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Zwischen links und liberal

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Röpke, Bahnbrecher des Neolibe- sehen Auswirkungen verschieden ralismus, wissenschaftlicher Baumei- Wirtschaftswunder kritisch gegen-ster der sozialen Marktwirtschaft, übersteht, ist seit fünf Jahren to( Vertreter einer Kultur- und Sozial- (t 1966 in Genf). Während dieser ethik. die auf Maßstäbe der klas- fünf Jahre hat der kontinentale Libe-sischen und christlichen Metaphysik ralismus zwei Rochaden in entgegenreflektiert und den materialisti- gesetzte Richtungen unternommen.

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Röpke, Bahnbrecher des Neolibe- sehen Auswirkungen verschieden ralismus, wissenschaftlicher Baumei- Wirtschaftswunder kritisch gegen-ster der sozialen Marktwirtschaft, übersteht, ist seit fünf Jahren to( Vertreter einer Kultur- und Sozial- (t 1966 in Genf). Während dieser ethik. die auf Maßstäbe der klas- fünf Jahre hat der kontinentale Libe-sischen und christlichen Metaphysik ralismus zwei Rochaden in entgegenreflektiert und den materialisti- gesetzte Richtungen unternommen.

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„Weil ich ein bestimmtes glaube, das durch die geistige 1 Überlieferung geformt ist, weil sehe, weil mir die Überzeugun Sünde ist, ihn zum Mittel zu hochtönender Phrasen), und liches, Unvertauschbares und alles andere nichts ist, weil ich wurzelnden Humanismus erge Kind und Ebenbild Gottes ist, ihn die Hybris eines falschen, götzt — deshalb, so meine ich, tivismus mit äußerstem Miß Röpke, Jenseits von Angebot u:

Es fing mit der Rochade nach links an. Während der Marx-Renaissance der sechziger Jahre wurde die Liquidierung dar Ära der grand old men der christlich-demokratischen Parteien in Europa (Adenauer, de Gasperi, Raab, Schuman u. a.) das gemeinsame Ziel der nach links hin abrückenden Gruppen der Liberalen sowie ihrer sozialistischen und linksradikalen Verbündeten. Der Haß gegen den „CDU-Staat“ — in Österreich in abgeschwächter Form: gegen die Mediokrität der Schwarzen — hielt eine inhomogene Allianz zusammen. Das Ganze arrangierte sich mit einer derartigen Fixigkeit, daß sich plötzlich soignierte Bürgerliche in Tuchfühlung mit schwärmerischen Neomarxisten und Anarchisten befanden. Es geschah wie in allen derartigen Fällen von Interessentengenossenschaften: Man war sich einig betreffs der Beseitigung des Feindes; über alles übrige wollte man nachher reden. Das entsprach auch dem revolutionären Stil der Neuen Linken, in der die greisenhaften Revolutionäre von 1917/18 den Jungen zwar einredeten, was zerstört werden sollte, ohne zu wissen, was nachher Wohnstätte der Freiheit sein würde. „Der Spiegel“ wurde Weekly Tribüne dieser Allianz. Das angesichts der Bundestagswahl 1965 erschienene „Plädoyer für eine neue Regierung“ (in Bonn), geschrieben u. a. von Carl Amery, Rudolf Augstein, Günter Grass, Rolf Hochhuth, Robert Jungk, Hans Werner Richter wurde das Pronunciarnento der Intellektuellen für die neue Ära des Sinistrismo.

Nicht nur dieses konkrete und definierte Freund-Feind-Verhältnis gab der Allianz der neuen „Vereinigten Linken“ den Zusammenhalt. Nach Röpke, Rüstow, Hayek usw. wurden im liberalen Lager wieder jene tonangebend, für die es links keinen Feind geben kann, die nur nach rechts hin Schuß-

