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Zwischen Licht und Finsternis

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Vor etwa einem halben Jahrtausend verschwand eine dem Dualismus anhängende Religionsgemeinschaft, deren Zeugnisse Bosnien-Reisende heute noch beeindrucken: die Bogumilen.

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Vor etwa einem halben Jahrtausend verschwand eine dem Dualismus anhängende Religionsgemeinschaft, deren Zeugnisse Bosnien-Reisende heute noch beeindrucken: die Bogumilen.

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Es sind seltsame und geheimnisvolle Zeugnisse, denen der aufmerksame Wanderer in Bosnien und der Herzegowina allenthalben begegnet: Mächtige, von Menschenhand geschaffene Steinblöcke liegen zumeist in größeren oder kleineren Gruppen, bisweilen auch einzeln, in der schönen, mediterranen Landschaft.

Das Spezifikum dieser Steine ist das Relief, welches sich symbolträchtig als Ankerkreuz, Lilie, Sonnenrad, Gralszeichen, als Weintraube, -laub oder -ranke vorstellt. Mitunter sieht man einen bosnischen Krieger, in das Wams gekleidet, neben ihm stets Schild, Schwert und der weittragende Bogen. Zumeist hält dieser auf rätselhafte Weise die rechte, übergroße Hand erhoben. Man ist geneigt, diese Geste als mystischen Gruß zu interpretieren. Oft stößt man auf Jagdszenen, einige Steine sind mit profanen Ritterszenen geschmückt Wer schuf diese Zeugnisse und aus welcher Zeit stammen sie?

Der älteste datierte Stein, mit schönen, schlichten Arkaden und einer mit altcyrillischen Buchstaben versehenen Inschrift geschmückt, trägt die Jahreszahl 1391. Der jüngste datierbare Stein ist die Stele von Zgunja bei Srebe-nica, östlich von Sarajewo. Diese muß zwischen 1468 und 1535 entstanden sein. Alle diese Steine waren Grabdenkmäler. Ihre Schöpfer und die Träger der dahinter stehenden Kultur und Religion waren die Bogumilen, die von den Zeitgenossen als,.Patare-nen” oder „bosnische Häretiker” bezeichnet wurden.

Diese Namen bezogen sich auf die Religion der Bogumilen. Sie war in ihren Grundzügen eine dualistische Lehre, die besagt, daß die Welt von zwei Prinzipien beherrscht sei, dem Guten und dem Bösen. Das Gute bestehe aus der himmlischen Welt und der Seele des Menschen, der menschliche Körper hingegen und alle sichtbare, irdische Welt seien Schöpfung des bösen Prinzips. Diese Lehre ist der europäischen, christlichen Kultur des Spätmittelalters fremd. Außer den Bogumilen kannten sie nur die Katha-rer des französischen Südens und einige oberitalienische Sekten.

Der Ursprung der dualistischen Glaubensauffassung lag in Persien. Dort verkündete sie erstmals der persische Religionsstifter Mani, der im dritten Jahrhundert nach Christus wirkte. Er vereinigte Elemente christlicher Gnosis, des Buddhismus und des Parsis-mus, der Lehrer Zarathustras, zu einem neuen Glauben, den man nach ihm Manichäismus nannte. Weil Mani anfänglich vom zweiten Sassanidenkönig, Sapur I. (241-272), gestützt wurde, erlebte seine synkretistische Lehre einen Aufschwung, doch dann wurde Mani allmählich wieder von den zoroastrischen Magiern verdrängt, sein Einfluß am Hofe der Großkönige nahm ab. Schließlich warf man ihn in den Kerker, wo er den freiwilligen Hungertod (ca. 276) wählte.

In der Folge wurden die Anhänger Manis aus Persien vertrieben. Zwei große Fluchtbewegungen lassen sich beobachten. Der eine Teü der Manichäer zog nach Nordosten, nach Transoxanien. Die Uiguren nahmen die neue Lehre bereitwillig auf und erhoben sie zur Staatsreligion. Bis nach China gelangten Missionare der Uiguren.

Der andere Teil der Manichäer zog nach Westen, in das Römische Reich. Uber Nordafrika gelangte die dualistische Lehre nach Spanien, von dort nach Südfrank-reich, wo die Katharer (= Ketzer) den Glauben pflegten. In Ostana-tolien entstanden neue christliche Sekten, die Paulikianer und Mas-saliner, die viel vom Glaubensgut der Manichäer übernahmen. Von ihren Anhängern forderte die ma-nichäische Lehre eine strikte Ablehnung alles Weltlichen (Staat, Verwaltung, Steuern, aber auch der Kirche), was zur Folge hatte, daß man diese Gruppen in christlichen Staaten stets bekämpfte.

Die ostanatolischen Zentren der Paulikianer und Massaliner, die innerhalb des Territoriums des Byzantinischen Reichs lagen, wurden mehrfach von byzantinischen Heeren heimgesucht und schließlich zerstört. Die intensive Missionsarbeit hatte aber schon neue Glaubenszentren in Thrakien und Makedonien entstehen lassen.

