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Zwischen Klassik und „Anti-Kunst”

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In Graz scheint den „Steirischen-Herbst”-Organisatoren ein wenig die Luft ausgegangen zu sein: Das MusikprotokplI ist auf ein höchst bescheidenes Maß an Ur- und Erstaufführungen zurückgegangen; die prominenten Komponisten und wichtigen neuen Werke fehlen (oder ist es die Situation der Produzenten neuer Werke, ist es das geringe Angebot, das dieses Festival stagnieren läßt?). Das Theater beschränkt sich auf nicht gerade unbedingt notwendige Erstaufführungen, wie Shaffers „Jagd nach der Sonne”, eine glatte Pleite, und Handkes „Unvernünftige”, deren Uraufführung auch nicht in Graz, sondern in Berlin stattfand.

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In Graz scheint den „Steirischen-Herbst”-Organisatoren ein wenig die Luft ausgegangen zu sein: Das MusikprotokplI ist auf ein höchst bescheidenes Maß an Ur- und Erstaufführungen zurückgegangen; die prominenten Komponisten und wichtigen neuen Werke fehlen (oder ist es die Situation der Produzenten neuer Werke, ist es das geringe Angebot, das dieses Festival stagnieren läßt?). Das Theater beschränkt sich auf nicht gerade unbedingt notwendige Erstaufführungen, wie Shaffers „Jagd nach der Sonne”, eine glatte Pleite, und Handkes „Unvernünftige”, deren Uraufführung auch nicht in Graz, sondern in Berlin stattfand.

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Und in der bildenden Kunst scheint die Hauptausstellung eher ein Ausweg aus der Verlegenheit, denn ein wirkliches Bedürfnis: „Kunst als Lebensritual” nennt sich die Schau im Volksgartenzelt. Doch hinter dem intellektuell hochgesteckten Titel und Programm verbirgt sich iim Grunde nur ein weitergesponnenes Bild der vorjährigen „Körpersprache”-Ausstellung: eine Spielwiese für alle, die aus Angst vor der wieder heraufdrängenden traditionellen Malerei sich noch einmal rasch ins Experiment mit sozialem Engagement retten wollten. Sollten wir da schon ans Ende einer Entwicklung geraten sein, die mit Konzept- und Videokunst so verheißungsvoll begann?

Allerdings zeigt Graz auch die sehenswerte Ausstellung des plastischen und graphischen Schaffens von Joannis Avramidis — wohl seit Jahren eine der wichtigsten Ausstellungen dieser Art. Avramidis, Endvierziger, Professor der Akademie der bildenden Künste in Wien, vor allem aber international prominenter hochbezahlter Künstler, rüstete monatelang für diese Ausstellung. Hauptwerke wie seine „Polis”-Skulptur, deren erster Guß vor der Berliner Nationalgalerie steht, wurden neugegossen. Er hat sein Schaffen dafür kritisch geprüft, Werke zusammengestellt, die Leitlinien und Ideen in seiner Arbeit offenlegen sollen.

„Plastik — das ist für mich Architektur” formulierte er in einem Interview seinęn Hauptgedanken, „.-..und das Studium der menschlichen Figur und der Natur sozusagen mein Kanon. Ich empfehle es meinen Schülern; es ist aber auch die Grundlage meiner Arbeit. Die menschliche Figur ist für mich das Maß: Sie bestimmt schon die ersten Zeichnungen und Bilder nach i945: — 1943 war ich, obwohl in Barum im Kaukasus geboren, durch die Deutschen von Athen nach Wien .dienstverpflichtet’ worden. Es waren Akte, daneben auch Stilleben, durch die ich aus der Klasse Andersen meinen Weg zur Skulptur fand.” Ansätze bot ihm vor allem die Frührenaissance: Piero della Francesca, Paolo Ucello; daneben die Reliefs der Babylonier, Ägypter. „Erst danach eroberte ich mir die klassische griechische Plastik, die manie- ristische Kunst des Hellenismus…”

Die Proportionenlehre der Klassik ist allerdings für ihn ausschlaggebend geworden: „Als Richtschnur zumindest” meint Avramidis, „denn ich bin ja ein heute schaffender Künstler, ich will ja keine Kopien anfertigen. Aber die Klassik bot die Möglichkeit, von der Einzelfigur zur räumlichen, architektonisch gedachten Plastik zu kommen, zur Plastik, die sich ihre Räume selbst schafft, .Wandlungen’ entwickelt…”

Daraus entwickelte Avramidis sein Hauptwerk: die „Polis”; daraus auch sein Agora-Projekt, einen großen Platz mit zentralem kultischem Kopf und einem Figurenreigen rundum: „Der Weg ist klar… Durch das Aneinanderhängen von Figuren entsteht schließlich eine ,Wand’ aus Figuren, die durch Drehung bewegt erscheint; schließt man diese Figurenwand zum Rund, formt man einen .Tempel’, löst man das Rund auf, entsteht eine klassische ,Agora’…” Aber während Avramidis noch praktisch an der Ausführung großer alter Projekte arbeitet, um seine „alten Aufträge” zu absolvieren, ist er in seinen Zeichnungen „schon ein paar Schritte weiter”: 1953 hatte er aus Tonwürsten eine weibliche Figur modelliert, 1964 entstanden in Weiterentwicklung davon „Band”-Zeich- nungen mit Linienbewegungen. Dort setzte er nun wieder an: Ein siebenteiliger Fries aus Aluminiumbändern ist vorerst das Ergebnis.

Aber dazu sagt Avramidis nicht viel: „Es gibt nie Gespräche bei mir. Alles entwickelt sich allmählich.” Und auf Wien gemünzt, dessen Museum des 20. Jahrhunderts sich bis heute nicht für eine Avramidis-Aus- stellung engagierte: „Das halte ich auch mit meinen Ausstellungen so. Ich dränge mich nie auf!”

Kunst im durchaus nicht landläufigen Sinne zeigt die Schau „Kunst als Lebensritual”: Katalogblätter, viel Theorie, Arbeiten von Strafgefangenen, dazu im Kontrast Otto M. Zy- kans musiktheatralische Experimente, die auch fürs Fernsehen aufgezeichnet werden, Metaphern für Objekte der Welt des Alltags…

Das ist in der Schau zu sehen: „Architektur des Sitzens” nennt zum Beispiel Joerg Mayr seinen brüchigen Sessel; ein symbolischer „Riech- sack” von Gazi Herzog, dazu Video- Anlagen mit US-Programmen Baldessaris, Oppenheims, Levines u, a. Wie immer in solchen Experimentalausstellungen sucht man das „Kunstobjekt” im traditionellen Sinn vergeblich. Aber zum Nach- und Neudenken anregen: Das ist die Aufgabe der „Lebensritual”-Schau, Vorgänge zu dechiffrieren, in ihrer Funktion aufzudecken und Sehweisen zu verändern. Daß diese Kunst dem Sammler entrückt ist, empfinden ihre Produzenten freilich als wohltuende Tatsache.

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