Bild vom Menschen zu haben rbmasse der antik-christlichen ch in ihm das Ebenbild Gottes f im Blute steckt, daß es eine erniedrigen (auch im Namen ede Seele etwas Unvergleich-Unschätzbares ist, gegen das '.inem in diesen Überzeugungen )en bin, für den der Mensch aicht aber selbst Gott, zu dem theistischen Humanismus verstehe ich jeder Art von Kollek-rauen gegenüber.“ (Wilhelm id Nachfrage, 1958.) feld haben. Die neu formierte „Vereinigte Linke“ erklärte der Kirche den Krieg, angeblich dem Herrschaftsanspruch dieser Kirche, in Wahrheit jenen, für die Gott noch nicht tot ist; sie bestreitet die Restbestände einer gewissen Moral und Anständigkeit in den sozialen und sexuellen Beziehungen, weil sie hierin ganz andere Motive etablieren möchte; sie erkämpft unter dem Schlagwort „Zensurfreiheit“ die Dominanz ihres Systms der Tele-kratie und aller Massenmedien; sie fordert unter Beseitigung der Begriffe Schuld und Sühne ein neues, das heißt ein ganz anderes Strafrecht; sie geht zum Schrecken ihrer großbürgerlichen Mitläufer auf die Mitbestimmung „in allen Bereichen und auf allen Ebenen“ los.

Nie wäre diese Allianz an die Hochwassermarke ihrer Erfolge in Bonn und Wien herangekommen, wäre sie nicht mit auf jenen Hochwassern geschwommen, die auch die Revolution der Neuen Linken, der Studenten und Intellektuellen trägt: auf den sukzessiven Wellen jener Massen von Hippies, Provos, Gammler, Kommunarden usw. der Beat-Generation aus 1950.

Der Besen soll wieder in die Ecke

Während die geschlagenen „Christdemokraten“ noch mit der Wundpflege überbeschäftigt sind, werden sie oft gar nicht gewahr, daß die Allianz der Linken, die sie aus der Stellung geschossen hat, bereits wieder in Zerfall gerät. Was gewissen Liberalen und Sozialdemokraten — nicht nur älteren Jahrgängen — diese Allianz unheimlich macht, das sind die Methoden und Konsequenzen, die die „linke Linke“ nicht nur im Kampf gegen den gemeinsamen Feind praktiziert: Die Gewalttätigkeit, der prinzipielle Terror, der Mißbrauch der Demokratie, insbesondere der Diskussion für bloße Agitation und Diversion. Dann: jene bösartigen, rachsüchtigen und unduldsamen Riten und Methoden, die mit der Übersteigerung der den Liberalen stets verdächtigen „Ge-sinnungs- und Gruppentreue“ in der Neuen Linken zutage kamen. Schließlich die Verletzung der heiligsten Überzeugungen der Liberalen: Rationalismus, Fair Play, Pluralismus, Ordnung in der Diskussion, Majorzdemokratie usw. Der Spaß bei der Überwindung des gemeinsamen Feindes hörte sich für die Liberalen auf, als die Neue, die linke Linke rücksichtslos in das Sanktissimum liberaler Geisfcigikeit in die Hochschulen eindrang, dort alles ausräumte, was rechts von links übrig blieb; und über den Trümmern des Zerstörten eine Art Räterepublik der Intellektuellen als Ort der Bereitstellung zur Störung des ganzen Establishments aufzurichten begann.

Allein auf ihre eigenen traditionellen Ziele, Methoden und Typen angewiesen, hätten die nicht eben taufrischen Parteiformationen der Sozialdemokraten und Liberalen nicht einmal die müdesten Fußmaroden der Ära Adenauer und Raab oder deren Epigonen aus dem Feld geschlagen. Ihr Durchbruch an die Macht gelang nur mit Hilfe der „Fünften Kolonne“ der Neuen Linken, die in die Leerräume eindrang, die sich in den sechziger Jahren in bürgerlichen, christlichen, nationalen usw. Parteiformationen bildeten; und die diese Formationen zum Teil paralysierte und ausmanövrierte.

Auslösendes Ereignis wurde die von Martin Buber diagnostizierte „sakrosankte Entzweiung von Religion und Politik“, demzufolge in Europa der Glauben immer weniger Kriterium bei Entscheidungen in der Öffentlichkeit wurde, während gleichzeitig in Lateinamerika das Modell einer Aktionsgemeinschaft von Katholiken und kirchlichen Kreisen auf dem Boden einer marxistischen Volksfront erprobt wird. In den bisherigen christlichen, bürgerlichen, nationalen usw. Parteien, die unter dem herrschenden Einfluß des Ame-rikanismus ihre „Entideologisierung“ betrieben und zuweilen farblos bis zur Unansehnlichkeit wurden, bildeten sich Kader, die nach links desertierten. Neue Kader der „Vereinigten Linken“ fanden sich in den Haufen aufgeregter Sektierer und Luxusverwahrloster der Wohlstandsgesellschaft; in den neuen von dieser Gesellschaft vernachlässigten Gruppen; in den Scharen der Jugendlichen, Studenten, Jungarbeiter usw., die in keiner Familie, Erziehungsgemeinschaft, Jugendgemein-schaft usw. ein Heimgehrecht haben und die in dem geistigen Kliima zwischen Rauschgiftphilosophie und Diskothek als eine „verlorene Generation“ außer Evidenz geraten. Geistig darf die „Vereinigte Linke“ auf jene anti spießbürgerliche Schock-kultur reflektieren, die Spießbürger wie Hasch genießen und die der Kulturalismus der Linksregime von staatswegen fördert. Der in den sechziger Jahren in der freien Welt des Westens um sich greifende bürgerliche und marxistische Atheismus ist Generalbaß des Ganzen. Je mehr innerhalb der katholischen Kirche in Frage gestellt wird, desto Selbst-gewisser wird dieses Nein zum Christentum.

Unversehens wurde die scheinbar übermächtige Allianz der „Vereinigten Linken“ brüchig: Als die nächste Welle eines integralen Liberalismus aus dem Westen kam, vor allem aus Frankreich nach der Formel ni Marx — ni Jesus. Als ein Sozialdemokrat wie Hans J. Vogel, Oberbürgermeister von München, in einer Auseinandersetzung mit linksradikalen Jungsozialisten wenigstens scheinbar eine Demarkationslinie zog. Als in der Bonner Linksregierung das Projekt einer „gerechten Eigentumsverteilung“ eher die Tendenz einer „Aufteilung“ des bereits vorhandenen bekam als den einer Akkumulierung künftigen Eigentums in Kreisen der bisher eigentums- und besitzlosen Massen. Und für Liberale wie Carl Amery, die anfänglich die von der Neuen Linken verbreitete Morgenröte mit Hoffnung begrüßt hatten, war es ein schwerer Schlag, eingestehen zu müssen, daß die dem Establishment des „CDU-Staates“ zugeschriebenen „faschistoiden“ Methoden in Wirklichkeit für die Neue Linke typisch und systembedingt sind. Die Tatsache, daß um 1970/71 Revolution, Terror, Herrschsucht der Minoritäten usw. nicht von rechts, sondern von links her auf die Gesellschaft zukommen, kann von den humanen Typen auf der Linken nur mehr mit dem dialektischen Kniff eskamo-tiert werden, es handle sich bei diesen Exzessen nicht um solche einer Linken, sondern um die einer radikalen Rechten. Denn: Die Linke kennt keine Gewaltanwendung.

Nichts wie weg von Links

Die Mentalität der mach dem Techtelmechtel mit der linken Linken enttäuschten und erschreckten Liberalen formuliert Gerhard Szczesny in seinem jetzt zu Weihnachten erschienenen Buch über das Unvermögen der Ideologen: „Das sogenannte Gute.“ Er wurde wie viele Liberale von der Plötzlichkeit und Konsequenz überfallen, mit der die Neue, die linke Linke spornstreichs auf die Revolution losgeht. Es geschah dies so überraschend, daß die Nahtstelle zwischen den Liberalen und ihren linken Alliierten riß, bevor sich Ideologen vom Schlag Szczesnys, die angeblich in Entideologisierung unterwegs sind, der „Endgültigkeit der Scheidung bewußt wurden“.

Liberal. unter verschiedenen Konstellationen immer wieder Amalga-mat in unterschiedlichen Allianzen mit begrenzter Dauer und Wirksamkeit, war zwischen links und rechts zwischen die Stühle gefallen. So ist das Aufsuchen einer neuen Heimat für die Heimatlosen wieder einmal Ziel liberaler Formulierungskunst. Indem man mit einer neuen Rochade von links abrückt, nähert man sich allerdings bei weitem nicht dem, was Röpke das Unvergängliche im Liberalismus nannte. In den Formulierungen Szczesnys ist auffallend, daß er dem herrschenden Zeitgeist nicht folgt, er die vulgäre Gleichsetzung von „liberal“ und „progressiv“ auflöst.

Die alte Weisheit der Liberalen

Zu oft sind die Liberalen seit 1789 zusammen mit den Revolutionären auf die Barrikaden gegangen, um nachher unter dar Herrschaft der Guillotine kopflos zu werden. Die Weisheit aus dieser in den sukzessiven Revolutionen gewonnenen Erfahrung unterscheidet die Liberalen von den Katholiken, die jetzt ihre „erste Liebe“ mit der Revolution und mit den Linken erleben; die einer Faszination erliegen, einer Begeisterung für das Extraordinäre, eine Hingabe an das ungewohnte endlose Räsonieren, mit dem alles in Frage gestellt und wenig beantwortet wird; von Theologen, die mit einer „Revolutionären Theologie“ oder mit einer „Theologie für die Revolution“ unterwegs sind auf einem „langen Marsch“, der sie weit ab führt von der Kirche; von Christdemokraten, die in einer erneuten Volksfront gemeinsame Sache machen mit Marxisten und Kommunisten, nach Art ihrer Väter, die glaubten, im „positiven Christentum“ den Zugang zum Hitlerismus zu finden.

Wer die politisch heitmat- und obdachlos gewordenen Liberalen nach der Formel: ni Marx — ni Jesus vergattern möchte, kehrt natürlich nicht gleich zu Röpke zurück. Umso beschwörender wirkt das Einreden der wissenden liberalen auf die „Jüngeren“, denen sie — manchmal zu spät — klarmachen möchten, was denn der wirkliche Unterschied zwischen den „faschistoiden“ Zielen, Methoden und Typen des von den „Christdemokraten“ hinterlassenen Establishments und dem Faschismus ist:

Demnach sind die „westlichen Demokratien“, Hinterlassenschaft aus zwei Jahrzehnten der Ära Adenauer, de Gasperi, Raab und anderer christlicher Demokraten, after all gar nicht so übel, wie es die Massenmedien widerspiegeln; es gibt Werte in dieser Verlassenschaft wie: Freiheit, Frieden, Sicherheit; und der Idealismus der Revolutionäre, hochgepriesen wie man ihn hat, besagt leider nichts über die Qualität der Verwirklichung dieser Ideale, die im Falle einer jeden Revolution erst dann puncto Ertrag bewertet werden können, wenn sich die furchtbare Gewalt der Zerstörung ausgetobt hat. Wer aber möchte sich noch einmal auf diese Probe aufs Exempel einlassen?

Die Absage von Liberalen an die linke Linke ist der erste und tiefste Riß im derzeitigen Experiment in Bonn und Wien. Es ist gar nicht kalt, wenn die Liberalen beim Abschied sagen, man überlasse es der Linken links zu sein. Damit werden die Liberalen einmal mehr Katalysator in anderen politischen Lagern. Entscheidungen, auf die wir in diesen sehr beweglich gewordenen und bereits bewegten Zeiten zugehen, setzen zuerst Unterscheidungen voraus. Erst die unterschiedlichen Elemente im Politischen, ausgesetzt der Säure der öffentlichen Meinung, der politischen Willensbildung und den kalkulierten Risken der Aktionen, produzieren das Potentialgefälle, die Spannung, die Energie, also die Motorik des Politischen. Es sind drei Elemente, auf die es jetzt in Europa ankommt: Das Christentum, der Marxismus und alle Philosophien im Anschluß daran, sowie der Positivismus, den nicht wenige zu den Ideologien rechnen.

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