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Zwischen Aufruhr und Reife

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„Sammeln Sie, bitte", sagte der Arbeitskreisleiter, „am Beginn unserer Arbeit alle Ausdrücke, in denen Kultur vorkommt, aber nicht an erster, sondern erst an zweiter Stelle. Weil", setzte er nach einer Pause fort, den fragenden Blicken zur Antwort, „es sich immer dann, wenn das Wort .Kultur' an erster Stelle steht, um die Sache .Kultur', erst an zweiter Stelle handelt."

Probe aufs Exempel: Bei „Subkultur" geht es immerhin um Kultur, wenn auch nicht vielleicht um eine, deretwe-gen Menschen von nah und fern nach Salzburg strömen. Bei „Kulturgeschäft" geht es schlechthin um Geld. So wurde das Sprachspiel zu einer Pointe, die als spitzer Pfeil ins Schwarze des gestellten Themas traf: „Erneuerung der Kultur - Aufgabe oder Abenteuer?"

Der Rahmen des Themas war weit gesteckt. Den Bericht über die 36. Sommertagung des Katholischen Akademikerverbandes Österreichs in Salzburg zu schreiben, wird selbst zur Kulturfrage: Welche Schreibkultur ist anzuwenden, all das zu fassen, was hier gesprochen wurde? Schreibkultur als Gang auf schmalem Ufer, dem das Riff der Sprachkultur vorgelagert, an dem sich die Wellen der Refelexion brechen. Aber mit der Reflexion ist das so eine Sache. Reflektieren über eine Sache ist etwas anderes als die Sache selbst. Die Reflexion steht über der Sache, spiegelt eine Sache, setzt die Sache voraus. Reflexion über Kultur setzt diese voraus, ist Metakultur, ist aber nicht Kultur selbst. Somit handelt es sich also um eine kulturlose Kulturtagung! Vorsicht. In den Höhen der Abstraktion ist die Luft dünn. Salzburg aber hat eine gesunde Seehöhe von 425 m, laut Salzburgführer, deutschsprachige Ausgabe.

Dennoch sind die Dinge nicht so einfach, gerade nicht in Salzburg. Was kann erneuert werden, angesichts der Hohensalzburg, im Rücken der Keltenausstellung Halleins, wenn im Dommuseum Benedikt, der Vater des Abendlandes, noch und noch Kultur ausbrütet? Oder soll man eher sagen: durch sein Sich-selbst-Wiederholen (bis zur Fragwürdigkeit) einfach warnt, davor warnt, daß Kultur Schauobjekt wird, und nichts sonst?

Ja, es gehört eine ganz schöne Portion Mut dazu, gerade in Salzburg über Kultur zu reflektieren, Die Referenten (Rudolf Bayr, Erhard Busek, Olaf Co-lerus-Geldern, Alexander Giese, Leopold Grünzweig, Wolfgang Kraus, Gy-örgy Sebestyen) bewiesen Mut und, mehr als diesen: eine Art gesunde und naive (im besten Sinn des Wortes!) Unbekümmertheit, vor der erdrückenden Last Salzburger Kukurvorgaben zu bestehen.

Und es ist fast logisch, daß sie sich, was die Gegenwartskultur anlangt, mehr oder weniger als Kulturzertrüm-merer betätigten, vielleicht betätigen mußten. Trugen sie doch samt und sonders das Pickerl „Kulturinsider". Daß sich einem da zuzeiten die Galle regt, ist kein Wunder. Dabei ist Zorn noch besser als Resignation. Auch dieser Ausdruck fiel.

Wie überhaupt die Zahl der Vokabel „Skepsis", „Pessimismus", „Kulturloch" den noch zu erwartenden Referaten umgekehrt proportional anwuchs. Kein Trost in Aussicht. Ein Glück, daß einem immer wieder das unscheinbare „colere" zwischen die Füße kollerte, jenes Wörtchen, das schlicht „bebauen", „pflegen" heißt, in anderen Worten: das Umgebende bearbeiten; mit dem Verfügbaren etwas tun; in die Natur eingreifen. (Aber da wird's schon wieder kritisch.)

Und so wuchsen den stalagtitischen Kulturzertrümmerern von unten allerorts kleine, stalagmitische Versuche entgegen: winzige Bemühungen an unbedeutenderen Stellen wie Diskussionen und Arbeitskreisen, die sich mit dem „Bebauen, Pflegen, Machen.Tun" auseinandersetzten, und sei's auch nur durch Bewußtmachen von eingeholter Schönheit dank Reproduktionsmöglichkeiten (Photo, Film, Medien, Druck), was doch immerhin ein Vorteil gegenüber früheren Zeiten darstellt, da man nach jeder Serenade die Partitur zu vernichten pflegte. Und schließlich ist auch die Frage, wie man mit Kindern fernsieht, eine Frage unserer, sprich: gegenwärtiger Kultur.

Aber da gibt es noch das Drumherum in Salzburg. Ein Bericht Uber eine Kulturtagung gerade in Salzburg wäre nicht vollständig ohne diese hinreißenden Accessoires. Es läßt sich leicht theoretisch wehmütig sein und vergangenen Epochen nachtrauern, eingestehen die eigene Unfähigkeit, mit Wolfdietrich zu konkurrieren, aber was soll's. Nur hier kann jedermann „Jedermann" sein. Drum steht das Spektakel vom Sterben des reichen Mannes Seit' an Seit' neben dem Spektakel vom König Ubu, und wo mehr Spielfreude herrscht ob auf dem Domplatz oder in der „Szene der Jugend", mag jeder selber nachspüren. Daß sich Smoking und Abendkleid nach einem vollendeten Flötenkonzert in der Felsenreitschule um den Blockflötenspieler unter den Domarkaden scharen, nun, ist das nichts? Und wenn es einem dank der Untersbergbahn dort oben vor Schönheit die Rede verschlägt, empfiehlt es sich, hier nicht „O pfui -das ist bloß Zivilisation!" zu rufen, sondern es lieber mit den Engländern zu halten, denen dieser Begriff nicht im Nacken sitzt, und die auch eine Seilbahn im Sinne von „colere" als Kulturprodukt hinnehmen würden.

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