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Zwischen Angst und Unruhe

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Wer wollte so ungerecht sein und die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts verurteilen, die sich der Persönlichkeit Anton Bruckners wie einem erratischen Block näherte und zuließ, wie der Person sich die Karikatur, der Musik die Kritik und der Religiosität das bare Unvermögen, sie zu verstehen, bemächtigte. Aufklärung, Staatskirchentum und Liberalismus gaben für den gläubigen Domorganisten nichts von dem, wovon er bisher seine geistigen Ideen bezog und seine frühen kirchlichen Werke mit der Trias der großen Messen Klang werden l»eß. Erst recht blieben die vom Staat adaptierten Formen der Organisation für den kirchlichen Raum für denjenigen unfruchtbar, der um die tiefe Einheit von Kunst und Religion wußte.

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Wer wollte so ungerecht sein und die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts verurteilen, die sich der Persönlichkeit Anton Bruckners wie einem erratischen Block näherte und zuließ, wie der Person sich die Karikatur, der Musik die Kritik und der Religiosität das bare Unvermögen, sie zu verstehen, bemächtigte. Aufklärung, Staatskirchentum und Liberalismus gaben für den gläubigen Domorganisten nichts von dem, wovon er bisher seine geistigen Ideen bezog und seine frühen kirchlichen Werke mit der Trias der großen Messen Klang werden l»eß. Erst recht blieben die vom Staat adaptierten Formen der Organisation für den kirchlichen Raum für denjenigen unfruchtbar, der um die tiefe Einheit von Kunst und Religion wußte.

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Die Interpretation seiner Symphonien gab so vielen Deutungen um den „religiösen” Bruckner Möglichkeiten, daß es jetzt, neben der mühevollen Sichtung der Urfassungen an der Zeit ist, auch der „Urfassung” seiner Religiosität auf den Grund zu gehen. Die „Urfassung” seiner Religiosität geht parallel mit der Grundgegebenheit der Mystik, von der K. Rahner sagt: „Mystik ist innerhalb des Rahmens der normalen Gnade und des Glaubens zu konzipieren, denn jede andere Theorie der christlichen Mystik würde sie überschätzen oder das ,gewöhnliche’ christliche Gnadenleben in seiner eigentlichen Tiefe und Radikalität unterschätzen.” Bruckner hat diese Mystik, die im Grunde jedem Christen zugänglich ist, bis in alle Tiefen der dunklen Nacht der Seele, ausklingend im „cantico espiritual”, ausgeschöpft.

Das Geniale an Bruckner war, daß er in seiner Zeit der Oberflächlichkeit und der Retrospektive eben radikal Christ war bis in die erst heute aufbrechenden Abgründe christlicher Gegensätzlichkeit hinein. Er war einfach auch Christ, der das „Gehobenwerden über dem Abgrund” in allen Ebenen seines Lebens existenzhaft vollzog. Einem Seismographen gleich spürte er das Beben, das auf seine Zeit, zukam, und nur sein Glaube konnte ihn vor der Zerissenheit der Zeit, in der er lebte, bewahren.

Wir können die „Urfassung” seiner Religion nur wie aus Bruchstücken „erahnen” und zusammenfügen, weil seine Zeit nicht fähig war, sie zu begreifen, und noch weniger, sie zu beschreiben. Sie projizierte ihre eigene Banalität auf diesen Einzelgänger, der so sehr in jeder Hinsicht aus der Reihe tanzte. Die pädagogisch gemeinten Programme, die der Meister auf Drängen seiner Schüler für die eine oder andere Symphonie abgab, fehlen uns bei der Aufschlüsselung seiner Religion fast ganz; so konnte es geschehen, daß der bekenntnisscheue Bruckner von den einen zum „Musikanten Gottes” und von den anderen zum gotischen Mystiker stilisiert wurde. Die Zeitgenossen, Freunde, wie Widersacher, notieren die äußeren Formen der Zugehörigkeit zur ererbten Religion, wie sie es mit dem Atheismus des Antipoden Johannes Brahms taten. Das Werk blieb ihnen so unverständlich wie die Urgründe, aus denen es kam.

Wenn wir beim Symphoniker Bruckner in den Wiener Jahren ein quälendes Ringen um die endgültige Form in den Zweit- und Drittfassun- gen seiner Symphonien beobachten, 3 würden wir die religiöse Haltung des Genies verharmlosen, gäben wir uns mit Gebetsaufzeichnungen, Freundschaften mit Priestern, Anhänglichkeiten an geliebte Stifte zufrieden. Die Paradoxie erreicht darin ihren Höhepunkt, den seit Beethoven größten Symphoniker mit „kindlicher” Religion und mangelhafter Bildung auszustatten. Die Aufklärung konnte mit dieser Charakterisierung des Genius ihren letzten Trumpf ausspielen. Verzeichnungen und Verzückungen in der Exegese bruckner’scher Religiosität sind die Folge, und die Aberrationen reichen sich bis heute die Hände. Nun einige bezeichnende Beispiele.

