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Zwischen Fakten und Fiktionen

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Die erste Große Koalition brachte die dringend notwendige Pensionsreform nicht zustande. Und auch die jetzige Regierung hat eher alle Hände voll zu tun, die Aufregung um die vorzeitig ruchbar gewordenen Pläne von Sozialminister Josef Hesoun (FURCHE 7/1992) zu beschwichtigen.

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Die erste Große Koalition brachte die dringend notwendige Pensionsreform nicht zustande. Und auch die jetzige Regierung hat eher alle Hände voll zu tun, die Aufregung um die vorzeitig ruchbar gewordenen Pläne von Sozialminister Josef Hesoun (FURCHE 7/1992) zu beschwichtigen.

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Wenn die Pensionsreform, wie im zweiten Koalitionsübereinkommen vereinbart, noch vor Ablauf dieses Jahres unter Dach und Fach sein soll, geraten die Verhandlungsteams der beiden Regierungsparteien zusehends unter Zeitdruck.

Unter an sich heilsamem Zeitdruck, denn in Ermangelung einer solchen Terminsetzung, ist die erste Große Koalition auseinandergegangen, ohne eine Pensionsreform zustandegebracht zu haben - ein Beweis dafür, daß es dabei nicht (oder zumindest nicht vorrangig) um so populäre Dinge wie die „Beamtenpension für alle" geht, das heißt schon nach 35 Beitragsjahren Anspruch auf 80 Prozent des Aktiveinkommens in den besten 15 Jahren. Eben diesen Eindruck erwecken mußte aber das sichtliche „Abwiegeln" mit ersten Äußerungen politisch Prominenter (aber nicht notwendig auch fachlich Kompetenter).

Erleichtert wird die Einhaltung des knappen Termins durch die eingehende Vorberatung der Reform im Wirtschaftsbeirat, dessen mittlerweile veröffentlichten Überlegungen zur „Sozialen Sicherung ini Alter" allerdings sehr umfangreich ausgefallen (300 Druckseiten) und nur mit einiger Mühe nachzuvollziehen sind; auch wurde eine so wichtige Frage wie die, was bei dem (schon fast zur Regel werdenden) Zusammentreffen von Eigen- und Hinterbliebenenpension geschehen soll, überhaupt ausgespart.

Daß einigen als Beruhigung gedachten Politikeräußerungen - etwa der Erklärung des Sozialministers, der jetzige Pensionsbeitrag sei bis zur Jahrtausendwende ausreichend und müsse auch dann nur um Bruchteile eines Prozents angehoben werden (nicht hinzugesagt wurde: Jahr für Jahr!) - die Beiratsstudie als Grundlage gedient hat, sollte jedoch nicht zur Fehlmeinung verleiten, daß die Experten den Kopf in den Sand gesteckt und den Politikern geraten hätten, dasselbe zu tun.

Im Gegenteil: Der Beirat macht kein Hehl daraus, daß in dem von ihm bevorzugten „Inländerszenario" - Anstieg des Anteils der Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung von 1988: 45,0 bis 2030: 49,3 Prozent statt stark wachsender Ausländerbeschäftigung -im-Bereich der gesetzlichen Pensionsversicherung die Zahl der (Direkt- und Hinterblie-benen-)Pensionen, die von je 1.000 Pflichtversicherten zu finanzieren sind, von heuer 753 auf 873 im Jahre 2030 steigen wird, was bei einer unverändert 47prozentigen Netto-Einkommenersatzquote (Durchschnittspension abzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Prozent der durchschnittlichen Beitragsgrundlage abzüglich - steigendem - Pensionsbeitrag) eine schrittweise Anhebung des Pensionsbeitrages von 22,8 Prozent auf 30,4 Prozent, also um ein Drittel, notwendig macht, wenn der jährliche Bundesbeitrag zur Pensionsversicherung parallel zum Sozialprodukt von 50 auf 119 Milliarden Schilling - zu Preisen 1988 - steigt (und eine Beitragserhöhung um gut die Hälfte - von 22,8 Prozent auf 34,6 Prozent -, wenn der Bundeszuschuß auf der jetzigen Höhe real eingefroren wird).

Die demographische Entwicklung - „Verdünnung" der Jahrgänge im erwerbsfähigen Alter, Anstieg der Restlebenserwartung bei Eintritt in den Ruhestand und damit Verlängerung der Pensionsbezugsdauer - ist allerdings nur scheinbar das Damoklesschwert, das über jedem umlagefinanzierten Pensionsversicherungssystem hängt. In Wahrheit wird die Pen-sionsbelastungsquote ganz entscheidend vom faktischen Pensionsantrittsalter bestimmt, das im Jahre 1990 bei Männern im Durchschnitt 58,3 und bei Frauen 57,5 Jahre betrug.

Bliebe es dabei, kämen im Jahre 2030 nach der Hauptvariante der letzten Bevölkerungs-prognöse 689 Personen im so abgegrenzten Pensionsalter auf je 1.000 Einwohner im erwerbsfähigen Alter ab 15. Nur 395 wären es hingegen - kaum mehr als 1990 beim jetzigen Pensionsantrittsalter (376) -, wenn Männlein und Weiblein anno 2030 erst mit 65 in Pension gingen (und sich dieser noch immer 17,3 beziehungsweise 21,4 Jahre lang erfreuen könnten).

Natürlich ist das insofern eine bloße Zahlenspielerei, als auch nach der vollen Anglei-chung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters der Frauen an das der Männer die Zuerken-nung von Invaliditätspensionen das Durchschnittsalter beim tatsächlichen Pensionsantritt herunterdrücken würde. Gezeigt werden sollte mit diesem Rechenexempel bloß, wie entscheidend für die Pensionsreform der Einbau irgendeines Bonus-Malus-Systems sein wird, das einen späteren Pensionsantritt bewirkt.

Und wer früher abgebaut wird und keinen anderen Posten findet? Diese Frage wird sich ab der Jahrtausendwende immer seltener stellen, denn der drohende Anstieg der Pensionsquote resultiert ja (auch) daraus, daß immer schwächere Jahrgänge ins Erwerbsalter eintreten werden - zum Beispiel anno 2030 nur knapp 408.000 statt 1990 noch über 519.000 15- bis 20jährige - und man daher ältere Arbeitnehmer händeringend anflehen wird, nur ja nicht vorzeitig in Pension zu gehen...

Der Autor ist Wirtschaftspublizist und Herausgeber der „Finanznachrichten".

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