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Zweisprachige Einsager
Im Gang der Volksschule Kindermanngasse in Wien-Hernah hängt der Spruch: „Sinnvoll wird unser Leben wohl erst, wenn wir gerne beisammen sind, gerne aufeinander hören, gerne miteinander reden.” Der Anteil an ausländischer Bevölkerung ist im 17. Wiener Gemeindebezirk besonders hoch. Der Spruch hat damit praktische Bedeutung.
Im Gang der Volksschule Kindermanngasse in Wien-Hernah hängt der Spruch: „Sinnvoll wird unser Leben wohl erst, wenn wir gerne beisammen sind, gerne aufeinander hören, gerne miteinander reden.” Der Anteil an ausländischer Bevölkerung ist im 17. Wiener Gemeindebezirk besonders hoch. Der Spruch hat damit praktische Bedeutung.
Eva Slama, die Direktorin der Volksschule hat früh auf das Entstehen einer multikulturellen Gesellschaft reagiert, die sie nicht als Problematik, sondern als Herausforderung sieht, wie sie im Gespräch betont. Die Lösungsmöglichkeit für die entstehenden Konflikte kann nur darin liegen, daß in- und ausländischen Kindern gleiche Chancen angeboten werden. Neben mehreren Modellen in der Volksschule ist das der „Muttersprachlichen Alphabetisierung” zur Zeit das bekannnteste. Gäste aus dem In- und Ausland informieren sich an Ort und Stelle.
Ziel des Schulversuchs - in zwei Räumen unterrichteten drei Lehrer -ist, in einer Klasse mit türkisch-deutschem Unterricht die Alphabetisierung in der Muttersprache erlernen zu lassen. Soll ein türkischsprachiges Kind aus dem WortBanane die Buchstaben A heraussuchen, bekommt es Schwierigkeiten, wenn es die Sprache nicht beherrscht. Wird dasselbe Kind vor die Aufgabe gestellt aus dem türkischen Wort für Banane, nämlich mus, das U herauszusuchen, hat es keine Probleme. In der Schulklasse mit 43 Kindern (die erste und zweite Klasse ist zusammengefaßt) konnten 23 beim Schuleintritt kein Wort Deutsch.
Nun zeigt sich, daß die österreichischen Kinder (auf sie wird kein Druck ausgeübt) ebenso schnell die Grundbegriffe der türkischen Sprache lernen wie die Gastarbeiterkinder Deutsch. Wiener Kinder rufen in kürzester Zeit den Lehrer ögretme-nim, sagen zum Nachbarn otur (setz dich) oder gel (komm) und sagen dem türkischen Nachbarn auf türkisch ein, wenn er ins Schwimmen kommt. Beim gemeinsamen Klassengespräch antworten deutschsprachige Kinderspontan auf türkisch gestellte Fragen. Wochentage und der Zahlenraum werden in beiden Sprachen im gleichem Maße beherrscht.
Spielend kennenlernen
Mit der Sprache werden auch Verhaltensweisen und Spiele übernommen: Äußerst populär war ein rein türkischsprachiges Kreisspiel; türkische Kinder lernten das deutschsprachige „Elefantenlied” lieben; ein Wiener Kind beschloß, von nun an die eigenen Mutter mit der türkischen Anrede anne zu rufen.
Die altersheterogene Gruppe der ersten beiden Klassen mobilisiert besonders den Solidarisierungseffekt, indem im Wissen Fortgeschrittene gerne Jüngeren erklären, was nötig ist. Solche Momente sind auszunützen, da kulturelle Unterschiede überbrückt werden müssen. Bisher sind die Erfahrungen gut: Am Ende des Ramadan feiern die Muslime das Zuckerfest, bei dem sich Mädchen die Hände mit Henna färben. Die Schule läßt das Zuckerfest feiern. Damit wird bei den österreichischen Kindern klar, daß gefärbte Hände nicht „schmutzig” sind und bei den ausländischen Kindem entsteht nicht der Eindruck, daß nur die Feste der Christen gefeiert werden.
Als besondere Aufgabe sieht Frau Direktor Slama die Aufklärungsarbeit bei den österreichischen Eltern, die ihre Kinder lieber in konventionelle Klassen geben. Zu groß sind die Berührungsängste. Diese stehen auch einer funktionierenden Integration (was nicht mit der Aufgabe der kulturellen Identität verwechselt werden darf) diametral entgegen. Doch der „plakative Inselversuch”, wie ein Inspektor das Projekt. Muttersprach-liche Alphabetisierung” nannte, gibt Anlaß zur Hoffnung, daß bei gutem Willen der Eltern und einem ungeheuren Engagement der Lehrer eine Möglichkeit gefunden wird, mit neuer und nicht mehr fremder Kultur zu leben, ohne sich bedroht zu fühlen.
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