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Zwiespälte bleiben

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Der Vierergipfel auf der Antilleninsel Guadeloupe blieb - erwartungsgemäß - ohne klingendes Kommunique. Valery Giscard d'Estaing, Helmut Schmidt, James Callaghan und Jimmy Carter, die „großen Vier“ von heute, Staatsmänner, die sich mit ihren Vornamen anreden übrigens, was sich vermutlich auf die Ungezwungenheit des Gesprächs nur günstig auswirkt - sie versuchten, Bilanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit Westlicher Außenpolitik zu ziehen.

Der Hintergrund freilich ist düster. Die Rivalität zwischen den Supermächten dauert an: sowohl in Afrika - durch die Unterstützung des revolutionären äthiopischen Regimes -wie auch in Südostasien (Vietnam/Kambodscha-Krieg) hat die Sowjetunion den Fuß in der Tür. Daß Angola wieder nach dem Westen zu schielen beginnt, ist freilich ein Minuspunkt in der diplomatischen Jahresbilanz des Kreml.

Die Annäherung zwischen China und Japan konnte Moskau ebenso wenig verhindern wie die Normalisierung der Beziehungen zwischen China und den USA. „Hoffnungsgebiete“ Moskaus sind allerdings das unruhige Persien und die immer instabiler werdende Türkei.

Für die USA und Jimmy Carter wiederum sollte diese Jahreswende nach einem ungeheuren Anlauf in der Weltöffentlichkeit jenen Beifall bringen, der dem Präsidenten in der Innenpolitik zunehmend fehlt: dem feierlich besiegelten Nahostfrieden sollten das neue Abkommen zur Begrenzung der strategischen Rüstung (SAL 2) mit der Sowjetunion folgen und schließlich - aber damit hatte man angesichts des pragmatischen Kurses der neuen Pekinger Machthaber ohnehin gerechnet - die Normalisierung der Beziehungen mit China.

Dieser Weihnachtswunsch sollte als einziger von Carters Wünschen auch tatsächlich in Erfüllung gehen, wobei in Kauf genommen werden muß, daß sich nicht nur die Taiwane-sen über den Wert von mit den USA geschlossenen Verträgen Gedanken machen... ,

Der für den Nahostfrieden festgesetzte 17. Dezember ist längst verstrichen und die Außenminister der Supermächte sind einander in Genf wieder einmal erfolglos gegenübergesessen auf ihrer Suche nach einer Formel, die entgegengesetzte politische Ziele mit dem gemeinsamen Interesse, den atomaren Krieg zu vermeiden und die Rüstungskosten zu begrenzen, vereinen soll.

Und die europäische Sicherheit? Die Militärs sind skeptisch. Der ranghöchste Atlantikpakt-Militärmann, General Haig, hat genug. Die wesentlichen Verstärkungen und Verbesserungen der sowjetischen Land-, Luft- und Seestreitkräfte be-

ginnen das militärische Gleichgewicht in Europa schon zu stören.

Den Mittelstreckenraketen etwa kann der Atlantikpakt - derzeit wenigstens - nichts gleichwertiges entgegensetzen. Trotz aller düsteren Utopien allerdings, die pensionierten NATO-Generälen und Ex-Diplomaten aus der Feder fließen, bleibt eine militärische Aktion der Warschauer Paktstaaten in Mitteleuropa ein Risiko - sowohl angesichts der chinesischen Müitärmacht im Osten wie auch der im Kriegsfall möglicherweise unsicheren osteuropäischen Verbündeten der Sowjets. Und die Anstrengungen des Westens schließlich, das konventionelle Ubergewicht

des Ostens auszugleichen, dürfte in spätestens zehn Jahren Erfolg haben.

Aber die Klammerfunktion der USA im atlantischen Bündnis ist nicht mehr so verläßlich. Die Folge: die Europäer sind unsicher, außen-, und militärpolitische Fragen sind mehr denn je Gegenstand innenpolitischer Diskussion. Auch hier also die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Diese auszuräumen, haben sich die Staats- und Regierungschefs der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik Deutschland in Guadeloupe ja vorgenommen, als sie über die Verteilung der Verteidigungslasten in Europa, über Inflations-, Währungs- und Energieversorgungsprobleme diskutierten.

Aber die Krisen? Etwa die im Iran, wo aus dem Konflikt zwischen zu rascher Industrialisierung und dem Wunsch, die nationale Vergangenheit nicht ganz über Bord zu werfen, eine seltsame Allianz aus bisheriger Anti-Schah-Opposition und reaktionärer islamischer Geistlichkeit einen Bilderstürmerkrieg gegen alles Westliche führt! Und der Nord-Süd-Kon-flikt? Die armen Dritte-Welt-Natio-nen glauben, den eigenen Weg zum Nationalstaat gehen zu müssen, lassen sich, wie etwa Vietnam, nicht einfach über den Moskauer Kamm scheren, was aber das Auffinden einer Lösung für eine gerechte Neuverteilung oft besonders schwer macht.

Was bleibt denn für dieses noch so junge Jahr an weltpolitischen Begriffen, die es verdienen, weitergetragen zu werden? Die Menschenrechte etwa, zerredet, politisch oft mißbraucht - dennoch für so viele der Strohhalm, an den sie sich klammern können. Und dann das Wort vom polnischen Papst, der im Mai seine sich so Europa zugehörig fühlende Heimat - und vielleicht auch Österreich - besuchen wird, jener Papst, der ein Symbol für die unbesiegbare Lehre genannt worden ist, daß Menschenwürde mehr gelte als Menschenherrschaft. 1

Zwiespältig ist die Bestandsaufnahme am Jahresbeginn - sie muß zwiespältig sein. Zuviel wird da mitgeschleppt an unüberbrückbar erscheinendem Mißtrauen.

Der Österreicher interessiere sich viel zu wenig für die Außenpolitik, hat eine Meinungsumfrage ergeben. Können wir uns das wirklich leisten?

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