Stets auf der Flucht

Im 10. Jahrhundert lernte ein bulgarischer Pope namens Bogu-mü im spirituellen Zentrum der Paulikaner, in Ohrid, die dualistische Lehre kennen. Er erneuerte Manis Religion und scharte viele Anhänger um sich, die sich nach ihm Bogumilen, d. h. „Gottesfreunde”, nannten. Im zaristischen Bulgarien, das Peter I. auf repressive Weise regierte, verbreitete sich der Bogumilismus in einem für die Würdenträger der orthodoxen Kirche und für die staatstragenden Schichten beängstigenden Ausmaße, wie aus einigen Quellen hervorgeht.

Es gab gute Gründe für die rasche Zunahme der bogumilischen, dualistischen Lehre. Sie lagen zum ersten in der grausamen Unterdrückung, der die unteren Volksschichten ausgesetzt waren. Der neue Glaube mit seiner Diesseits-feindlichen Geisteshaltung mag in jener Zeit der Repression besonders attraktiv gewesen sein. Zum zweiten: Die Bulgaren stammten ursprünglich aus Zentralasien, wo sie in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Uiguren lebten. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß viele Bulgaren den Manichäismus bereits in ihrer Urheimat kennengelernt hatten.

Nach der Zerstörung des bulgarischen Reichs durch russische Truppen, die im Auftrag von By-zanz handelten, teilte sich der Staat in ein west- und ein ostbulgarisches Reich, die beide dann nacheinander von Byzanz erobert wurden.

Vor allem war es Bosnien, in dem die vor den byzantinischen Heeren flüchtenden Bogumilen Zuflucht fanden. Am Ende des 11. Jahrhunderts trat Ban Kuhn in Bosnien mit seiner Familie zum Bogumilismus über. Die mani-chäische Lehre konnte sich dadurch erneut etablieren. Ihr stand eine letzte große Blüte bevor.

Doch war auch diese Zeit vom Ende des 12. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts geprägt von Verfolgung und Unterdrückung. Einmal waren es katholisch-abendländische Staaten, die gegen die „bosnische Häresie” zu Felde zogen, ein anderes Mal war es Byzanz.

Ab dem 14. Jahrhundert waren es dann die Osmanen, welche die Bogumüen bedrohten. Schrittweise geriet das Land unter die Herrschaft der Türken. Die letzten Festungen fielen im zweiten Dezennium des 16. Jahrhunderts. Das Bogumilentum und mit ihm der Manichäismus waren damit endgültig untergegangen.

Aus der Zeit der späten kulturellen Blüte des Bogumilentums in Bosnien stammten die eingangs erwähnten Grabsteine. Man darf annehmen, daß die Darstellungen auf den Grabsteinen in symbolischer Weise auf das Leben der Verstorbenen hinweisen.

Der Bogumilismus orientierte sich wieder mehr nach Manis Grundsätzen als etwa die Paulikianer oder Massaliner. Insbesondere die erneute Hervorstreichung des dualistischen Grundgedankens war Bogumils Werk. Folgendes bogumilische Gebet ist charakteristisch:

„Der Leib, den wir tragen, ist ein Geschöpf der Finsternis,/ Unsere Seele aber, die ihn bewohnt, ist der erste Mensch, ein Keim des Lichtes./ Der erste Mensch, der siegreich war, im Land der Finsternis,/ Wird auch heute siegreich sein im sterblichen Leib./ Der lebendige Geist, der den ersten Menschen durchleuchtet hat,/ Ist auch heute unser Tröster, das consolamentum.”

Radikale Askese

Das religiöse Leben der Bogumilen war durch eine besondere Hierarchie, die bereits Mani entwickelt hatte, geordnet. Drei Gruppen, gleichsam Kategorien, von Gläubigen gab es: die „Vollkommenen” oder „electi”, die „Gläubigen” und die „Hörer”. Diese Einteilung orientierte sich am Grad der Verinnerlichung des einzelnen Bogumilen. Für jeden einzelnen Bogumilen war es religiöse Pflicht, vom „Hörer” emporzusteigen und das Stadium des „Vollkommenen” anzustreben, in dem auf alle materiellen Güter verzichtet werden mußte.

Leider konnte bislang noch nicht erforscht werden, wie weit die radikal-asketischen Ansprüche der Lehre das profane Leben bestimmten, ob oder in welchem Ausmaße etwa die feudale Ordnung in einer bogumilischen Gemeinde eingeschränkt wurde. Konsequenterweise hätte dies eigentlich eintreten müssen, zumal es Säkularisierung nicht gegeben zu haben scheint. Die Negierung staatlicher Gewalt und Organisation hatte jedenfalls zu allen Zeiten eine innere Schwäche des Manichäismus zur Folge. Als Staatsreligion hätte sich die manichäi-sche Lehre denn wohl auch nie auf Dauer etablieren können, da siet die Fundamente des Staates selbst in Frage stellen mußte.

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