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Zwischen Radeteky Die verlorene

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Nur das Fernsehen, so scheint's, läßt sie gelegentlich noch hochleben: die glorreiche Vergangenheit der österreichisch-ungarischen Streitkräfte, das Leben und Treiben in der „Alten Armee“. Mit schöner Regelmäßigkeit flim-, mern an den frühen Samstag-Nachmittagen die „Kaisermanöver“ über den Schirm.

Traditionspflege aus dem Filmarchiv.

Szenenwechsel: Am 14. Jänner 1985 empfängt Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager den ehemaligen SS-Sturmbannführer Walter Reder, den „letzten österreichischen Kriegsgefangenen“, nach dessen Freilassung aus 34jähriger Festungshaft in Italien per Handschlag in seiner „Heimat“ Österreich.

Der Handschlag erschüttert das sozialistisch-freiheitliche Regierungsbündnis in seinen Grundfe-

sten. Die Irritation in der Öffentlichkeit ist eine gewaltige. Der Minister entschuldigt sich für sein zu „Mißverständnissen“ Anlaß gebendes Verhalten.

Vergangenheitsbewältigung auf österreichisch.

Ein Jahr zuvor, am 12. Februar 1984, werden Tausende Präsenzdiener im Wiener Karl-Marx-Hof angelobt, dort, wo 50 Jahre zuvor das Bundesheer der Ersten Republik den Aufstand des Republikanischen Schutzbundes der Sozialisten blutig niedergeschlagen hat.

Motto der militärischen Zeremonie: Nie wieder!

Die drei Beispiele skizzieren das Spannungsfeld, in dem das Bundesheer der Zweiten Republik seit seiner Aufstellung 1955 nach seinen Wurzeln, nach seiner — vor allem historischen — Identität, nach seiner militärischen Tradition sucht.

Dabei ist die Traditionspflege im österreichischen Bundesheer seit fast 20 Jahren bis ins kleinste Detail hinein geregelt. Der damalige Verteidigungsminister Georg Prader, Mitglied der 0VP-Allein-regierung unter Bundeskanzler Josef Klaus, erteilte in einem Erlaß vom 25. November 1967 genaue Anordnungen sowohl über die „Allgemeine“ wie auch die „Besondere Uberlieferungspflege“.

Der Erlaß ist bis heute unverändert in Kraft, er wurde nur im Bereich der „Besonderen Uberlieferungspflege“ am 11. April 1979 an die neue Heeresgliederung von 1972 angepaßt.

Die „Allgemeine Uberlieferungspflege“ soll danach den Soldaten im Rahmen des „Staatsbürgerlichen Unterrichts“ (heute „politische Bildung“) die „ehrenvolle Vergangenheit Österreichs“ auf militärischem Gebiet nahebringen (siehe Kasten „Die ruhmreichen Vorbilder“).

Im Rahmen der „Besonderen Uberlieferungspflege“ werden dann den einzelnen Truppenkörpern, Akademien, Schulen und Militärkommanden jeweils ein sogenannter Traditionstruppenkörper aus der ehemaligen österreichisch-ungarischen Armee, des Bundesheeres der Ersten Republik und - als Vorläufer des heutigen Bundesheeres - der ehemaligen B-Gendarmerie sowie ein bestimmter Gedenktag und ein Traditionsmarsch zugewiesen.

Ein Beispiel: das heutige Wiener Landwehrstammregiment 21 bekam aus der „Alten Armee“ der

Das gestörte Verhältnis zur eigenen Geschichte tritt beim Österreicher immer dann zutage, wenn es unangenehm wird. Dagegen wird Tradition des Bundesheeres nicht einmal ignoriert.

Monarchie das „Infanterieregiment Nr. 4“, aus dem Bundesheer der Ersten Republik das „Wiener Infanterieregiment Hoch- und Deutschmeister Nr. 4“, als Gedenktag den 18. Juni 1757, die Schlacht bei Kolin, und als Traditionsmarsch den „Deutschmeister-Regimentsmarsch“ von A. W. Jurek zugeteilt.

Auf 16 Erlaßseiten geht's so durch die österreichische Militärgeschichte und die Marschmusikszene, auf weiteren 16 Erlaßseiten bekommt jede Kaserne einen Namenspatron: vom römischen Kaiser Marc Aurel bis zu den Wehrmachtsoffizieren Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke, die 1945 als Angehörige des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten ihr Leben für die Freiheit Österreichs gaben.

Dem zuständigen Referenten im Verteidigungsministerium, Peter Fiala, fällt zum geltenden Traditionserlaß zunächst eine Qualifikation ein: „Hypertroph“. Und wie das Beispiel des Kasernen-Patrons Marc Aurel zeige, der mit dem österreichischen Heer nun wirklich nichts zu tun habe, werde im geltenden Erlaß die Tradition gelegentlich auch an den Haaren herbeigezogen.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Am schwersten wiegt wohl der Umstand, daß in Österreich -anders als etwa in der Bundesrepublik Deutschland — zu keiner Zeit eine öffentliche Diskussion über das Warum und Wie einer militärischen ' Traditionspflege stattgefunden hat. So blieb und

bleibt es im wesentlichen dem jeweiligen Truppenkommandanten überlassen, wie und in welchem Ausmaß er die Uberlieferungspflege mit Leben erfüllt.

Andererseits wurde schon 1979 bei der Adaption des Traditionserlasses an die neue Heeresstruktur von einer „vorläufigen Regelung“ gesprochen. Zu einer grundsätzlichen Neugestaltung der Traditionspflege ist es bis heute dennoch nicht gekommen.

Dagegen stehen nicht zuletzt die Ressentiments politischer Natur. Die 0 VP hat mit der militärischen Tradition, die auf der „Alten Armee“ und dem Heer der Ersten Republik beruht, noch die geringsten Probleme. Auf sozialistischer Seite tut man sich sowohl mit der Monarchie als auch mit dem Ersten Bundesheer schwer — nicht zuletzt wegen der eigenen geschichtlichen Erfahrungen. Und die Freiheitliche Partei hat ja bekanntlich bis heute zumindest Schwierigkeiten mit der österreichischen Nation.

Die militärischen Leistungen der rund 800.000 österreichischen Soldaten in der Deutschen Wehrmacht und der Tod von rund 400.000 von ihnen im Zweiten Weltkrieg wurden hierzulande bislang überhaupt über schwiegen (siehe Kasten „Traditionspflege hier und dort“).

Bleibt als Fazit: Gerade weil die militärische Traditionspflege in Österreich weitgehend nur auf dem Papier (be)ruht, wird es wohl auch in Zukunft regelmäßig zu „Mißverständnissen“ kommen ...

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