Bruckner war das große Kind, dem das ,Glauben1 etwas so Natürliches war, wie etwa einem sechsjährigen Mädchen der Glaube an die absolute Wahrheit des von der Mutter erzählten Märchens.” (G. F. Wehle.) Kommt man mit der Frömmigkeit zur Welt, gleichsam einem Fąmilienbesitz, der von den Eltern auf die Kinder weitergeben wird?

„Die tiefe Frömmigkeit, die Bruckner zeitlebens erfüllte, war allerdings angeborene persönliche Eigenschaft; Erziehung und Lebensgang allein hätten eine derartige Wirkung nicht erzielen können.” (A. Orei.)

Vom falschen Mystizismus erfüllt konnte E. Kurth das folgende nebulöse religiöse Bild Bruckners formulieren:

„Das Dunkel in ihm, aus dem sein ganzes Seelentum ausströmt, das all sein Vrerlebnis umhüllt, ist keine tote Verneinung des Lichts, sondern stets kraftdurchwirkt, voller Lebens- erfühlung, voller hellseherischer Schau; und schwebt er aus diesem Grundbereich heraus, so bleibt stets zu spüren, daß er aus dem Dunkel kommt, durch das kaum sichtbar jenes Urlicht erzittert, mit seinem Schimmern hinausdringt bis an die Außenhelle des Tages.”

Und Bruckner zum Mystiker des Pantheismus zu erheben und -ihn mit der Sprachgewalt eines Taule-r, der Schaukraft eines Ekkehardt und der visionären Glut eines Grünewald auszustatten, blieb O. Lang Vorbehalten.

Die Enthüllung seines verschleierten Gottesbildes und die Herauslösung des Numinosen in Bruckner möchten wir mit der Feststellung beginnen, daß sich die Grundelemente jeglicher Religion — Schleierma- chers „Angst der Kreatur” und „Enthusiasmus des Gott-in-sich-Ha- bens” der Antike bei ihm in aller Ursprünglichkeit vorfinden. Die heute oft genannte Existenzangst begleitet den Organisten von St. Florian in vielfältigen Variationen sein Leben lang von der Kindheit bis in die letzten Lebenstage. Es ist Kierke gaards „Schrecken” vor der Welt, der ihm die entscheidenden Schritte in die Welt von damals so schwer tun läßt, es ist einfach die Angst, in der noch zur Verfügung stehenden Zeit, nicht mehr aussagen zu können, was ihm aufgetragen wurde. Mahnende Vorbilder stehen in Mozart und Schubert vor ihm. Dazu kommt die Überlegung: Wird sich der von der Orgel inspirierte Personalstil vom Orchester her auch Geltung verschaffen? Wird der Musiker „ankommen” in einer Zeit, da die Orgel in romantischer Vorstellung selbst zum aus sich funktionierendem Orchester wurde? Die „Aufnahme” seiner Symphonien mußte ihm nicht Unrecht geben.

Nach Goethe sind es vor allem die Briefe eines Menschen, die „das Unmittelbare des Lebens aufbewahren”. Natürlich werden wir vergebens ein vollständiges Bild seiner Religion darin suchen. Die wenigen aber, die ihn in den entscheidenden Stunden seines Lebens, zur Feder greifen ließen, zeigen den Meister in seiner ganzen Tragik. An R. Weinwurm schreibt er:

„Ich erwartete die Contract Schriften, und sieh — es war geschehen. Ich fühle mich wahnsinnig unglücklich darüber, kann weder essen noch schlafen, meine ich muß hinab kriechen. Hätte ich doch augenblicklich zugegriffen o ich Unglücklicher! Hh. v. Herbeck meinte es so edel! Warum ließ ich gewissen Ängsten Raum! Denke Dir diese Ehrenstelle! Wo und wann blüht mir noch so was? Ich bin verloren. Mich verdrießt Alles. Hätte ich mir das träumen lassen, o ich wäre jeden Tag nach Wien gereist. Weinwurm bemitleide mich doch, daß ich hoffnungslos — vielleicht auf ewig verlassen da stehe. So ist vielleicht alles dahin!!! Von meinen Schmerzen und von meiner gräßlichen Trauer kannst Du Dir keinen Begriff machen; ich hätte ja keinen. Buchstaben geschrieben. Jetzt bin ich ■ unglücklich und „m eine Dummheit tagt alle Schuld, daher heißt leiden — bitter leiden. (Linz, 20. Juni 1868.)

