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Zwischen Anerkennung und Verkennung

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Auf Anerkennung hat er lange warten müssen. Seine ersten lyrischen Produktionen („Der einsame Mensch", 1920, „Von beiden Ufern", 1923, „Boot in der Bucht", 1926) blieben nahezu unbeachtet. Er war immerhin schon 42 Jahre alt, als ihm mit „Adel und Untergang" (1934) der Durchbruch gelang. Das Buch erschien im Wiener Adolf Luser Verlag, der bis dahin nie Lyrisches veröffentlicht hatte. Weinheber wollte sogar selbst einen Druckkostenbeitrag leisten, nur um seine dichterische Ernte publiziert zu sehen. Autor und Verleger waren überrascht, als das Buch nicht nur literarisch, sondern auch buchhändlerisch ein sichtlicher Erfolg wurde. Erstaunt zeigten sich die meisten über die formale Meisterschaft des Dichters, vor allem über die souveräne Handhabung griechischer Vers- und Strophenformen.

Der am 9. März 1892 in Wien als Sohn eines Metzgers und Kellners Geborene verlor seinen Vater früh und bald darauf auch die Mutter und kam ins Hyrtlsche Waisenhaus nach Möd-ling. Der 1925 erschienene Roman „Das Waisenhaus" weist autobiographische Spuren auf. Zur Zeit seiner späteren Berühmtheit erhielt der Dichter wiederholt lohnende Angebote zu einer Neuauflage, lehnte aber immer ab, denn ihm galt die Romanform nur als „Halbkunst", während er allein die Lyrik als seine Domäne betrachtete. Während der Waisenhauszeit wurde es dem Knaben ermöglicht, das humanistische Gymnasium in Mödling zu besuchen, doch mußte er es nach fünf Jahren wegen einer negativen Mathematiknote verlassen, kam als Lehrling in die Brauereischule nach Wiener Neudorf, kurz darauf in die Pferdefleischhauerei einer Tante nach Wien-Ottakring, stets bemüht, aus der Trostlosigkeit solchen Lebens herauszukommen. Ineiner Abendlehranstalt holte er das Mittelschulstudium nach. Durch vertieftes Selbststudium brachte er es in Latein und Griechisch weiter als so mancher Universitätsstudent. Er konnte bald die antiken Klassiker mühelos lesen. Schließlich trat er 1911 in die österreichische Postverwaltung ein, wo er, zuletzt als Inspektor, bis zum Jahre 1932 tätig war.

Sein innerer Bildungsweg führte ihn bald über die Enge eines Beamtendaseins hinaus. Er wird ein Kenner der Dichter und Denker alter und neuer Zeiten, ihre Welt wird ihm zum geistigen Zuhause: „Dort sind die erlauchten Namen wie Schilde gereiht um ein alleingelassenes Herz: Alkaios und die Sappho, Marc Aurel und Schopenhauer, Hölderlin und die Droste. Sie zuletzt sind, über meine Vaterstadt hinaus, meine unzerstörbare Heimat, über meine Väter hinweg meine unverlierbare Ahnenschaft." Natürlich kamen die Dichterpersönlichkeiten seiner Gegenwart hinzu: Stefan George und Rainer Maria Rilke, Richard Dehmel und Georg Trakl. Als seinen Lehrer in der deutschen Sprache nannte er immer wieder Karl Kraus, dessen „FackeF'-Hefte sein Brevier waren. Durch ihn fühlte er sein Sprachgewissen aufgerufen, seine Verse galten auch ihm als Leitspruch: „Ich bin nur einer von den Epigonen, / die in dem alten Haus der Sprache wohnen."

Das Fundament dieses Hauses ist für Weinheberdas Altgriechische: „In der deutschen Sprache ist nicht nur Deutsches sagbar, sie spricht nicht bloß Deutsch, und eben in den Augenblik-ken höchster Erhebung und Vollkommenheit wird sie griechisch." Solche Erhebung entspringt einer heroischen Haltung, und Weinheber läßt auf die „Antiken Strophen" in „Adel und Untergang" den Sonettenkranz der „Heroischen Trilogie" folgen, über die er als Motto die Worte Arthur Schopenhauers setzt: „Ein glückliches Leben ist unmöglich: Das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf."

