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Zwischen Mystik und Weltdienst

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Nebenstehend ein Auszug aus Ignaz Zangeries Rede bei der Präsentation der ihm zu Ehren erschienenen Festschrift „Men-schenerweckende Erwachsenenbildung quot;.

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Nebenstehend ein Auszug aus Ignaz Zangeries Rede bei der Präsentation der ihm zu Ehren erschienenen Festschrift „Men-schenerweckende Erwachsenenbildung quot;.

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Auch die Christen können sich nicht die Tatsache verhehlen, daß sie sich, auch wenn man den Mythos von einer unbegrenzten Lernfähigkeit des Menschen durchschaut hat, längst in einer Lerngesellschaft als einer Konsequenz der Industriegesellschaft vorfinden. Mehr: Die Christen sind dabei, obwohl es in derselben Gesellschaft immer wieder Rückfälle in neue Irritationalismen gibt, Stück um Stück die Aufklärung und deren revolutionäre Auswirkungen in ihren positiven Werten nachzuholen und sich in einer von Wissenschaft und Technologie beherrschten Gesellschaft, so gut es eben geht, einzurichten.

Gerade die Verwirklichung der recht verstandenen Postulate der Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit setzt den selbständig denkenden, kritisch unterscheidenden Christen voraus. Dazu kommt, daß wir Christen uns längst mitten in einer nachchristlichen, weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft vorfinden, die im Sinne des allgemeinen Wettbewerbs auch der Ideen, Weltanschauungen und Ersatz-Religionen dem einzelnen anstelle von Glaubenszuversicht eine Fülle von Wünschbarkeiten oder Optionen anbietet, ohne ihn zu irgendeiner Bindung oder Ligatur zu nötigen. Um in diesem ebenso aufgeklärten wie von falscher — Mystik erfüllten Klima wetterfest bleiben zu können, sollte jeder Christ wissen, wem er glaubt, was er glaubt, warum er glaubt und welche wesentlichen Folgerungen aus diesem Glauben sich sowohl für ihn selbst wie für die ihm anvertrauten Menschen ergeben.

An dieser rationalen Zielsetzung, die aber keinen Augenblick vergißt, wo das Mysterium beginnt, kommt keine katholische oder christlich orientierte Erwachsenenbildung vorbei. Diese stellt daher eine Art Selbstrechtfertigung oder, wenn man will, eine Apologie des christlichen Glaubens dar, aber außerhalb des Kirchenraumes, unter Einschluß von Nicht-Glaubenden und mit den methodischen und didaktischen Mitteln einer Erwachsenenbildung, die sich ständig einer wissenschaftlichen Reflexion ihres Tuns aussetzt; denn der Prozeß der Demokratisierung der Bildung in einem aufklärerischhumanistischen Sinn, an dem die Erwachsenenbildung von Anfang an beteiligt war, ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Wenn das Christentum sich heute von diesem Markt der Meinungen, Hypothesen, Ideologien, Weltanschauungen und Religionen in einer pluralistischen Gesellschaft zurückzöge, müßte es vermutlich eine ganze Geschichtsphase zuwarten, bis sich ihm wieder eine Chance bieten würde.

Was für innere, kirchliche Gründe gibt es für die Existenz einer spezifisch kirchlichen oder katholischen Erwachsenenbildung? In der nachchristlichen Gesellschaft, die bald eine universale sein wird, und am Ende des Konstantinischen Zeitalters gerät die Kirche, und mit ihr der einzelne Christ.in eine neo-urchristliche Situation, in der nur ein vom Grund auf Bekehrter und Geistgetaufter als Christ sich behaupten kann. Mit bloß angelerntem oder nachgebetetem Christentum ist es schon lange nicht mehr getan. Die Entscheidung für das Christsein wird sich in Hinkunft nur mehr dem Grade, aber nicht mehr dem Wesen nach unterscheiden von der Entscheidung zum Priester- oder Ordensberuf. Jeder Christ, auch und gerade der Laie, wird zugleich verkündigungsreif und weltmündig sein müssen.

