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Zwischen Präsident und Kongress

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Vor einigen Tagen veröffentlichten die „New York Times“ einen Artikel, in dem Verwunderung darüber ausgesprochen wird, daß das Ausland und seine Presse nicht die gleiche Empörung über „Watergate“ äußere wie die amerikanische Presse. Und wenn man den „New York Times“ und ihren ideologischen Geschwistern folgt, so habe es in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch selten einen so abscheulichen Skandal gegeben, der die Grundlagen und Einrichtungen des Landes erschüttere und in Frage stelle.

Watergate ist die Bezeichnung für einen großen Wohnblock in der Hauptstadt Washington, in dem das Hauptquartier der Demokratischen Partei untergebracht war. In diese Zentrale brachen im Juni vorigen Jahres einige früher dem amerikanischen Geheimdienst angehörende Männer ein, um politische Dokumente zu stehlen und einen elektronischen Abhördienst zu installieren. Sie wurden auf frischer Tat ertappt und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Zunächst bekannten sie sich schuldig, nahmen ihre Strafe an und schwiegen über ihre Auftraggeber. Aber dann bröckelte die Mauer des Schweigens. Ein Beteiligter namens McCord, offenbar durch das Angebot milder Strafe versucht, packte aus. Was er enthüllte, ist eigentlich mehr eine Wiedergabe von Informationen und Gerüchten aus zweiter und dritter Hand. Aber da er Namen von engen Mitarbeitern des Präsidenten nannte, füllten diese „Sensationen“ sogleich die Zeitungen und führten zu Untersuchungen der Grand Jury, die nun festzustellen hat, ob das vorliegende Material zu einer Anklageerhebung ausreicht. Daneben laufen Untersuchungen eines Senatskomitees unter Senator Ervin, einem konservativen Demokraten, der aber ein fanatischer Verteidiger der Prärogativen des Kongresses gegenüber der wachsenden Macht des Präsidenten ist.

Präsident Nixon ist von Natur aus ein verschlossener Mensch, der sich im Weißen Haus einen Mitarbeiterstab aufgebaut hat, der ebenso tüchtig wie unbürokratisch ist. Dieser Stab, aus mehreren hundert Spezialisten bestehend, sollte ursprünglich ein „Brain-Trust“ sein, ist aber tatsächlich in wichtigen Bereichen (Außenpolitik: Kissinger, Wirtschaft: Schulz) Träger der tatsächlichen Politik. Er entwickelte eine starke Loyalität zum Präsidenten, ist aber der politischen Arena und der Presse entrückt.

Daß hier ein Konflikt entstehen mußte, war angesichts des Charakters des Präsidenten und der Eifersucht, mit der der Kongreß seine Rechte verteidigt, vorauszusehen.

Das „Sich-Abkapseln“ entspricht Nixons Naturell. Was ihm jedoch an Fähigkeiten der Kommunikation und Wärme fehlt, das kompensiert er durch einen hohen Grad an praktischer Intelligenz und an Fleiß.

In die Isolation gegenüber Kongreß und Presse hat Nixon aber nicht bloß sein Charakter, sondern auch das Ergebnis der letzten Wahl geführt. Der Präsident hat zwar ein überwältigendes „Vernunftmandat“ erhalten, zugleich haben aber die Wähler die demokratische Mehrheit im Kongreß noch ausgebaut. Es gibt daher für einen nicht kompromiß-bereiten Präsidenten wenig Möglichkeiten für echte Zusammenarbeit.

Der Konflikt zwischen Kongreß und Präsident — und damit zwischen

demokratischer Opposition und Nixon — hat sich in den letzten Monaten extrem zugespitzt. Und wenn die außenpolitischen Erfolge in Vietnam, das verbesserte Klima zwischen USA und Sowjetunion, die Eröffnung der Beziehungen zu Rotchina auch Anerkennung finden, so haben sie Präsident und Opposition nicht nähergebracht. Im Gegenteil: die Demokraten warteten mit angespanntem Atem auf ihre Stunde. Irgendwann mußte ja wohl der verhaßte Gegner eine Schwäche zeigen.

Diese Schwäche ist Watergate. Mit kaum verhülltem Haß und moralischer Indignation stürzt sich die Opposition auf ihre Opfer, die weniger für ihre Dummheit oder für den Schlag unter den Gürtel büßen werden als für ihre Unfähigkeit, nach allen Seiten Kanäle offenzuhalten und einen Dialog zu führen.

Zunächst hatte die Regierung sicherlich angenommen, der Sturm werde' sich bald legen und durch wesentlich wichtigere Probleme wie die Inflation und die Reibungen in Südostasien übertönt werden. Als aber immer neue Namen fielen und der Kreis. der Watergate-Mitwisserschaft sich immer enger um den Präsidenten selbst zog, erhoben auch die eigenen Parteigänger (wie zum Beispiel der ehemalige Präsidentschaftskandidat Goldwater) ihre Stimme und forderten vom Präsidenten tabula rasa.

Nixon hat sich daher selbst an die Spitze der Untersuchung gestellt; er hat verfügt, daß sich alle seine Berater einer Untersuchung unterziehen müssen, und zwar nicht nur durch die Gerichte, sondern auch durch den Kongreß. Er hat zugesagt, jeden zu entlassen, der in die Angelegenheit verwickelt ist. Die Verdächtigen selbst greifen nach den nächsten Ästen und stoßen gegen jene, die sich, wie sie, retten wollen. Ein trister Anblick.

Die amerikanische Öffentlichkeit aber fragt sich, was denn nun eigentlich Gegenstand der Spionage gewesen sei. Da und dort wird die Vermutung geäußert, daß die Republikaner im demokratischen Hauptquartier Beweise für einen Kontakt mit Hanoi suchten — aber das hat niemand offiziell ausgesprochen.

Schließlich wird aber auch Watergate begraben werden. Selbst die liberalen Hitzköpfe im Vordergrund der Jagd auf die „Republikanischen Dunkelmänner“ geben zu, daß in der amerikanischen Provinz die Bürger mit der Schulter zucken:

Schließlich sei niemand ermordet worden; es sei wichtiger, daß die Preise stabil bleiben und daß es eine gute Ernte gibt; Politik sei eben schon immer ein schmutziges Spiel gewesen; schlimm, wenn man sich dabei erwischen lasse.

Die Demokraten versuchen, aus Watergate eine Dolchstoßlegende zu fabrizieren. Watergate bedeutet nicht nur Spionage, sondern bereits ein unübersichtliches Gewebe von Wahlfinanzierung und Tricks, um die Öffentlichkeit zu täuschen.

Interessanterweise schweigt jener Demokrat, von dem man angenommen hatte, er werde aus den Schwierigkeiten Nixons Kapital schlagen: Teddy Kennedy; er mahnt sogar zur Mäßigung. Aber wenn Watergate bei der Auswahl der Präsidentschaftskandidaten 1976 noch eine Rolle spielen sollte, würden die Demokraten wohl einen Mann wählen, der aus Watergate Maximales herausholen kann. Kennedy wäre dieser Mann wohl nicht.

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