Solche heldische Geste meinte dann die Kulturpropaganda des Dritten Reiches aufgreifen zu müssen, indem sie den Dichter für sich in Anspruch nahm. Im Jahre 1933 hatte man ähnliches mit Stefan George vorgehabt. Doch dieser entschloß sich zur Emigration in die Schweiz. Zu solcher Haltung war Weinheber nicht fähig. Der lange Verkannte nahm die Ehrungen und Förderungen, die seinem Werk zuteil wurden und die sich nach dem Erscheinen der Bände „Späte Krone", „Zwischen Göttern und Dämonen" und „Kammermusik" noch steigerten, dankbar hin, was er zu spät bereute.

So gab er zwar ungern, wie der Dichter W ilhelm Szabo in seinen „Begegnungen mit Josef Weinheber" berichtet, aber aus Furcht vor einem eventuellen Vorwurf der Regimegegnerschaft, die Zusage, für die Burgtheaterfeier anläßlich des Geburtstages Hitlers am 20. April 1938 als Vorspruch den „Hymnus auf die Heimkehr" zu verfassen, den Burgschauspieler Ewald Baiser vortrug. Natürlich hatte das später zur Folge, daß man den Menschen und vielfach auch seine ganze Dichtung diffamierte.

In dem noch in der DDR im Volkseigenen Verlag Berlin 1988 erschienenen Werk „Osterreichische Literatur im 20. Jahrhundert" meint der Referent: „Von Politik verstand Weinheber wenig... Ein Apolitischer der Gesinnung nach, berauschte ihn die Anerkennung, die ihm von Seiten des nationalsozialistischen Deutschlands zufiel." Die dichterischen Qualitäten werden vom selben Verfasser durchaus anerkannt, vor allem in den Bänden „Wien wörtlich" (1935) und „O Mensch, gib acht!" (1937), die „Perlen österreichischer Lyrik" genannt werden. Selbst des Dichters Schweizer Gegner, der Literarhistoriker Walter Muschg, schreibt in seinem Aufsatz „Josef Weinhebers Glück und Ende" trotz aller Polemik, Weinheber erweise sich in seiner Formlyrik „als ein Könner ersten Ranges, dem im modernen deutschen Schrifttum keiner das Wasser reicht". In diesem Zusammenhang sagt der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler: „Weinhebers Vergehen scheint gering im Vergleich zu den Verbrechen jener, die ihn zum Verfassen solcher Verse verleiteten." Er sei „das beklagenswerteste Opfer jener Verführung geworden, welche die nationalsozialistische Politik in Österreich gefordert hatte".

Weinheber selbst hat sich im weiteren Verlauf seines Lebens, was das herrschende Regime betraf, in vielen Situationen kein Blatt vor den Mund genommen. Allgemein bekannt und von vielen Zeugen bestätigt ist die Antwort, die er bei der Weimarer Dichtertagung 1939 Goebbels auf dessen Frage gab, was man tun könne, um Kunst und Kultur in der Ostmark zu heben: „In Ruah lassen, Herr Reichsminister, in Ruah lassen!" Das blieb ebenso unvergessen wie ein anderer Ausspruch des Dichters im Jänner 1942, als nach einer öffentlichen Dichterlesung ein ranghoher Parteifunktionär meinte, der antike Vers eigne sich nicht für die deutsche Sprache, er wirke dort wie eine Zwangsjacke. Darauf Weinheber in wienerischem Jargon: „Schaun S', Herr stellvertretender Gauleiter, davon verstehn S' nix. Und von der Zwangsjackn, da red ma liaber net in unsem Zeiten!". Die Folgen blieben nicht aus. Auch sein