Wir können heute freilich noch nicht absehen, ob und wann die Exkulturation der Kirche als Folge der Entchristlichung von einmal christianisierten westlichen und östlichen Gesellschaften eines Tages wieder von einer neuen Inkulturation vielleicht im Weltmaßstab abgelöst werden wird. Der ins Universale gehende Missionsauftrag Jesu ist aber auch heute nicht zurückgenommen. Auf jeden Fall werden sich schon heute die Christen, wie es ihnen im Brief des Diognet geraten wird, darauf einzustellen haben, daß „ihnen jede Fremde zum Vaterland und jedes Vaterland zur Fremde wird".

Für diesen Bewußtseinswandel, für diese existentielle Umstellung braucht die Kirche einen Ort der Umorientierung, einen Platz der Einübung, eine Erwachsenenbildung, die sich nicht als ein Vorwerk der Festung Kirche versteht,sondern als eine breite Brücke, auf der ein lebhaftes Kommen und Gehen, ein heftiger Austausch von Kirche und Welt stattfindet. Anders ausgedrückt: Eine auf diese Weise sich verstehende Erwachsenenbildung müßte sowohl im Innersten der Kirche wie im Herzen de* Welt zu Hause sein, müßte im Raum der Kirche ein Weltgesicht tragen, wie im Raum der Welt das Gesicht der Kirche entzifferbar machen. Sie könnte sowohl für die Kirche wie für die Welt ein wechselseitiges Interpre-tatorium bilden, wissend, daß Gottes Heilswille in beiden Bereichen auf das Kommen Seines Reiches mit unserer Hilfe hinwirkt.

Eine solche Erwachsenenbildung ist nicht dazu da, den Rückzug der Volkskirche zu decken, sondern Spähtrupp der Bekenntniskirche zu sein. Sie wird einerseits das Evangelium und die Lehre der Kirche wieder aktuell machen, das heißt ins Gespräch bringen, obwohl beide, weil tradiert, zunächst von gestern sind, indem sie das Ärgernis ihrer Un-gleichzeitigkeit produktiv gestaltet. Andererseits wird sie versuchen, die Ängste und Hoffnungen der Menschen draußen von ihren selbstgewählten Mißdeutungen zu lösen und Has in Wirklichkeit Gemeinte, aber in Symbolen Verschlüsselte zu deuten. Dazu gehören ganz allgemein Mut und Geduld, cor aggio e pazienza, eine unersättliche Neugierde und ein missionarisches Getriebensein. Es gibt nicht nur Charismen im Räume der Kirche, sondern auch spezielle Charismen für das Wirken des Christen in der Welt.

Eine solche Haltung läßt sich durch Spannungen wie die zwischen „Frömmigkeit" und „Mündigkeit", zwischen einer bis ins Mystische reichenden Glaubenserfahrung und einem fast an Selbstaufgabe grenzenden Weltdienst nicht mutlos machen, im Gegenteil, sie lebt von diesen Spannungen, sie erneuert sich ständig an ihnen. Vielleicht würde es sich daher in dieser Perspektive empfehlen, künftig nicht mehr von kirchlicher Erwachsenenbildung zu sprechen, auch nicht mehr von katholischer — denn dieses wird immer erst im Nachhinein zu erkennen sein —, sondern, weil sie sich wie die modernen Naturwissenschaften von Versuch und Irrtum bestimmt weiß, von christlich orientierter Erwachsenenbildung, d. h. von einer Erwachsenenbildung christlicher Erwachsenenbildner, welche gemeinsam versuchen, aus ihrem Glauben heraus Menschen so zu Christen zu erwecken, daß ihre höchsten menschlichen Fähigkeiten Charismen werden können.

Das Amt der Kirche freilich wird sich mit der Zeit daran gewöhnen müssen, auch in den unerwartetsten Initiativen von unten und mitten aus dem Schoß der Welt das Wirken des Heiligen Geistes zu erkennen. Gewiß, die Kirche wird noch lange nicht auf das jeweils Institutionelle als ge-schichtsbedingtes Kleid verzichten können, aber sie muß immer mehr Ereignis werden, sich selbst überbietendes Vorzeichen des anbrechenden Gottesreiches. So gesehen, ist eine christlich orientierte Erwachsenenbildung, wenn man will, schon jetzt als eine eschatologisch ausgerichtete zu betrachten.

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