilich: Seinerzeit wurde von der areligiösen Religion der Kandidaten wenig Aufhebens gemacht, während sich die Religion des Kandidaten Kirchschläger wie ein, wenn der Vergleich hier gestattet ist, roter Faden von Seite zu Seite zieht. Da werden katholische Blätter und katholische Würdenträger zitiert — wozu in aller Welt?

Es kann nicht genug betont werden, daß die bevorstehende Wahl des Staatsoberhauptes größte staatspolitische Bedeutung hat, daß dabei aber konfessionelle Argumente auch diesmal keine Rolle spielen sollten. Die Sozialisten waren in früheren Wahlkämpfen im Recht, wenn sie es ablehnten, die Religion zum Wahlkampfthema machen zu lassen. Darüber sind wir, nicht zuletzt dank Jonas und seinen Vorgängern, doch hoffentlich endgültig hinaus. Das sollte vorbei sein und vorbei bleiben. Ohnehin sind diesmal beide Kandidaten praktizierende Katholiken. Also besteht in dieser Beziehung kein Gegensatz. Die SPÖ wird doch nicht darin schwelgen, endlich einen katholischen Präsidentschaftskandidaten vorweisen zu können?

Aber auch die politische Vergangenheit der Kandidaten wird und wurde, mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger unterschwellig, in der ersten Hälfte dieses Wahlkampfes dann und wann kolportiert. Dazu wäre zu sagen, daß die Meinung des Regierungschefs, jemand, der in der Heimwehr war, solle sich nicht für das höchste Amt bewerben, ebenso deplaciert war, wie es deplaciert ist, wenn man auf der anderen Seite dem Kandidaten Kirchschläger politische Wetterwendigkei't vorwirft. Die FURCHE ist seit langem dafür eingetreten, Menschen, die sich in der demokratischen Republik Österreich politisch exponieren, aus einer bloßen Mitgliedschaft bei der NSDAP keinen Vorwurf zu machen, wenn sie'sich in der Zwischenzeit als Demokraten bewährt haben. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo erschwerende Umstände, antisemtische oder antidemokratische Äußerungen, SS-Mitgliedschaft und so weiter, hinzukommen. In diesem Staat einem Kandidaten Lugger, der mit 16 Jahren im Tiroler Heima'tschutz war, einen Vorwurf machen zu wollen, ist unfair.

Um es noch deutlicher zu sagen: Dieser Staat Österreich' hat es gelernt, mit seinen „Ehemaligen“, nämlich mit den gewesenen NSDAP-Mitgliedern, zu leben. Manchmal hat er gerade diese Lektion um einiges zu gut gelernt. Auf der einen Seite seinen Frieden mit den ehemaligen Nationalsozialisten zu machen, auf der anderen Seite aber Heimwehr-Ressentiments öffentlich auszugraben, ist doch lächerlich.

Auf der anderen Seite aber ist es ebenso lächerlich, wenn man daraus, daß der Kandidat der Sozialistischen Partei einst Mitglied der Vaterländischen Front war, und praktizierender Katholik ist, auf einen Gesinnungswandel, auf Wankelmütigkeit, schließen will. Ein Mitglied des Mittelschüler ^Kartellverbandes ist keineswegs automatisch als Parteigänger der ÖVP zu reklamieren. Kirchschläger mag, als Staatsbeamter konservativen Habitus', durch seinen Eintritt in eine „rote“ Regierung eine manchem gestandenen Konservativen unverständliche Handlung gesetzt haben, aber er hat sich niemals in einem Ausmaß für die „rechte Reichshälfte“ exponiert, daß man ihm einen Gesinnungswandel vorwerfen könnte. Und überdies ist der Eintritt in eine aus demokratischen Wahlen hervorgegangene sozialistische Bundesregierung kein Verrat an irgendwelchen Prinzipien, denen Kirschschläger verpflichtet wäre.

Österreich wird am 23. Juni zwischen zwei gleichermaßen wählbaren Persönlichkeiten zu wählen haben. Wer immer gewählt wird, Kirchschläger oder Lugger: Jedem von ihnen gebührt das Vertrauen, daß er ein Präsident aller Österreicher sein wird. Der praktizierenden Katholiken wie der praktizierenden Sozialisten, was kein Widerspruch sein muß.

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