6824929-1974_06_24.jpg
Digital In Arbeit

Zweifrontenkrieg des Geistes

19451960198020002020

Um die Jahrhundertwende und auch noch später erschienen in der „Neuen Freien Presse“ zu Wien und in anderen Blättern des deutschen Sprachraums zahlreiche Aufsätze zur modernen Wohnkultur im besonderen und zur modernen Lebenskultur überhaupt, die'ihren Verfasser, den jungen Architekten Adolf Loos, in den Ruf brachten, der „Moderne“ in den Rücken zu lallen. Die „Moderne“, das waren damals neben anderm: Jugendstil und Secession, Deutscher Werkbund und Wiener Werkstätten. Und in der Tat: er war nicht grad zimperlich, der junge und auch noch der alte Adolf Loos, im polemischen Umgang mit den Exponenten jener „Moderne“; so prophezeite er 1910 einem Witzblatt, das sich über seinen grundlegenden Essay „Ornament und Verbrechen“ lustig gemacht hatte: „Und ich sage dir,( es wird die Zeit kommen, in der die Einrichtung einer Zelle vom Hoftapezierer Schulze oder vom Professor Van de Velde als Strafverschärfung gelten wird.“

19451960198020002020

Um die Jahrhundertwende und auch noch später erschienen in der „Neuen Freien Presse“ zu Wien und in anderen Blättern des deutschen Sprachraums zahlreiche Aufsätze zur modernen Wohnkultur im besonderen und zur modernen Lebenskultur überhaupt, die'ihren Verfasser, den jungen Architekten Adolf Loos, in den Ruf brachten, der „Moderne“ in den Rücken zu lallen. Die „Moderne“, das waren damals neben anderm: Jugendstil und Secession, Deutscher Werkbund und Wiener Werkstätten. Und in der Tat: er war nicht grad zimperlich, der junge und auch noch der alte Adolf Loos, im polemischen Umgang mit den Exponenten jener „Moderne“; so prophezeite er 1910 einem Witzblatt, das sich über seinen grundlegenden Essay „Ornament und Verbrechen“ lustig gemacht hatte: „Und ich sage dir,( es wird die Zeit kommen, in der die Einrichtung einer Zelle vom Hoftapezierer Schulze oder vom Professor Van de Velde als Strafverschärfung gelten wird.“

Werbung
Werbung
Werbung

Weil Loos, der vor 75 Jahren mit dem Cafe Museum zum erstenmal hervortrat, nicht einfach für das Neue, sondern immer nur für das Gute, Wahre, Schöne kämpfte, egal, ob dieses aus der Antike oder aus dam Biedermeier stammte oder aber soeben erst geschaffen wurde; weil er, frei von jeder Cupiditas rerum novaruim, nicht das jeweils Neueste, sondern das jeweils Beste für modern erklärte, auch wenn dieses Beste, wie etwa unser Hobel, viele Jahrhunderte alt war: drum schiimpften die professionellen Moidemisten ihn einen Reaktionär.

Deswegen aber erklärten die wirklichen Reaktionäre ihn noch lang nicht für ihren Mann, und zwar mit gutem Grund; denn im Gegensatz zu ihnen sah er im Alten genauso wenig einen Wert an sich wie im Neuen; und dort, wo Altes veraltet war, forderte er mit der größten Entschiedenheit die Ersetzung dieses Alten durch etwas Neues; freilich nicht durch irgend etwas Neues, sondern durch dasjenige Neue, das den kulturellen und zivilisatorischen Notwendigkeiten sowie den technischen Möglichkeiten in höchstem Maße entsprach und eben dadurch das Alte zum Veralteten machte. Als Loos 1910 sein erstes Haus baute — es steht am Micbaelerplatz in Wien und wird heute noch das Loos-Haus genannt —, da brach bei den Baubehörden, bei den Architekten, in der Presse, in der Bevölkerung und sogar im Gemeidera't ein Sturm der Entrüstung los, denn es war ein Haus ohne Ornamente, ein Haus ohne Karyatiden am Portal, ohne Löwenköpfe an Sims und Giebel, ohne Gipsgirlanden rund um die Fenster, und deshalb nannte man es eine „Mistkiste“, ein „Scheusal von einem Haus“, ein „jeder Architektur und Kunst hohnsprechendes Gebäude“, ein — der sauberen Anordnung der Fenster wegen — „Kanalgitberhaus“, und ein Zeitungsschreiber verstieg sich zu der Klage über die „viereckigen Fenster“! Fragt man aber heute einen Touristen, ob ihm am Michaelerplatz irgendetwas aufgefallen sei, dann wird er verneinen — und ganz genau darin liegt die Qualität dieses Bauwerks: es fällt nicht auf: weder als modern noch als unmodern, weder als kühne Utopie noch als ehrwürdiges Altertum. Selbstverständlich wie eh und je steht es auch jetzt noch inmitten seiner architektonisch sehr anspruchsvollen Umgebung, aus ein anschaulicher Beweis der von Loos formulierten These: „Wenn ein Haus im Stile seiner Zeit gebaut ist, paßt es in jede historische Umgebung.“

