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Zwischen Brandt und Gorbatschow

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In der italienischen KP bahnt sich eine Wende an. „Eurokommunisten“ sind nicht mehr gefragt. Man sucht nach eigenem Weg innerhalb der „europäischen Linken“.

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In der italienischen KP bahnt sich eine Wende an. „Eurokommunisten“ sind nicht mehr gefragt. Man sucht nach eigenem Weg innerhalb der „europäischen Linken“.

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Hinter dem Parteikongreß in Florenz steckte vor allem das Bedürfnis der „Partito Communisto Italiano“ (PCI), sich selbst die Frage zu beantworten, warum die Wähler, die ihr 1976 einen Stimmenanteil von 34,4 Prozent verschafft hatten, während des folgenden Jahrzehnts in solchem Ausmaß davonliefen, daß die Partei 1985 bei den Kommunalwahlen mit 28,6 Prozent wieder unter jene Dreißig-Prozent-Grenze abrutschte, der sie sich 1953-1976 nur sehr langsam genähert hatte. Unterbrochen worden war die Periode des Abstiegs 1984, als die Kommunisten bei den Europawahlen mit 33,3 Prozent plötzlich und zum erstenmal sogar die Christdemokraten (33 Prozent) überholten.

Ein trügerischer Erfolg, offenkundig emotional beeinflußt durch den Tod Enrico Berlin-guers, kurz vor den Wahlen.

Dem „historischen Kompromiß“ mit den Christdemokraten, den Berlinguer seit 1973 angesteuert hatte und der dann zeitweilig zu einer Art großen Koalition zu führen schien, war schon lange vorher, 1944, eine andere „historische“ Wende vorausgegangen: die „svolta“ von Salerrio. Dort hatte Palmiro Togliatti, gerade aus dem Moskauer Exil heimgekehrt, seinen erstaunten Genossen verkündet, das Ziel sei jetzt nach dem Ende des Faschismus „nicht der Kampf um die Macht“, es gehe nicht um die Herrschaft einer einzigen Partei und auch nicht darum, „das zu tun, was in Rußland getan wurde“.

Die wiederentstandene PCI müsse vielmehr in einer parlamentarisch-demokratischen Republik eine Volks- und Massenpartei werden. Und das war keine bloße Taktik. Es entsprach genau Stalins Konzept, das in Jalta abgesegnet worden war: Italien gehörte so zum Westen wie etwa Polen zum Osten.

Mit jener marxistischen Dialektik, der ein liberaler Philosoph wie Benedetto Croce nachsagte, sie habe „Machiavelli in Italien wieder zur Geltung gebracht“, ließ sich für den Hausgebrauch auch die Diktatur des Proletariats zurechtbiegen: Seine Vorherrschaft setze voraus, daß man auch den Interessen der Beherrschten Rechnung trage, also „ein gewisses Gleichgewicht des Kompromisses“ bilde.

Während große Teile des revolutionär gestimmten Parteivolks die offizielle Linie nur als bewußte Zweideutigkeit verstanden, war die kommunistische Opposition in Wirklichkeit staatsloyal. Sie blieb — so lautstark sie sich gebär-dete — nahezu einflußlos, als Italien seinen industriellen Boom, sein hektisches, unausgeglichenes Wirtschaftswunder erlebte. Luciano Lama, bis vor kurzem kommunistischer Vorsitzender der größten Gewerkschaft des Landes, zog daraus schon 1976 rückblickend den Schluß: „Wir boten dem Lande nie eine ernsthafte Alternative an.“

Den Ubergang in eine neue, wieder aufsteigende Phase der Partei soll nun Alessandro Natta anführen - ein kluger, doch spröder Funktionär der älteren Garde. Wenn sich Natta entschloß, „Türen und Fenster für frische Luft zu öffnen“, wie er im Juli 1985 ankündigte, dann vor allem unter dem Eindruck eines Schocks: Am 9. Juni 1985 hatte eine von der PCI durchgesetzte Volksbefragung nur 45,7 Prozent Ja-Stimmen für die Aufhebung des Regierungsdekrets erbracht, das zur Inflationsdämpfung die „gleitende Lohnskala“ abbremste; wie nie zuvor war so deutlich geworden, daß sich auch in Italien soziale Demagogie nicht mehr auszahlt und daß sich überhaupt „der Charakter der sozialistischen Perspektive verändert“ hat.

Schon Berlinguer hatte sich immer mehr von Moskau distanziert: Zaghaft noch beim jähen Ende des Prager Frühlings (1968), dann mit ungeschminkter Verurteilung der Intervention in Afghanistan (1980) und nach dem Militärstreich in Polen (1981) mit der — für sowjetische Ohren ungeheuerlichen - Feststellung: nun habe sich „die Antriebs- und Erneuerungskraft der Oktoberrevolution erschöpft“.

Der Bruch schien unheilbar. So will es jedoch Parteichef Alessandro Natta heute nicht mehr verstanden wissen. Nicht etwa weil seine Reise nach Moskau Ende Februar alle Gegensätze überbrückt hätte, sondern weil er im Kreml einen neuartigen Gesprächspartner vorfand. Michail

Gorbatschow nahm Nattas Kritik gelassen hin, nannte die Differenzen zwischen beiden Parteien „eine natürliche Sache“ - so als ob von Italiens Kommunisten ohnehin keine Rechtgläubigkeit zu erwarten wäre.

Nur in einem Punkt gibt es heute mehr Klarheit als früher: Die PCI sei „integraler Bestandteil der (westeuropäischen Linken“, wiederholt Natta bei jeder Gelegenheit. Es ist die schüchterne Umschreibung einer Realität, die man nicht beim Namen zu nennen wagt: der einzige „dritte Weg“ führt in den Schoß der Sozialdemokratie.

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