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Zwischen Krise und Aufschwung

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Der Einfluß,- den sie hatten, steht in keinem Verhältnis zu ihrer Größe. Bei den letzten Wahlen lagen ihre Resultate nur zwischen 24 (Finnland) und 43 Prozent (Schweden). Doch Skandinaviens Gesellschaftssystem trägt die Handschrift der sozialdemokratischen Parteien.

Haben sozialdemokratische Politiker Skandinavien nach ihren Ideen gestaltet? Oder hat die Lebensform, die den Menschen im Norden Europas am richtigsten erscheint, weltweit das Etikett „Sozialdemokratisch” bekommen? „Innen in unserem Herzen sind wir alle Sozialdemokraten”, sagte kürzlich ein prominenter dänischer Wissenschafter — wenige Tage, nachdem bei den Parlamentswahlen zwei von drei Dänen für andere Parteien gestimmt hatten.

Tatsache ist, daß auch große Teile der politischen Opposition Skandinaviens „sozialdemokratisiert” sind. Sechs Jahre bürgerlicher Herrschaft in Schweden

HANNES KOCH-HANSEN berichtet aus Kopenhagen haben am von den Sozialdemokraten aufgebauten Wohlfahrtsmodell Zierleisten geändert, nicht das Fundament.

Als in Norwegen im Herbst eine konservative Regierung die Macht übernahm, war ein ausgeprägter Wunsch in der Bevölkerung nach Veränderung ihr wichtigster Wahlhelfer. Voraussetzung für diesen Wunsch aber war die — überzeugend vorgetragene— konservative Versicherung, daß man den Sozialstaat nicht beschneiden wolle; ja, daß erst eine konservative Wirtschaftspolitik wirklich die Grundlage für ein funktionierendes Sozialsystem schaffen werde.

In der skandinavischen Gesellschaft sind die Werte „sozial” und „demokratisch” unumstrittene Werte, und auch die von den Sozialdemokraten geformte Interpretation dieser Werte - „sozial” etwa als staatliches Sicherheitsnetz, das die Not und Armut abzuschaffen hat, nicht als individuelles Engagement; „demokratisch” als das selbstverständliche Recht auch extremer Außenseiter, ihre Ansichten vertreten zu dürfen, nicht unbedingt aber als dezentrale Mitbestimmung von unten her — auch diese Interpretation stößt nur spärlich und nur bei Minderheiten auf Kritik.

Ein von der öffentlichen Hand getragenes, von den Steuerzahlern bezahltes und von einem riesigen und ständig wachsenden öffentlichen Apparat verwaltetes Sozialnetz in Kombination mit einer ganz und gar kapitalistischen Wirtschaftsstruktur, die die Mittel zur Finanzierung dieses Sozialapparates aufbringen soll (und sich dabei immer schwerer tut), ist die Eigenart des skandinavischen Modells.

Wer glaubt, Skandinaviens Wirtschaftssystem sei ein sozialistisches, ein verstaatlichtes gar, täuscht sich. Nirgends kann man Mitarbeiter leidhter entlassen als in Dänemark. Die Arbeitslosenversicherung schützt die Entlassenen vor Not. Verstaatlichte Industrie ist in Dänemark unbekannt.

In Schweden begann der Staat erst in den Wirtschaftskrisen der siebziger Jahre, angeschlagene Branchen zu übernehmen. Heute sind Werft- und Textilindustrie großteils in Staatsbesitz. Aber es war eine bürgerliche Regierung, die sie verstaatlichte, und es war die Sorge um die Erhaltung von Arbeitsplätzen, nicht der Wunsch nach staatlicher Dominanz, die sie zu diesem Schritt trieb. •

So ähnlich die von den Sozialdemokraten entwickelten Grundmodelle in den einzelnen skandinavischen Staaten sind, so unterschiedlich ist die aktuelle politische Lage der sozialdemokratischen Parteien. Hier macht sich ein internationales Phänomen geltend:

Im Europa der Wirtschaftskrise verlieren regierende Parteien — egal, ob diese rechts oder links anzusiedeln sind. So hat sich die seit Jahren in Minderheitskabinetten regierende dänische Sozialdemokratie zerschlissen und steht vor ihrer Ablösung, während im benachbarten Schweden Olöf Palme und Genossen im September vor einem Wahltriumph stehen, weil sich in Schweden die Bürgerlichen genauso redlich und genauso vergeblich bemüht haben, die Krise zu meistern wie in Dänemark die Sozialdemokraten.

In Norwegen hat die regierende Arbeiterpartei ebenfalls eine Wahlschlappe hinter sich — und kann nun schon in den ersten Oppositionsmonaten feststellen, wie ihre Sympathiekurve wieder nach oben führt, ohne daß sie sich irgendwie profiliert hätte. Aber den Konservativen fiel ein drastischer Fall der fürs nächste Jahrzehnt erwarteten öleinnahmen in den Schoß — und damit war die Grundlage für das Versprechen nach umfassenden Steuersenkungen weg.

In Finnland, wo Linke und Mitte in einer trägen Vierparteienkoalition zusammensitzen, gibt es für die Sozialdemokraten, die diese Regierung leiten, dennoch Hoffnung. Erstens ist Finnlands Wirtschaftslage bedeutend besser als die der meisten anderen europäischen Staaten, zweitens baut die Partei darauf, daß ihr ein Teil der Sympathien zugute kommen wird, die der sozialdemokratische Staatspräsident Mauro Koivisto in der gesamten Bevölkerung genießt, und drittens ist links der Sozialdemokraten die einst so starke Kommunistische Partei dabei, sich selbst zu zerfleischen, was den Sozialdemokraten eine ganze Reihe von Linkswählern zuführen müßte.

Gemeinsam ist den SP-Parteien hingegen, daß sie für die Zukunft neue Ziele finden müssen, wenn sie ihre Rolle als staatstragende Partei bewahren wollen. Wenn der Wohlfahrtsstaat zum politischen Allgemeingut geworden ist, ist der Hinweis, daß es die Sozialdemokraten waren, die ihn einst aufbauten, zu wenig für kommende Siege. Noch sind die neuen Ziele selbst innerparteilich umstritten.

Der Versuch, der arbeitenden Bevölkerung nach guten Löhnen nun auch ein Miteigentumsrecht an ihrem Arbeitsplatz zu verschaffen, den in Dänemark und Schweden unterschiedliche Modelle durchzutrumpfen versuchen, stößt noch auf Skepsis.

Mit einer aktiven Friedenspolitik hingegen, die in ihren Parteien immer engagierter diskutiert wird, dürften Skandinaviens Sozialdemokraten wieder auf Wellenlänge nicht nur mit ihren Wählern, sondern mit der großen Mehrheit der skandinavischen Bevölkerung liegen.

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