Das Pendant aus Wien vom 12. Jänner 1875 ist an seinen Gönner M. von Mayfeld gerichtet:

„In meinem ganzen Leben hätte man mich nicht nach Wien gebracht, wenn ich das geahnt hätte. Ein Leichtes wäre es meinen Fein den, mich aus dem Conservatorium zu verdrängen. Es wundert mich, daß dies nicht schon geschehen ist! Mein Leben hat alle Freude und Lust verloren — umsonst und um nichts. Wie gerne ginge ich wieder auf meinen alten Posten! Wäre ich doch damals nach England!”

Mit der Angst um seinen künstlerischen Auftrag lief verschwistert die Sorga um das materielle Auskommen und kontrapunktierte seit dem frühen Tode des Vaters die Angst um den eigenen Tod. Tietenpsycholo- gisch gesehen, verlieren so die von den Biographen überlieferten Verhaltensweisen des Meisters beim Ringtheaterbrand, dem erschütternden Ende des Kaisers Maximilian von Mexiko und ähnlichen Ereignissen den Charakter der Skurrilität, und Religion offenbart sich als das Gefühl der absoluten Abhängigkeit. Als seine Schwester Anna, die ihm •in Wien die Wirtschaft führte, stirbt, gehen diese Zeilen an den väterlichen Freund, den Linzer Domkapitular J. B. Schiedermayr:

„Was ich jetzt gelitten habe, können Euer Gnaden am besten beurteilen. O könnte ich jetzt einige Zeit weg von Wien! Alles, ich gestehe es, ist mir durch diese traurige Heimsuchung verleidet worden. In Euer Gnaden so tief fühlendes Herz lege ich meine schmerzlichen Gefühle ganz offen darnieder…” (Wien, 23. Jänner 1870.)

Eine Zusammenschau der Ängste in Bruckner bringt die Begegnung seines Schülers C. Hruby aus der Zeit der letzten Krankheit:

„Da ich den Meister längere Zeit nicht gesehen hatte, so war ich auf die Verheerungen, die die Krankheit in seinem Äußern hervorgebracht, nicht vorbereitet. Ich war erschüttert … Bruckner war von Todesangst gequält. Ihn beunruhigte nur der Gedanke: daß er seine ,Neunte1 nicht mehr’vollenden werde.”

Auf diesem „background” numinosen Verhaltens mußte die Sehnsucht nach dem eigentlichen Christlichen zum Tragen kommen, der seit Kindheit praktizierte Glaube Farbe bekennen und das von Richard Wagner ausgegebene Erlösungsthema in der absoluten Musik, von religiösen Grundlagen gespeist, symphonische Form annehmen. Ob er auch ohne Bekenntnis zum Kreuz den Leidenspfad siegreich zu Ende gegangen wäre? Der Protestant und Schüler F. Klose verneint es. „Das Kreuz hört hienieden nicht auf!” (Brief an A. Göllerich vom 10. März 1893.)

In die Herzmitte seiner Religion gehört nun all das, was wir vom frommen Meister auch durch Augen- und Ohrenzeugen wissen. Wir können seiner Musik alle Attribute des Religiösen entnehmen: Ehrfurcht vor allem Mysterium, Demut vor dem Schöpfer allen Lebens und Dankbarkeit für die Großtaten Gottes an uns. Damit haben wir den „Überbau” seiner Religion längst überschritten, und der „enthusiasmos” verstummt in den Briefen, Dokumenten und Gesprächen, wäre nicht seine Musik! Wenn Bruckner in diesem Sinne „Mystiker” war und nach H.. Fischer die Mystik, das eigentlich Dynamische in der Kirche ist, das die bloße Befolgung von buchstabenmäßig Gebotenem übersteigt, dann hat sie die Konzeptionen des Musikalischen befruchtet bis hinein in’ unsere Gegenwart.

Trägt die Musik Bruckners auch „heidnische” Charakteristika an sich und sollte man sie, nach G. F. Wehle, nicht aus dem Konzertbetrieb herausnehmen und eigene konfessionslose Tempelbauten für sie errichten? Sie ergreift überall, wo Menschen für ihre Botschaft bereit sind. Die Empfänger müssen nicht unbedingt im Zustande der heiligmachenden Gnade sein. Aber wer sich mit dieser Musik einläßt, dem geht es wie jedem Gläubigen, der sich in die Nähe Gottes vongewagt hat, er kommt nicht mehr los. Ob Bruckners Musik kommenden Generationen unerträglich werden und -in die Vergessenheit versinken wird? So lange Menschen in der Unruhe ihres Herzens nach dem Unendlichen suchen, wird sie- ein nicht wegzudenkender Brückenpfeiler zur Religion bleiben und die Menschen ermutigen, mit ihren Ängsten, Zweifeln und Leiden fertig zu werden. Ist seine Musik gotisch, barock, romantisch? Nach zwei Weltkriegen wissen wir, wie zeitgemäß sie ist!

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