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Zwischen Kreisky und Solschenizyn

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Kaum hatte die österreichische Delegation Moskau verlassen, schaltete nicht nur die sowjetische Diplomatie, sondern auch die sowjetische Presse auf die Vorbereitung des nächsten Besuches. Dem Besuch des österreichischen Bundeskanzlers in Moskau wird um den 24. Juni die Reise des amerikanischen Präsidenten nach Moskau folgen. Und die Gespräche der Sowjetführer mit den Repräsentanten der neutralen Demokratie Österreich sollten die geeignete Atmosphäre für die Moskauer Gespräche mit dem Präsidenten der westlichen Großmacht erzeugen.

War das die Absicht der Sowjets, so kann die Haltung der Österreicher in Moskau tatsächlich jedem diplomatischen Reisenden aus dem Westen zum Vorbild dienen. Die österreichische Skepsis gegenüber dem Lieblingswunsch der Sowjetführung, dem raschen und für sie wenig verbindlichen Abschluß der Sicherheitskonferenz, wird kommenden Moskaureisenden Anknüpfungspunkte bieten. Die österreichische Distanzierung von „Konsultationsverträgen“ wird als Bremswirkung für künftige Finnlandisierungsvorschläge der Sowjetführer wirken. Und Kreiskys Mahnung: „Bei allem Respekt vor der Idee der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, gehört die Aktualisierung der Grundrechte der Menschen zu den großen Errungenschaften unserer Zeit“ — kam genau zwei Tage, nachdem „Aftenposten“, Oslo, Solscheni-zyns Brief an gegenwärtige und zukünftige Moskaureisende aus dem Westen abgedruckt hatte: „Entspannung darf nicht zu einem hinausge-

Die Innenpolitik dieses Landes ist im Begriffe, über die Pleiten der Wiener Stadtverwaltung zur Tagesordnung hinwegzuschreiten. Ein Bürgermeister hat den Hut genommen, der Rest soll, soweit nicht gerichtsnotorisch, Schweigen sein — so hatte der neue Bürgermeister es gerne.

Im Raum bleibt die Frage stehen, wo Dummheit endet, wo anderes beginnt. Im Zusammenhang mit den arabischen Abwegen des Bauringes wurde vielleicht nicht mit genügender Lästigkeit gefragt, ob es nicht Ausmaße der Dummheit gibt, die zumindest politisch bestraft werden sollten. Man wird diese Frage auch im Zusammenhang mit UNO-City-Architektengebühren stellen, die nicht, wie bei einem derartigen Großprojekt angezeigt, fix festgesetzt, sondern an die „Gebührenordnung für Architekten“ gekoppelt und somit gemeinsam mit der UNO-City-Kostenexplosion weit über das ursprünglich anvisierte Ausmaß hinauskatapultiert wurden.

Niemand wird den Veranwortli-chen nachweisen können, daß sie etwas anderes als das finanzielle Wohl der Öffentlichkeit im Auge hatten. Doch wieder einmal wird sich die Frage stellen, ob der Unterschied zwischen Nicht-besser-Kön-nen und Nicht-anders-Wollen hier noch ins Gewicht fällt.

Natürlich wurden auch wieder einmal Aufträge vergeben, ohne daß man vorher Gegenofferte eingeholt hätte. Wächst am Fuß der Betonnadeln an der Donau der nächste politische Sumpf?

zogenen München werden.“ So sind in der Woche des österreichischen Besuches in Moskau die politischen und die wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber auch die Vorbehalte zu und die Gefahren von Gesprächen in Moskau deutlich markiert worden.

Wieder hat Österreich in einem entscheidenden Augenblick den Sinn des Geschehens erfaßt und die Situation richtig ausgenützt. Und wieder hat Österreich der politischen Zeittafel viel zu danken. Gleichzeitig besiegelte Kissinger seinen Erfolg im Nahen Osten. Drei Wochen nach diesem soll der Besuch Nixons in Moskau zu neuen Formulierungen — und vielleicht zu einer neuen Sphäre der sowjetisch-amerikanischen Koexistenz führen. So beobachtete man in allen Staatskanzleien und Außenministerien, vor allem aber in Washington, den Ablauf der österreichisch-sowjetischen Gespräche als das Vorspiel, als den Tonschlüssel zum sowjetisch-amerikanischen Gipfel.

Sorgfältig vermieden die sowjetischen Staatsführer, den Verhandlungen mit den Österreichern zu starke Wirtschaftsakzente zu geben. Sorgfältig kreierten sie eine weltpolitische Gesprächskultur. Verschiedenheiten der Ausgangspositionen und der Ansichten wurden nicht verwischt, sondern so formuliert, daß sie die Breite der Dialogsmöglichkeiten mit den Sowjetführern bezeugten.

Politik und Presse in den USA reagierten wunschgemäß. War man erst in den USA der Reise Nixons in die UdSSR mit Vorbehalten gegenübergestanden, so begannen anfangs Juni Senat und Presse den Moskaubesuch Nixons nicht mehr durch die Watergate-Brille zu sehen. Natürlich war das syrisch-israelische Truppenentflechtungsabkommen der vornehmliche Grund für den Stimmungswechsel. Doch die Gesprächs-kul'tur der sowjetisch-österreichischen Verhandlungen und die Geschäftsbereitschaft der Sowjets spielten mit. Der Widerstand des Senats gegen die Privilegisierung der UdSSR mit der Meistbegünstigungsklausel wird schwächer. Und die Export-Import-Bank bereitet einen 200-Millionen-Dollar-Kredit zu begünstigten Bedingungen vor, in erster Linie für die Aufschließung jener Erdölfelder und Erdgasreserven, die nebenbei Österreichs Wunsch nach grösseren Lieferungen später ermöglichen könnten.

Schon einmal waren österreichische Gespräche in Moskau der erste Ausdruck für eine neue Ära der Sowjetpolitik. Freilich waren Kreis-kys Aufgaben und Möglichkeiten nicht mit den Aufgaben und den Möglichkeiten Figls und Raabs im Jahre 1955 zu vergleichen. Doch selbst die Jahre nach 1955 zeigten, daß letztlich im Weltmaßstab die Wirklichkeit des autoritären Regimes in der UdSSR stärker ist aLs der Wille der Sowjetführer, eine neue Ära einzuleiten. Und Kreisky steckte in Moskau die Grenzen der gegenwärtigen Hoffnungen ab. Er sprach von der „Unteilbarkeit der Abrüstung“ und rief den „unteilbaren Frieden“ Litwinows ins Gedächtnis; auch die innerpolitischen Begleitumstände, die der Völkerbundpolitik Litwinows schließlich die Glaubwürdigkeit nahmen, die blutigste Säuberungswelle des Stalinismus. Und Solschenizyns Brief an „Aftenposten“ warnte vor den Folgen einer ähnlichen Vergeßlichkeit in unserer Zeit.

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