damaliger Verlag Langen Müller in München geriet in Schwierigkeiten. Das lyrische Kalenderbuch „O Mensch, gib acht!" war vielen Parteibeflissenen ein Dorn im Auge, weil zuviel katholisches Brauchtum darin enthalten war und weil es manche Formulierungen enthielt, gegen die man einschreiten zu müssen glaubte. In dem Gedicht „Sankt Michael" hieß es in der letzten Strophe: „Laß uns nicht schrein um Deutschlands Ehr, / weniger Deutschland, das ist mehr,-/ Sankt Michel, salva nos!" Das mußte, wie folgt, geändert werden: „Laß uns nicht reden um Deutschlands Ehr, / ringend bereit sein, das ist mehr - / Sankt Michel, salva nos!" Der damalige Reichsleiter der NSDAP, Robert Ley, protestierte schärfstens gegen das Buch und schrieb an den Verlagsleiter Pezold, der kurz darauf entlassen wurde: „Wer so schreibt oder druckt, gehört ins Konzentrationslager... Das ist Gift für unser Volk."

Weinheber selbst fürchtete in der letzten Zeit immer mehr, verhaftet zu werden, weil eroft, vor allem, wenn er dem Wein zugesprochen hatte, über das Regime schimpfte und vom verlorenen Krieg sprach. Wie seine Gattin Hedwig berichtete, war es nur dem Eingreifen des Wiener Gauleiters Bal-dur von Schirach, der ein Bewunderer des großen Lyrikers war, zu danken, daß die Gestapo nicht einschritt.

Es ist bedauerlich, daß man solches anführen muß, um so manches, was viele dem Dichter noch immer nachtragen, zu entkräften. Um seine charakterlichen Schwächen hat er selbst gewußt, in den letzten Jahren in zunehmendem Maße. In einem Briefe an Maria Mahler (vom 30. Dezember 1943) lesen wir unter anderem: „Gott sei Dank kennen Sie mich nicht persönlich. Ich bin ein stumpfsinniger, dummer, blöder, eitler, von seinem Ruhm verführter und verkommener Mensch!" Und schon vier Monate zuvor hatte er ihr geschrieben: „Wenn man mich in Ruhe gelassen hätte, wäre ich wohl ein großer Künstler geworden. Aber ich mußte, seitdem ich berühmt bin, dem Mob aller Schattierungen meinen Tribut zahlen."

In seinem letzten, erst nach seinem Tode veröffentlichten Buch „Hier ist das Wort" stehen im letzten Abschnitt, der „Das Bekenntnis" überschrieben ist, unter dem Titel „Mit fünfzig Jahren" in der Mitte folgende Strophen: „Vielleicht, daß einer spät, / wenn all dies längst vorbei, / das Schreckliche versteht, / die Folter und den Schrei -/und wie ich gut gewollt /und wie ich bös getan; / der Furcht, der Reu gezollt, / und wieder bösem Wahn..." Da denkt man schon an seinen Tod nach der Einnahme einer Überdosis von Morphium am 8. April 1945.

Politische Verirrung darf dichterische Leistung nicht vergessen machen und nicht bewirken, daß Weinhebers Name ausgelöscht wird und schon in nicht wenigen Literaturgeschichten und Anthologien kaum mehr oder überhaupt nicht mehr vorkommt. So muß man zuletzt namhafte Ausländer zu Wort kommen lassen, die wissen, wer Weinheber dichterisch war. Der italienische Germanist Claudio Ma-gris nennt Weinhebers Lyrik „wohl eine der höchsten sprachlichen Errungenschaften des europäischen 20. Jahrhunderts". Und der englische Dichter W. H. Auden, Professor für Literatur der Universität Oxford, der seine letzten Lebensjahre in Kirchstetten verlebte und auch dort 1973 begraben wurde, hat seinem „dichterischen Nachbarn" ein langes Gedicht gewidmet, wo es unter anderem heißt: .Auch mein englisches Ohr entdeckt in deinem Deutsch die Meisterschaft..."

Ein Sonett Weinhebers aus der von Friedrich Jenaczek vorbildlich betreuten Gesamtausgabe, schließt mit den Versen: „Ich werde nicht mehr sein. Das Angemaßte / geht rasch hinab. Doch Grab ist lang nicht Grab. / Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind."

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