Was Loos gebaut oder eingerichtet hat — so zum Beispiel auch die winzig kleine Kärntner-Bar (oder Loos-Bar, wie man in Wien gewöhnlich sagt) —, atmet zeitlose Schönheit. Und zwar nur deshalb, weil diese Bauwerke und Interieurs genau und ganz auf der Höhe ihrer Zeit stehen, in technischer wie in sozialer Hinsicht. Sie beweisen, daß man in die Zukunft hinein weder durch Konservierung des Hergebrachten noch durch revolutionäre Neuerung wirkt, sondern einzig durch die größtmögliche Übereinstimmung mit dem, was man im besten Sinn des Wortes den Zeitgeist nennt. Der Revolutionär und der Reaktionär aber: sie beide ignorieren, ja verleugnen und bekämpfen den Zeitgeist, und eben deshalb bringen sie nichts hervor, das die Zeit überdauert. Man prüfe doch einmal — um kurz in die Literatur hinüberzuwechseln — die Modernität zwischen der Jahrhundertwende und den zwanziger Jahren, wie sie in zahllosen Büchern und Broschüren, in Almanachen und Zeitschriften sich niedergeschlagen hat! Was davon hat die inzwischen verflossenen fünfzig Jahre überdauert? Doch nicht die hektische Gestik, nicht das bis zur Perversion getriebene Experiment, nicht der als Vorgriff in höhere Geistigkeit gemeinte und interpretierte Rückfall ins Stammeln und Lallen! Dies alles ist heute genauso unerweckbar vergessen wie die Heimatkunst von damals, wie das Epigonentum von damals, wie das konventionell Gekünstelte von damals. Geblieben sind Trakl und Rilke, Kafka und Thomas Mann, Schnitzler und Brecht... Also diejenigen, die zumindest mit einigen Strophen, mit einigen Kapiteln, mit einigen Szenen rein und genau jene Stelle im Zeitenfluß bezeichnet haben, wo Vergangenheit und Zukunft nicht voneinander geschieden sind, sondern alles Gegenwart ist und Ewigkeit zugleich. Oder etwas oberflächlich gesagt: diejenigen, die sich zum Instrument der Kontinuität gemacht haben.

Aber zurück zu Adolf Loos! Das also ist, weit über die Anläße hinaus, die eine, bleibende Lehre: daß Kultur immer nur in der aufs äußerste konkretisierten Gegenwart, nur auf der höchsten Höhe der Zeit entsteht und nicht in den Abstraktionen, sei's einer reaktionären, sei's einer revolutionären Gesinnung. Die zweite große Lehre, neben der von der Kontinuität der Kultur, ist die von der Totalität der Kultur. In seinen kulturpädagogischen Schriften spricht Loos von scheinbar recht unbedeutenden oder doch selbstverständlichen Dingen: von Wäsche und Krawatten, vom Essen und vom Haarschnitt, von Trinkgefäßen, Türklinken, Schirmständern und Einbauschränken — aber auch das unscheinbarste Phänomen wird auf seine Modernität hin untersucht, und also aus der Realität und nicht aus der Idee entsteht dann der Begriff der modernen Kultur; einer Kultur, die sich entweder überall manifestiert — oder gar nicht!

Loos selber hat die wichtigsten seiner Essays in den zwei Büchern „Ins Leere gesprochen“ und „Trotzdem“ publiziert; seit einigen Jahren sind sie in einem Band versammelt. Und wir stehien nicht an, dieses Buch zu den wichtigsten unseres Jahrhunderts zu zählen. Und das nicht so sehr seines saChlich-fachlichen Inhalts wegen — obwohl es auch in dieser Hinsicht reicher ist als manche Bibliothek —, sondern vor allem als ein (zufällig in der Materie des Architekten statuiertes) Exampel für jede geistige Aktivität, für ein geistiges Leben überhaupt. Seine zeitlose Aktualität besteht einfach darin, daß es uns beispielhaft daran erinnert, wo der geistige Mensch seinen Standort hat: so weit abseits von der populären und ach so bequemen Alternative Reaktion oder Revolution, daß er einen Zweifrontenkrieg gegen Reaktion und Revolution führen kann, ohne in eines der beiden feindlichen Lager abgedrängt zu werden; und zwar so weit abseits von dieser Alternative Reaktion oder Revolution, daß er schließlich des wahren Wesens, nämlich der völligen Ver-tauschbarkeit von Reaktion und Revolution reCht inne wird und eine einzige Front sich herausbildet: die der Zeitgemäßen gegen die Unzeitgemäßen.

Wie jeder wirklich Große, über sich selbst hinaus etwas Bedeutende, erteilt auCh Adolf Loos mit seiner inhaltlichen Lehre eine formale, eine methodische Lehre — wie ja überhaupt die Identität von Inhalt und Form das einzig verläßliche Kriterium für Größe, für Bedeutung ist; und auch für die Modernität, wie Adolf Loos sie verstand und uns verständlich machte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung