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Zwischen Modernisten und Integralisten

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• „Alle wichtigen neuen Erkenntnisse der Wissenschaft mußten der Kirche abgetrotzt werden.“ Franz Padinger: „Zum Verständnis des Konflikts zwischen Glaube und Wissenschaft im Modernistenstreit“ in „Der Modernismus“, Graz 1974, Seite 45.• „Heute lebt Integralismus ... allenfalls noch als Tendenz..., die Mittlerfunktion der Kirche zu überschätzen und als Folge davon, sich einzuigein, sich abzukapseln, in Resignation zu verfallen.“ Otto B. Roegele: „Integralismus“, Beitrag zum Staatslexikon, Freiburg 1959, Band 4, Spalte 340.• „Das eigentlich einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschheitsgeschichte ... bleibt der Konflikt des Unglaubens mit dem Glauben.“ J. W. von Goethe: „Noten zum Westöstlichen Diwan, Israel in der Wüste.“

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• „Alle wichtigen neuen Erkenntnisse der Wissenschaft mußten der Kirche abgetrotzt werden.“ Franz Padinger: „Zum Verständnis des Konflikts zwischen Glaube und Wissenschaft im Modernistenstreit“ in „Der Modernismus“, Graz 1974, Seite 45.• „Heute lebt Integralismus ... allenfalls noch als Tendenz..., die Mittlerfunktion der Kirche zu überschätzen und als Folge davon, sich einzuigein, sich abzukapseln, in Resignation zu verfallen.“ Otto B. Roegele: „Integralismus“, Beitrag zum Staatslexikon, Freiburg 1959, Band 4, Spalte 340.• „Das eigentlich einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschheitsgeschichte ... bleibt der Konflikt des Unglaubens mit dem Glauben.“ J. W. von Goethe: „Noten zum Westöstlichen Diwan, Israel in der Wüste.“

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In der Ideengeschichte und in der Ideologienkritik wird die Geschichte mehr und mehr zu einem Selbstbedienungsladen der modernen Wissenschaften. Was von den in der Geschichte sich tausendfach kreuzenden und überschneidenden Denkrichtungen der Vergangenheit zusagt, wird in das eigene Denkmodell montiert, das übrige bleibt rechts oder links liegen. Der Sozialismus hat Jesus und seine Jünger ebenso zu seinen Vorläufern gemacht, wie der Faschismus den Heiligen Paulus quasi zum Faschisten der ersten Stunde gemacht hat. Die nachkonziliarischen Reformer in der Kirche haben Jahrhunderte der Kirchengeschichte als eine ununterbrochene Serie von Abweichungen und Irrungen der Kirche vom Willen ihres Stifters wegwerfen wollen, um in der Person Angelo Roncallis endlich den Fixpunkt dafür zu finden, was um 1900 als- Modernismus begonnen und in der Ära Johannes XXIII. scheinbar seine vielfache, wenn auch verspätete Rechtfertigung gefunden hat. (Werner Pfeiffenberger in Der Modernismus, Seite 205 ff.)

Seit 1902 der junge Kirchenhistoriker Albert Ehrhard, nachdem er zu Unrecht des Modernismus verdächtigt worden war, fluchtartig seine Lehrkanzel an der Wiener Theologischen Fakultät räumte, neigen die progressiven Kräfte in der katholischen Intelligenz des Landes zur Resignation. Sie fühlen sich angesichts eines modernen Zeitgeistes kompromittiert. Und sie halten, wie Karl Rahner es 1972 formulierte, eine „unbefangene Symbiose“ ihres „wissenschaftlichen Bewußtseins und seiner skeptischen Rationalität“ mit „ihrem metaphysischen und religiösen Bewußtsein“ für gefährdet

Viele dieser Intellektuellen neigen zu Haltungen, deren Gefährlichkeit Albert Ehrhard bereits 1902 in seiner Untersuchung „Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert“ aufgezeigt hat: Ein kirchengeschichtlicher Historizdsmus, der die Überzeitlichkeit des Christentums in Frage stellt; eine Abwertung des Dogmas; ein unablässiges Inf ragestellen der absolut ungeschichtlichen Wahrheiten und so weiter.

Was der Skeptizismus dieser katholischen Intellektuellen aber ungern, jedenfalls viel seltener angreift, das ist jener Begriff Wissenschaft, den das 19. Jahrhundert hinterlassen hat und der ihnen die von Rahner gewünschte unbefangene Symbiose von Glaube und Wissen zu gefährden scheint. Mit immer größerem Schmerz sehen sie die rasche und glänzende Entfaltung der Naturwissenschaften, deren Methoden durch eine unübertreffliche Leistungsfähigkeit ausgezeichnet zu sein scheinen. Mehr und mehr Theologieprofessoren lassen in ihren Vorlesungen durchblicken, daß sie enthusiastische Bewunderer dieser Methoden und daß sie höchst unglücklich über die Tatsache sind, daß die Kirche in der Neuzeit die meisten wissenschaftlichen Ergebnisse dieser' Methoden irgendeinmal zurückgewiesen hat. Dem Werk Galileis sei es ebenso ergangen wie später den Werken Marx' und Freuds.

Arthur Koestler, durch seine Herkunft als Zionist und Kommunist sicher unverdächtig, hat in seinem Buch „The Sleepwalkers“ (Penguin 1969) darauf hingewiesen, daß es sich bei den Konflikten, die Galilei und Kopernikus zu ihrer Zeit mit der Kirche hatten, im Grunde nicht um den Konflikt des Glaubens mit der modernen Wissenschaft handelt, sondern: um wissenschaftliche Auseinandersetzungen zwischen klerikalen Intellektuellen mit Fachkollegen ihrer Zeit. Wobei die klerikalen Intellektuellen zur Behauptung ihres Monismus völlig zu Unrecht — leider mit Erfolg — die Instanzen der Kirche zur Wahrung des Glaubens zu Hilfe gerufen haben. Der Point of Conflict in den Auseinandersetzungen der Kirche mit den modernen Wissenschaften der Neuzeit ist kein Streit über Methoden, sondern: der Konflikt der Religion mit Ideologien, also mit Ersatzreligionen, die die Methoden der Naturwissenschaften, vor allem jene der mathematisderen-den Wissenschaften, schließlich verabsolutiert und dabei den Glauben außer Evidenz gebracht haben.

Bis zum Tode Einsteins entwickelte sich so die irrtümliche Annahme, daß die Erforschung der Wirklichkeit nur dann wissenschaftlichen Charakter habe, wenn sie die Methoden der mathematisierenden Wissenschaften anwende. Ferner, daß Probleme, die in anderen als naturwissenschaftlichen Termini ausgedrückt werden müssen, Schetnprobleme sind. Und daß schließlich Seinsbereiche, die der Erforschung mit naturwissenschaftlichen Methoden oder solchen der mathematisierenden Wissenschaften unzugänglich sind, irrelevant, in äußerster Konsequenz nicht existierend sind. (Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, München 1959).

Es blieb nicht bei solchen theoretischen und ideologischen Erwägungen der Vertreter einer sogenannten voraussetzungslosen Wissenschaft. Als Albert Ehrhard um 1900 Theologieprofessor in Wien war, ist es fast ausgeschlossen gewesen, daß ein Wissenschaftler, dessen katholische Herkunft und Anschauung bekannt war, mit seiner Bewerbung um einen Lehrstuhl außerhalb der Theologischen Fakultät ankam. Ein solcher Klerikaler war ja unfähig, zu erfassen, was voraussetzungslose Wissenschaft ist. Er war eine Gefahr für die Freiheit der Wissenschaft. An der Universität Innsbruck konnte ein Angehöriger der dortigen Theologischen Fakultät nicht Rektor werden und an anderen Universitäten im sogenannten katholischen Österreich nur dann, wenn er nolens volens im Senat mit den Wölfen heulte und sich den Ruf eines „anständigen Pfaffen“ erwarb.

Sigmund Freud scheiterte mit seiner Lehre in erster Linie an der In-transigenz seiner Fachkollegen — die meisten, wie Freud nach Herkunft und Anschauung Juden —, nicht an einer klerikalen Intoleranz, wie sie gewisse Legenden der damaligen Medizinischen Fakultät in Wien und dem Unterrichtsministerium unterstellen. Freuds Widerpart, der Nobelpreisträger Wagner-Jauregg, war alles eher als ein Klerikaler. Die Annahme, wonach „alle wichtigen neuen Erkenntnisse der Wissenschaft ... der Kirche abgetrotzt werden“ mußten, ist in dieser Form unhaltbar.

Der geistige Wurzelboden des Typs des Intellektuellen ist im 18. Jahrhundert zu suchen. In der Zeit, als in Westeuropa die Formel: Education anstatt Religion, zumal in der Revolution von 1789 politisch relevant wurde. Den Absolutismus, den man der Kirche und dem Glauben entreißen wollte, nahm die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts in Anspruch. Der immer raschere Vormarsch der Wissenschaft im .19. Jahrhundert führte schließlich zu einem grenzenlosen Vertrauen in ihre momentanen Erkenntnisse und deren Allgemeingültigkeit, Die Kirche schien out zu sein.

Während zum Beispiel Philosophien, die im Anschluß an Karl Marx entstanden sind, bei dem fraglichen wissenschaftlichen Absolutismus verblieben und viele Physiker um 1900 die Forschungsergebnisse ihres Faches als abgeschlossen und endgültig erachteten, entwickelte sich bereits ein ganz neues Ideensystem, dessen Entwicklung erst Mitte des 20. Jahrhunderts zu völlig neuen Aspekten führte: Weg vom Determinismus — der so sehr das Denken Marx' beherrscht hat — in eine Welt, in der etwas eine Rolle spielt, dessen Bezeichnung um 1900 ein damaliger moderner Wissenschaftler nicht einmal in den Mund genommen hätte, nämlich der Zufall.

Der Naturwissenschaftler in der Welt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist weniger anmaßend als sein Fachkollege um 1900, als Katholiken sich wegen Problemen zerstritten, bei denen es sich eigentlich um die Berichtigung bisheriger Irrtümer einer sogenannten modernen Wissenschaft handelt.

Wer der Kirche vorwirft, man hätte ihr alle wichtigen neuen Erkenntnisse der Wissenschaft abtrotzen müssen, der macht ihr rebus sie stantibus ein höchst zeitgemäßes Kompliment. Die Kirche war in diesem Punkt kritischer als Intellektuelle, die jedem blauen Rauch nachliefen. Und sie rechnete mit einer sehr weisen Einsicht, die- viele Naturwissenschaftler erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so kraß zu formulieren wagten. Nämlich, • daß die Wissenschaft auf Gesetzen beruht, von denen wir annehmen, daß sie sich nicht ändern werden.

Nun ist aber jedem, der es hinreichend mit der Wissenschaft und den Wissenschaftern zu tun bekommen hat, bekannt, daß das, was man den Fortschritt der Wissenschaft nennt, nicht immer im Auffinden neuer Erkenntnisse besteht, sondern • in der nachträglichen Berichtigung von Irrtümern, von denen in der Vergangenheit angenommen worden ist, sie seien endgültig und keinen Änderungen unterworfen.

In dieser Hinsicht ist es tragisch, wenn katholische Intellektuelle in der aweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem Soziologismus nachhängen, der als „wissenschaftlicher Marxismus“ deklariert wurde, nachdem es längst klar geworden ist, daß die Soziologie 90 Jahre nach dem Tode Marx' noch nicht imstande ist, ein allgemeines Urteil über menschliches Verhalten von der Art abzugeben, daß darauf eine so strikte Theorie gegründet werden könnte, wie sie Marx zu seiner Zeit verkündet hat.

Was hätte sich die Kirche wohl von den heute so gepriesenen Frühschriften Marx' abtrotzen lassen sollen, wenn dieser darin seinen Atheismus nicht in sozioökonomischer, sondern in philosophisch-ideologischer Hinsicht begründete?

Was hätte die Kirche mit der Lehre Sigmund Freuds anfangen sollen, nachdem diese von fast allen seinen Fachkollegen und fast allen seinen ursprünglichen Anhängern verworfen worden war und der Kirche nur jene Diagnose der Religion zur Stellungnahme übrig blieb, in der Freud die Religion zu den Zwangsneurosen rechnet?

Und: Was hätte die Kirche mit der ultima ratio Einsteins anfangen sollen, als Einstein dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt eingab, die vernichtende Wirkung der Atomkraft als Atombombe einzusetzen und der Massenmord in Nagasaki und Hiroshima nur deswegen damals nicht zum Himmel um Rache rief, weil Auschwitz und Dachau gerächt werden sollten?

Schienen die Ereignisse der sechziger Jahre einem gewissen Nachhall des Modernismus der Jahrhundertwende recht zu geben, so droht da und dort in den siebziger Jahren Gefahr, daß die uralten Integralisten aufstehen und rufen: Und wir haben doch gesiegt.

Albert Erhard, von den einen als Vermittler gelobt, von anderen als Verräter am Modernismus verachtet (Siehe: Herbert Dachs in Der Modernismus, Seite 235 ff.), ging in seiner Kulturkritik darauf hinaus, das Ganze zu bewahren. Der Behauptung, wonach der Katholizismus eine wesentlich konservative Macht sei, hält Ehrhard entgegen: Einer der größten Vorzüge des Katholizismus bestünde darin, eine konservative und eine fortschrittliche Geistesrichtung harmonisch miteinander zu versöhnen. Zu versöhnen, nicht in einer geschickten Manipulation zu vermischen.

1899, im Sturm der Los-von-Rom-Bewegung, hat Ehrhard in Wien die Gründung einer katholischen Landsmannschaft von Studenten aus Böhmen, Mähren und Schlesien vorgeschlagen und durchgesetzt. Weil aus den sogenannten Sudetenländern viele, vielleicht die schärfsten Vertreter der Los-von-Rom-Bewegung an die Universität kamen. Als Stifter der katholischen Landsmannschaft Nordgau gehörte er zeit seines Lebens demselben Bund an, dem Richard von Kralik, für viele Symbol eines Integralismus in Österreich, angehörte. Müßte nicht das, was in der Simplizitas einer katholischen Studentenverbindung möglich ist, erst ungleich besser im Ganzen einer Kirche gelingen, die katholisch, also heißt: allgemein, ist?

Als Richard von Kralik am 5. Februar 1934 starb, habe ich als Senior Nordgaus an seinem Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof chargiert. Im Sommer vorher, 1933, als Hans Eibl die Position des vom Nationalsozialismus herausgestellten „positiven Christentums“ in der Verbindung zu rechtfertigen suchte, habe ich als junger Senior brieflichen Kontakt mit dem Verfasser der Gründungsidee der Verbindung, Albert Ehrhard, damals in Bonn, aufgenommen. 1938, als das Verbindungsheim geplündert wurde, ging dieser Briefwechsel leider verloren.Ich erinnere mich eines Satzes Ehr-hards, der mir in der Situation des damaligen Dialogs Mut machte: Produzieren ist besser als diskutieren. Denn: Wieviel mehr praktiziertes Christentum haben denn bisherige Dialoge gefördert? Wohlstandsbürger treten heute aus Protest gegen Kirchensteuer und Schutz des ungeborenen Lebens aus der Kirche aus. Nicht durch das Aggiornamento drängen die Fernerstehenden in die Kirche, vielmehr haben unzählige Kleriker und Laien die Notausgänge der Kirche zu ungeheuren Portalen gemacht, durch die Massen aus der Kirche ausziehen.

Als Albert Ehrhard 1940 starb, zogen zum drittenmal im Leben dieses Elsässers die deutschen Heere unter der brausenden „Wacht am Rhein“ durch seine irdische Heimat. Es war Pius XII., der dem ein Lebensalter zuvor von der Kirche disziplinierten Ehrhard seinen Segen zukommen ließ. Während des letzten Krieges habe ich als Soldat das Grab Ehrhards auf dem Poppelsdorf er Friedhof bei Bonn aufgesucht. Längst war der Streit der Modernisten mit den Integralisten begraben. Wer konnte ahnen, daß er ein Jahrzehnt nach dem Tode Ehrhards wieder aufflammen würde? Eines wissen wir: Bis zum Jüngsten Tag wird sich die Kirche der Angriffe von Integralisten und Modernisten, wie immer deren Formeln lauten mögen, erwehren müssen. Weil ihre Wahrheit, die geoffenbarte Wahrheit, eine absolut ungeschichtliche ist und daher immer aufs neue durch geschichtliche Gewordenheiten herausgefordert werden wird. Das zu wissen, macht die Unruhe in uns aus, die erst endet, wenn wir des Endgültigen teilhaftig geworden sind.

DER MODERNISMUS, hrsg. von Erika Weinzierl zum 80. Geburtstag von Thomas Michels, Verlag Styria, Graz 1974, 411 Seiten.

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